Süddeutsche Zeitung

Parteikongress in China:Das verflixte dritte Plenum

Chinas Mächtige treffen sich zum historisch bedeutsamen Parteikongress. Die Parteiführung möchte am liebsten zurück in alte Zeiten, gleichzeitig ist die Wunschliste für Änderungen im Wirtschaftssystem lang. Doch kann das gut gehen, wenn diese nicht von politischen Reformen begleitet werden?

Von Kai Strittmatter, Peking

Parteichef Xi Jinping legt viel Wert auf Stil. Seinem Beispiel folgend laufen Chinas Kader mit einem Mal überall im Land wieder mit einfachen Hemden und Blazern herum, schlürfen Instantsuppen und üben sich in befohlener Volksnähe. Der "Massenlinie folgen" heißt das.

Vergangene Woche machte eine Meldung die Runde, wonach Parteimitglieder nun wieder Abstand nehmen sollen von den in den letzten Jahren in Mode gekommenen Anreden "Chef" und "Großer Bruder", vielleicht, weil in China auch die starken Männer der Mafia einander so anreden. Stattdessen empfiehlt die Führung das gute alte "Genosse" - der Begriff hat mittlerweile allerdings auch seine proletarische Reinheit verloren, seit ihn in den 1990er-Jahren Chinas Homosexuelle für sich kaperten.

Die KP-Führung mag es sich manchmal noch so wünschen: Es führt kein Weg mehr zurück in die alten Zeiten. Die Methoden ihrer Vorgänger, mit denen Männer wie Xi Jinping selbst aufwuchsen und die ihnen als so natürlich erscheinen, dass sie auch heute noch auf sie zurückgreifen, funktionieren immer weniger in einer Gesellschaft, die pluralistischer, weltoffener und fordernder ist, als sie es jemals war - gerade auch dank der mehr als drei Jahrzehnte währenden Reformpolitik der KP.

Diese für China einst revolutionäre Politik der "Reform und Öffnung" hat ihre Wurzeln in einem damals zunächst kaum beachteten Parteikongress: dem dritten Plenum des 11. Zentralkomitees der KP im Jahr 1978. Mao Zedong war gerade zwei Jahre tot, auf dem Plenum übernahm Deng Xiaoping das Steuer, warf den ideologischen Ballast und den Irrsinn der Maojahre über Bord, verordnete dem Land frischen Wind und leitete so den beispiellosen Aufstieg des modernen Chinas ein.

Hoffen auf das Zünden einer neuen Stufe

Seither schauen Beobachter genauer hin, wenn eine neue Führung zum dritten ZK-Plenum ruft. Es lohnt sich. Das war auch 1993 so, als das damalige Führungstandem Jiang Zemin und Zhu Rongji neuen Anlauf nahm, um Chinas marode Staatsindustrie am offenen Herzen zu operieren, Privatunternehmern mehr Luft zu lassen und das Land schließlich in die Welthandelsorganisation zu führen.

Und das wird, hoffen viele, auch diesmal wieder so sein: Am Samstag lädt die neue Spitze unter Parteichef Xi die mehr als 300 mächtigsten Männer der Partei zu ihrem dritten Plenum. Und viele hoffen auf nicht weniger als die Zündung einer neuen Stufe in Chinas raketengleichem Aufstieg: eine neue Runde mutiger Reformen, die das Land dringend nötig hat. Aber wie das so ist: Wenn die Erwartungen so riesig sind, ist die Enttäuschung fast zwangsläufig.

Die Partei selbst hat die Latte hoch gelegt. Yu Zhengsheng, Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros, also einer der sieben mächtigsten Männer Chinas, versprach Reformen von einer "nie dagewesenen Tiefe und Stärke". Und die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua zog diese Woche mit einem Kommentar nach, wonach dem Land eine "historische Wende" bevorstehe, welche "die Struktur seines Wachstums ändern" werde. Ungewohnt starke Worte für die sonst so vorsichtigen Parteimedien, die vor allem auf eines verweisen: Von außen betrachtet mag China im Moment noch wie eine Erfolgsgeschichte aussehen, in Wirklichkeit sind seine Probleme so gewaltig, dass sie die weitere Entwicklung bedrohen.

Xinhua zählte einige der Probleme auf, die in China ein akutes Gefühl der Krise ausgelöst haben: Da ist die gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich, die das offiziell noch immer kommunistische China mittlerweile zu einem der ungleichsten Länder der Welt gemacht haben (in Peking leben mittlerweile mehr Milliardäre als in Los Angeles). Da sind Landraub und Häuserabriss durch Beamte, da ist die ökologische Verheerung, und da sind vor allem, so Xinhua, "viele Vergehen der zweiten Generation von Chinas reichsten Familien", eine Umschreibung für Korruption und Nepotismus. Chinas Gesellschaft, so das Propagandaorgan, sei in Teilen "demoralisiert".

