Parteien vor der Neuwahl:Verdrossenes Österreich

Wenn die Neuwahl in Österreich im September so ausgeht, wie es aktuelle Umfragen signalisieren, reicht es entweder wieder nur zur verhassten großen Koalition oder einer der beiden Großen muss mit der verachteten, aber erstarkenden FPÖ koalieren.

Michael Frank

Eine beklemmende Frage begleitet den Zusammenbruch der großen Koalition in Österreich. Was wohl nährte Politikverdrossenheit mehr: Wenn nach kaum zwei Jahren der Legislaturperiode schon wieder gewählt werden muss? Oder wenn die unpopuläre, verachtete große Koalition aus Sozialdemokraten und Christsozialen in Wien so weitergemacht hätte. Wenn also diese Mesalliance zweier Großparteien, die einander nicht den geringsten Erfolg gönnten, weiter das Zutrauen der Bürger in qualifizierte Entscheidungen zermürbt hätte.

Faymann, Gusenbauer, Reuters

SPÖ-Chef Werner Faymann (links) wird an Stelle von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (rechts) als Spitzenkandidat seiner Partei in die Wahl gehen.

(Foto: Foto: Reuters)

Ob Demoskopen oder Politologen, einig sind sie sich darin, dass die Großen weiter abschmelzen, die politische Peripherie, die kleineren Parteien, davon profitieren und die Fraktion der Nichtwähler beängstigend anwachsen wird. Mehr an einigermaßen gesicherten Prognosen für die vorgezogene Wahl zum österreichischen Nationalrat, die am 28. September stattfinden wird, gibt es nicht. An diesem Mittwoch wird das Parlament an der Ringstraße in Wien formal den Weg dazu frei gemacht. Turnusgemäß hätte die Wahl erst im Herbst 2010 stattgefunden.

SPÖ

Die Sozialdemokraten haben ihre Wahlkampfspitze klar formiert: Infrastrukturminister Werner Faymann, der jüngst erst den SPÖ-Vorsitz übernommen hat, wird als Kanzlerkandidat antreten. Amtsinhaber Alfred Gusenbauer hat ihn vorgeschlagen. Gusenbauer hatte bis zuletzt noch selbst kandidieren wollen. In der SPÖ, die ihren einstigen Spitzenmann scheibchenweise demontiert hatte, ist nun auch eine heftige Debatte ausgebrochen über Gusenbauers derzeitigen Status. Man müsse Faymann sofort auch ins Amt des Bundeskanzlers aufrücken lassen, argumentieren Funktionäre, damit er sich in der Sommerpause als starker Mann präsentieren und ein bisschen vom Kanzlerbonus reklamieren könne.

Die SPÖ liegt in Umfragen hinter der ÖVP zurück, allerdings auf niedrigem Niveau, beide um die 30 Prozent. Ob die SPÖ durch ihren Schwenk in der Europapolitik hin zu Referenden über neue EU-Verträge wirklich punkten kann, ist unklar. An dieser Frage war die längst tief zerstrittene SPÖ/ÖVP-Koalition am Montag zerbrochen. .

Lesen Sie auf Seite zwei, was das große Problem der ÖVP ist.

Verdrossenes Österreich

ÖVP

ÖVP-Chef Wilhelm Molterer, AP

ÖVP-Chef und Vizekanzler Wilhelm Molterer hat am Montag die Koalition aufgekündigt. Nun will er selbst Kanzler werden.

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Für die Christsozialen geht Parteichef und Vizekanzler Wilhelm Molterer als Spitzenkandidat ins Rennen. Das ÖVP hat ein großes Problem: Der Tiroler Volkstribun Fritz Dinkhauser hat angekündigt, er werde vielleicht auch bundesweit kandidieren. Der ÖVP-Dissident und rechte Sozialprediger, einst Chef der Tiroler Arbeiterkammer, spricht vom Kampf gegen eine "demokratische Diktatur".

Er hat in Tirol vor kurzem bei der Landtagswahl 18 Prozent eingeheimst, der ÖVP ihren riesigen Vorsprung weggenommen und sogar die SPÖ auf den dritten Platz verwiesen. Die beiden koalieren in Innsbruck erneut, als sei nichts geschehen. Die Wut der Bürger darüber könnte auch in anderen Bundesländern zünden. Man traut der Liste Dinkhauser bundesweit vier Prozent zu. Das wäre vielleicht genau die Marge, die der jetzt so zuversichtlichen ÖVP für die Kanzlerschaft fehlen könnte.

Lesen Sie auf Seite drei, welche Themen die rechtspopulistische FPÖ als Wahlkampfschlager ausgemacht hat.

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FÖP-Chef Heinz-Christian Strache

Die FPÖ von Parteichef Heinz-Christian Strache darf auf große Zugewinne hoffen

(Foto: Foto: AP)

FPÖ

Die oppositionellen Freiheitlichen (FPÖ) hingegen dürften von der verdrießlichen Stimmung in der Bevölkerung nach oben getragen werden, wie vor Jahren schon einmal unter ihrem damaligen Vorsitzenden Jörg Haider. 20 Prozent der Wählerstimmen erscheinen durchaus möglich. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache muss freilich die Regierungsparteien gar nicht mit wüsten chauvinistischen und ausländerfeindlichen Parolen vor sich hertreiben, wie das einst Haider tat. Die Großen besorgten in der Koalition das Geschäft der Zerstörung selbst.

Wieder erscheint es wahrscheinlich, dass die sogenannten kleinen Leute, die Verlierer der Globalisierung, von Populisten nach rechts gelockt werden. Die FPÖ argumentiert rechtsradikal und chauvinistisch bei Themen wie Sicherheit, Ausländerpolitik, Asylrecht. In sozialen Fragen verfolgt sie jedoch eine linkspopulistische Linie. Sie propagiert die soziale Ausgewogenheit "der Volksgemeinschaft der echten Österreicher''. Das dürfte hauptsächlich die SPÖ Wähler kosten. Für EU-Referenden waren die Freiheitlichen schon immer.

Lesen Sie auf Seite vier, warum die Grünen wohl nur abgeschlagener Vierter werden

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Parteien vor der Neuwahl: Die Grünen von Alexander van der Bellen werden sich wohl mit dem vierten Platz begnügen müssen

Die Grünen von Alexander van der Bellen werden sich wohl mit dem vierten Platz begnügen müssen

(Foto: Foto: Reuters)

Die Grünen

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Die Grünen verlieren neuerdings, nachdem sie in den vergangenen Jahren große Erfolge feiern konnten. Die Partei hat aber immer noch keine breite Basis, sie vergreist. Zwar noch jung an Lebensjahren, sind viele ihrer Protagonisten im politischen Geschäft weit überaltert. Zudem sind ihre Hauptthemen Menschenrechte und Umwelt nicht der Hammer, mit dem man das populistische Eisen schmiedet, das alle anderen in im Feuer haben.

Verdrossenes Österreich

Sollten die großen Parteien abschmelzen, die FPÖ wachsen und die Grünen stagnieren, dann hieße dies, dass es zahlenmäßig zu keiner Koalition unter Beteiligung der Grünen reicht. Dann bliebe nur eine Alternative: Eine der Großparteien koaliert mit der FPÖ. Keine wird davor zurückschrecken, auch wenn sie heute Enthaltsamkeit schwören. Oder die große Koalition geht im Herbst in eine Neuauflage. Auch mit verändertem Personal - das wäre das letzte, was sich die Österreicher wünschen.

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