Parteivorsitz bei der Linken:Niemand traut sich aus der Deckung

Parteitag Die Linke in Bonn

Wollten eigentlich schon im März erklären, ob sie noch einmal für den Parteivorsitz antreten: Katja Kipping und Bernd Riexinger.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Katja Kipping und Bernd Riexinger stehen seit acht Jahren an der Spitze der Linken. Ob sie noch mal antreten oder aufhören, ist offen - hinter den Kulissen werden schon Allianzen geschmiedet.

Von Boris Herrmann, Berlin

In der Satzung der Linken heißt es: "Kein Parteiamt soll länger als acht Jahre durch dasselbe Parteimitglied ausgeübt werden." Katja Kipping und Bernd Riexinger stehen seit acht Jahren an der Spitze der Partei, deshalb stellt sich auf dem Parteitag Ende Oktober in Erfurt schon aus formellen Gründen die Machtfrage. Hinzu kommt, dass es bei den Linken praktisch zur Traditionspflege gehört, sich mal mehr und mal weniger öffentlich um einflussreiche Posten zu streiten. Man kann dieser Partei vieles vorwerfen, aber gewiss nicht, dass sie übertrieben harmoniesüchtig wäre. Gemessen daran geht es bei ihr derzeit gespenstisch ruhig zu. "Ich erkenne meine Partei gar nicht wieder", sagt ein Bundestagsabgeordneter der Linken.

Während sich die SPD fragt, wie sie sich für einen Kanzlerkandidaten begeistern kann, der bei der Wahl zum Parteivorsitz gescheitert ist, während die Union rätselt, mit welchem Mann sie die beliebteste Bundeskanzlerin der Welt zu ersetzen versucht, und während die Grünen krampfhaft den ständigen Fragen nach ihrer Kanzlerkandidatur ausweichen, schafft es die Linke auf wundersame Weise, keine Personaldiskussion zu führen. Da staunt die Partei gerade über sich selbst.

Das heißt nicht, dass hinter den Kulissen alle friedlich vereint auf den Parteitag hinlebten. Da werden längst Allianzen geschmiedet und Überzeugungsgespräche geführt. Offenbar traut sich aber niemand aus der Deckung, bevor Kipping und Riexinger erklärt haben, ob sie noch einmal antreten. Die beiden wollten sich schon im März dazu äußern. Nachdem der ursprünglich für Juni geplante Parteitag aber wegen Corona verschoben worden war, verlegten Kipping und Riexinger auch ihre Erklärungsfrist. Jetzt heißt es, sie würden Ende August ihre Entscheidung mitteilen - sobald der Leitantrag für den Parteitag stehe.

Die Ära Kipping/Riexinger schien schon vorbei - dann kam Thüringen

Die Frage, ob ihre Wiederwahl überhaupt satzungsgemäß wäre, ist intern umstritten. Je nach Lagerzugehörigkeit wird der Passus unterschiedlich streng gedeutet. Die einen sagen, die acht Jahre seien eher eine Empfehlung; andere meinen, wenn es keine Regel wäre, hätte man sie ja nicht in die Satzung schreiben müssen.

Noch vor knapp einem Jahr, nach frustrierenden Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sowie bei der Europawahl, schien die Ära Kipping/Riexinger unweigerlich zu Ende zu gehen. Mit dem Wahlsieg von Bodo Ramelow in Thüringen gewann das Duo aber wieder etwas Luft und Zeit, dann kam Corona, und inzwischen sieht die Lage nicht mehr ganz so eindeutig aus. "Ich hatte vorübergehend den Eindruck, dass sie beide aufhören, aber jetzt würde ich nicht mehr darauf wetten", sagt ein Mitglied des Parteivorstandes.

Kipping und Riexinger wirken jedenfalls nicht amtsmüde. Und die Tatsache, dass jetzt auch die SPD-Spitze laut über linke Mehrheiten nachdenkt, was Riexinger schon lange befürwortet und worüber Kipping gar ein Buch geschrieben hat, macht die Sache für die beiden sicherlich nicht unattraktiver.

Alle Hintergrundgespräche über mögliche Alternativen landen irgendwann bei Janine Wissler. Sie ist Parteivize, Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag und rhetorisch hochbegabt. Es gilt fast als sicher, dass sie gewählt wird, wenn sie antritt. Sie will aber offenbar nur dann kandidieren, wenn Kipping freiwillig aufhört. Maßgebliche Leute im Parteivorstand machen sich für eine zukunftsgewandte weibliche Doppelspitze aus Wissler, 39, und der thüringischen Landesvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow, 42, stark.

Gleichzeitig versucht die von der Last aller Ämter befreite, aber weiterhin einflussreiche Sahra Wagenknecht, einen Kandidaten mit eher klassenkämpferischem Profil in Stellung zu bringen. Der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte wäre so einer, ihm wird aber begrenztes Interesse nachgesagt. Auch die Namen von Parteivize Ali Al-Dailami und Fraktionsvize Fabio de Masi streut das Wagenknecht-Lager, dem bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz mit Amira Mohamed Ali schon einmal ein Coup gelang. Auf Dauer steht jedenfalls nicht zu befürchten, dass sich diese Partei vor lauter Ruhe nicht wiedererkennt.

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