Süddeutsche Zeitung

Parteien:Verunsicherte CDU

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Die politische Flexibilität der Union ist groß angesichts der Finanzkrise. Das sorgt für Verwirrung. Aber auch die Ministerpräsidenten sind mitschuldig.

Stefan Braun

Was hat sich die CDU-Führung über diese Idee gefreut! Als sie im Herbst 2007 nach einem Motto für den Parteitag suchte, entschied sie sich für eine spartanische Lösung. Nur zwei kurze Worte schmückten die Leinwand: Die Mitte. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sah darin einen genialen Schachzug.

Niemand sollte mehr Mitte sein in dieser Gesellschaft - außer den Christdemokraten. Seither findet sich die Botschaft auf jeder Pressemitteilung und jeder Parteiveranstaltung. Die Mitte - das ist zum Label der CDU geworden.

Dabei allerdings vergaß die CDU-Spitze eine Kleinigkeit: Sie versäumte es, diese Mitte mit einem konkreten Inhalt zu füllen. Mit ihrem PR-Gag öffnete sie so einen Blick auf sich selbst, den sie gar nicht bezweckt hatte. Der Begriff gibt nur räumlich eine Orientierung. Die Ränder bestimmen, wo sich die Mitte befindet.

Zieht die SPD besonders mächtig in eine Richtung, muss sich die Mitte bewegen; meldet sich die CSU, ändert sich wieder die Richtung. Wer sich so definiert, wird zum Spielball. Das Bild beschreibt ziemlich gut, wie Angela Merkel seit drei Jahren regiert: Sie will unter allen Umständen Mitte sein und musste deshalb sehr flexibel werden.

In normalen Zeiten ist das noch nicht dramatisch. Seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise aber kann es einem in Merkels Mitte verdammt schwindlig werden. Nichts anderes erleben seit Wochen viele Christdemokraten. Kein Wunder, dass die CDU hin und her torkelt. Viele in der Partei suchen nach alten Haltegriffen auf dem schwankenden Boden und müssen feststellen, dass manches Geländer von der eigenen Führung abmontiert wurde, um sich den Spielraum zu vergrößern.

In der Krise provozieren immer schlechtere Prognosen immer neue Rettungsmaßnahmen. Rekord-Konjunkturpaket und Rekord-Verschuldung, dazu Rettungsschirme, Milliardenbürgschaften und eine Teilverstaatlichung von Banken - was bei vielen Sozialdemokraten eher stille Genugtuung auslöst, fühlt sich für viele Christdemokraten an wie ein Verrat an den wichtigsten Grundsätzen.

Wie schwer manchem die Beschlüsse fallen, zeigen exemplarisch die Haushaltsexperten der Christdemokraten. Niemand in der CDU-Spitze sollte sich wundern, dass die gegen das zweite Konjunkturpaket stänkern, sollte es nicht mit einem strikten Tilgungsprogramm verbunden werden. Für sie ist in den letzten Wochen die Welt zusammengebrochen. Drei Jahre lang galt das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts als wichtigster Beleg für die Seriosität christdemokratischen Regierens. Inzwischen wird man mit dem größten Schuldenberg der Geschichte vor die Wähler treten.

Die Folge ist eine für Merkel kaum zu erfüllende Erwartung: Je mehr Überzeugungen im Sturm der Krise weggespült werden, desto mehr sehnt man sich in der CDU nach Orientierung. Solange diese Krise anhält, wird das die Union beuteln - und kaum aufgelöst werden.

Schuld ist nicht nur Merkel

Dabei allerdings ist nicht nur Merkels Strategie der flexiblen Mitte schuld an der immer verschwommeneren Kontur der Christdemokraten. Zur Verwirrung, ja Desorientierung tragen auch jene bei, die sich zu Beginn der großen Koalition als Wächter der CDU-Programmatik profilieren wollten: die Ministerpräsidenten.

Es ist so atemberaubend wie absurd, wenn der gleiche Christian Wulff am Montag erklärt, die CDU müsse dringend ihr Profil schärfen und den Staat aus der Wirtschaft heraushalten, am Dienstag aber Sonderrechte für VW einfordert und sich am Mittwoch an Verhandlungen beteiligt, um mit Bürgschaften und womöglich auch staatlichen Beteiligungen einen riskanten Firmenzusammenschluss zu retten.

Es ist ähnlich absurd, wenn die einen Ministerpräsidenten angesichts der Neuverschuldung baldige Steuersenkungen strikt ablehnen, die anderen sie aber für das Bundestagswahlprogramm zur Bedingung machen. Beide Seiten geben vor, die Glaubwürdigkeit der Union beim Wähler zu schützen. In Wahrheit legen sie offen, wie sehr der CDU jene stabile Mitte fehlt, mit der sie sich gerade in einem Wahljahr so gern schmücken würde.

Nun wäre es freilich falsch zu behaupten, unter Konrad Adenauer oder Helmut Kohl sei die CDU eine Partei unverrückbarer Grundsätze gewesen. Weder Adenauer noch Kohl fesselten sich an Parteiprogramme oder irgendwann beschlossene Leitlinien. Sie verfügten über etwas anderes, das sie in den Augen der eigenen Truppe stabilisierte: Ihre unumstrittene Verwurzelung als Christdemokraten. Niemand hätte in Frage gestellt, dass sie zur großen Familie gehören.

Bei Merkel ist das bis heute anders. Die Zweifler haben sich machtpolitisch mit ihr abgefunden, aber sie innerlich nicht wirklich aufgenommen. Das ist zwar unfair, aber es wird sich kaum mehr ändern. Und es führt dazu, dass sich Vertrauen und Misstrauen auf beiden Seiten sehr die Waage halten.

Das lässt erahnen, warum Merkel genau das zu wenig tut, was sie eigentlich tun müsste: der eigenen Truppe ausführlich zu erklären, warum sie in dieser Krise wie handelt. So muss sie weiter darauf setzen, dass sich am Ende niemand gegen sie stellt bei all den Beschlüssen. Keine kleine Hypothek für den Wahlkampf.

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SZ vom 29.01.2009/che
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