Die Wunschliste von Beobachtern auch innerhalb Chinas an das Plenum ist lang: Nötig wäre eine Reform des "Hukou"-Systems, das die Aufenthaltsrechte von Wanderarbeitern und Bauern in den Städten einschränkt und sie de facto zu Bürgern zweiter Klasse macht, eine Reform des Landbesitzrechtes, Reformen der Finanzierung und Verwaltung der lokalen Regierungsebenen, wo im Moment die Wurzel für viel Korruption und Machtmissbrauch liegt. Und schließlich bräuchte China mutige Schritte gegen die Macht der Staatsmonopole, die im letzten Jahrzehnt wieder gewaltig gewachsen ist. Letztlich geht es um eine Selbstbeschränkung des Staates.

Liberale sind enttäuscht

Parteichef Xi Jinping hat zur Enttäuschung der Liberalen auch in seiner eigenen Partei in dem Jahr seit seinem Machtantritt klargemacht, dass er nichts übrig hat für politische Reformen. Er verwendet oft maoistische Rhetorik, forciert eine ideologische Säuberung und lässt seine Kader zu Kritik- und Selbstkritiksitzungen antreten. Gleichzeitig werden liberale Blogger eingeschüchtert und verhaftet, und alle 250.000 Journalisten des Landes müssen zu Marxismuskursen antreten. Wer die Prüfung Anfang nächsten Jahres nicht besteht, bekommt keine Pressekarte mehr.

Chinas Liberale sind enttäuscht von der neuen Führung, die wohlwollende Interpretation des harten Kurses ist die, wonach Parteichef Xi und sein Premier Li Keqiang sich damit den Rücken freihalten wollen für ihre Wirtschaftsreformen. Auf jeden Fall wissen die beiden, dass dem Land bald eine große Krise droht mit dem alten Modell. Dieses hat China im letzten Jahrzehnt auf dem Papier zwar weiter Wachstum beschert, das Land in Wirklichkeit aber in die strukturelle Stagnation geführt. "Chinas Führung ist sich bewusst, dass nicht die Erhaltung des Status quo, sondern nur eine Vertiefung der Reform die Stabilität der Herrschaft der Partei sichern kann", schreibt nun Xinhua.

Jetzt rätseln alle, wie genau die Führung der Wirtschaft des Landes neues Leben einhauchen will. In den letzten Wochen kursierten Vorschläge von parteinahen Denkfabriken. Ein forscher "Plan 383" zum Beispiel fordert mehr Markt und weniger Staat, konkret ein Aufbrechen mancher Staatsmonopole, private Investitionen in Schlüsselindustrien wie dem Energiesektor, eine Liberalisierung des Finanzwesens, mehr Landrechte für Bauern und eine größere Transparenz des Staatsapparates.

Die Frage jedoch ist, wie weit Parteichef und Premier auch mit besten Absichten überhaupt gehen könnten. Die Zeit der charismatischen Führerfiguren ist vorüber in China. Xi Jinping ist kein Deng Xiaoping, der kraft seiner Autorität die Richtung vorgeben konnte. Er muss verhandeln, den Konsens suchen, Kompromisse machen, und er hat viele Genossen gegen sich: Zu mächtig, zu reich sind viele Familien und Gruppen in den letzten Jahren geworden, zu groß ist der Profit, den große Teile der Elite aus ihrer Nähe zur Staatsindustrie ziehen. Der Widerstand gegen jene Schnitte, die Chinas Wirtschaft fit für die Zukunft machen könnten, ist enorm. Reicht es am Ende nur für verwässerte Reformen?

Und selbst wenn schließlich der eine oder andere größere Wurf im Wirtschafts- oder Finanzsektor dabei ist, wenn die Delegierten des Plenums am 12. November auseinandergehen - am Ende bleibt das eine große Fragezeichen: Kann das heute noch gut gehen, Reformen in der Wirtschaft, die nicht von politischen Reformen begleitet werden? Selbst Xinhua warnt: "Ohne eine politische Umstrukturierung zum Teil der wirtschaftlichen zu machen, kann weder das Vermögen der Gesellschaft umverteilt werden, noch kann sie neue Stärke und Energie finden." Die Stärkung von Privatunternehmen braucht neutrale Institutionen, die Chancengleichheit und Vertragstreue garantieren, der Kampf gegen Korruption und Nepotismus verlangt eine unabhängige Justiz, unabhängige Medien. Noch aber glauben Chinas Führer, sie könnten das eine ohne das andere haben.

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SZ vom 08.11.2013/kfu
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