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Parteien - Stendal:Machtkampf hinter den Kulissen um FDP-Spitzenkandidatur

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Stendal (dpa/sa) - Die Stimmung ist unübersehbar schlecht im Festsaal des Hotels "Schwarzer Adler" in Stendal. Rund 100 FDP-Mitglieder sind am Samstag zum einem Parteitag gekommen. Die Mienen sind angespannt, der Applaus für die Rede von Landeschef Frank Sitta ist spärlich. Er selbst wirkt angespannt. Dafür erntet der Chef der Jungen Liberalen (Julis), Kai Krause, langes Klatschen, als er sich mit einer wütenden Rede Luft macht und klarere Botschaften einfordert. Dabei sollte es eigentlich um die Folgen der Coronakrise und inhaltliche Debatten ein Jahr vor der Landtagswahl gehen. Was war passiert?

Hinter den Kulissen läuft ein Kampf um die Spitzenposten für die Landtagswahl am 6. Juni nächsten Jahres und die Bundestagswahl wenige Monate später. Bei einer Sitzung des Landesvorstands am Freitag wurde heftig gestritten. Das ist unter den gut 100 Anwesenden ein offenes Geheimnis. Eigentlich hatte Sitta schon im März die Weichen gestellt und seine Stellvertreterin Lydia Hüskens für den Spitzenposten zur Landtagswahl vorgeschlagen.

Jetzt überlegt auch der Parteichef wieder, für den Posten anzutreten, zusätzlich zur Spitzenkandidatur zum Bundestag. Auf die macht sich auch der Stendaler Marcus Faber Hoffnung, der wie Sitta für die FDP im Berliner Parlament sitzt. Sitta reagierte mit seinem Manöver wohl auf Unmut aus der Basis. Einige werfen ihm vor, dass sich das Gesicht der Landespartei im Land zu rar macht. "Ich höre hier und da eine gewisse Unzufriedenheit", rief der 42-Jährige den Delegierten zu. Rechtfertigung halte er für unangebracht.

Die Einigung in der Kandidatenfrage wird vertagt. Weder er noch Hüskens werden in Stendal als Spitzenkandidat fürs Magdeburger Parlament präsentiert. Die FDP sollte sich Zeit nehmen, eine möglichst vollständige Liste aufzustellen, sagte Sitta in seiner Rede. Er werde das nutzen, um mit der Basis ins Gespräch zu kommen.

Das mit der Zeit sehen nicht alle so, hinter den Kulissen heißt es, binnen zwei Wochen müsse eine Lösung her. "Es ist fünf vor zwölf für unsere Partei", formulierte es Landesvorstandsmitglied Andreas Silbersack in seinem Redebeitrag. Es müsse schnell klar sein, wie sich die FDP aufstelle, damit sie die wichtigen Themen ansprechen könne. "Diese Landtagswahl entscheidet über die Zukunft des Landes und auch der FDP." Wenn die Partei jetzt nicht eng zusammenarbeite, dann werde das nichts. Silbersack kommt wie Sitta aus Halle.

Vor vier Jahren hatten die Liberalen den Sprung zurück in den Landtag mit 4,9 Prozent knapp verpasst. Bei der Bundestagswahl ein Jahr später reichten 7,8 Prozent für zwei Abgeordnete in Berlin. In beiden Fällen führte Sitta die Kandidatenliste an. Er war erst 2015 als Quereinsteiger mit wenig Politikerfahrung an die Spitze der Landes-FDP aufgestiegen, inzwischen sitzt er im Bundespräsidium und ist Fraktions-Vize der Liberalen im Bundestag.

Hüskens saß schon zwischen 2002 und 2011 für die FDP im Landtag und war in den vergangenen Monaten diejenige, die für die Liberalen ihre Stimme in landespolitischen Debatten erhob. Sachsen-Anhalt gehe mit denkbar schlechten Vorzeichen in die Bewältigung der Corona-Krise, sagte sie in Stendal. In den Bildungsrankings sei es im Vergleich zu anderen Bundesländern abgerutscht, die Arbeitslosigkeit sei die höchste im Osten, die Wirtschaftskraft gehöre zu den schwächsten, bei der Internetversorgung hinke das Land hinterher. "Es gibt Ecken, da können sie besser eine Brietaube schicken als eine Mail."

Auch Sitta kritisiert den Lehrermangel, den Nachholbedarf bei der Digitalisierung an Schulen und die Breitbandversorgung. Zudem kritisierte er, ebenso wie die als Gastrednerin angereiste Bundes-Generalsekretärin Linda Teuteberg, den Umgang der Regierenden mit den Grundrechten. Erst habe es landesweite Berufsverbote für Unternehmer gegeben, die ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben durften, sagte er. Im Anschluss hätten diese Unternehmer mit Demonstrationen betteln müssen, wieder öffnen zu dürfen. "Es hat nichts mit Großzügigkeit zu tun, Dinge zu lockern", sagte Sitta. "Es ist die gottverdammte Pflicht des Staates zu erklären, warum er was tut."

Dem Parteinachwuchs von den Jungen Liberalen reichen diese Aussagen nicht. Er definiere sich nicht darüber, dass er nicht die Landesregierung sei und nicht die Grünen und nicht die SPD, sondern darüber, dass er Freier Demokrat sei, sagte Juli-Chef Krause unter großem Applaus. Die FDP müsse aufhören, sich in Phrasen zu verlieren, sondern ihre Standpunkte zu den Themen ausformulieren.

Die Corona-Krise habe beispielsweise gezeigt, dass digitaler Unterricht allein auch nicht die Lösung sei, sondern differenzierte Konzepte nötig seien, sagte Krause. Das konkrete Wahlprogramm will die FDP wahrscheinlich erst nach dem Jahreswechsel festzurren. Für die Kandidatenliste bleibt weniger Zeit: Ende September ist wieder Parteitag. Der Grund: Aufstellung der Landes- und Bundestags-Liste.

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