Niedergang einer Volkspartei:Wenn sich das sozialdemokratische Gefühl auf Kosten der SPD ausbreitet

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Was tun, wenn auch die anderen immer sozialdemokratischer werden: SPD-Chef Sigmar Gabriel und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. (Foto: AFP)

In manchen Bundesländern kommt die SPD nur noch auf Wahlergebnisse einer starken Splitterpartei. Was der Partei zu schaffen macht.

Kommentar von Kurt Kister

Politbarometer und Deutschlandtrend, die Umfragen also, legen nahe, dass sich bei den Sozialdemokraten zu verstetigen scheint, was schon die Landtagswahlen vor knapp einem Monat drastisch gezeigt haben. Die SPD befindet sich im Bund und in den Ländern weiter im Abstieg; nur dort, wo es halbwegs überzeugende Spitzenleute gibt, hält sich die Partei noch einigermaßen. Letzteres ist in Rheinland-Pfalz oder in Hamburg der Fall.

Im Mai 2017 findet in Nordrhein-Westfalen ein paar Monate vor der Bundestagswahl eine Schicksalswahl für die Sozialdemokraten statt. Wenn die SPD unter Hannelore Kraft am Rhein deutlich verliert, gar die Regierungsmacht einbüßt, wäre dies ein Menetekel für die Sozialdemokraten. Es könnte das baldige Ende jener politischen Ära bedeuten, in der zwei große Volksparteien in Deutschland wechselweise dominierten.

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Die SPD schwächelt, er ist umstritten, doch wie seine Amtszeit bewertet wird, entscheidet sich erst 2017. Dann wählt der Bund und es sieht aus, als müsse der Parteichef selbst ran. Darauf setzen auch seine Gegner.

Von Christoph Hickmann

Im Bund steckt die SPD nun seit mehr als zehn Jahren im Bereich von 25 Prozent fest. Nein, eigentlich steckt sie dort nicht mehr fest, denn mittlerweile liegt sie tendenziell bei 20 Prozent. Im Osten wird sie nicht nur immer wieder von der Linkspartei überflügelt, sondern neuerdings auch von der Rechtspartei, also der AfD.

Selbst die zutiefst bürgerlichen Badener und Schwaben haben letzthin der SPD ein Ergebnis verpasst, das sie - im Verhältnis zu ihrer einst großen Geschichte - fast in den Bereich einer sehr starken Splitterpartei rückt.

Selbst die CSU wehrt sich nicht mehr gegen die Schwulenehe

Die SPD leidet besonders unter einem Phänomen. CDU und Grüne haben, vielleicht weniger in der offiziellen Programmatik als vielmehr im täglichen politischen Handeln, jene gesellschaftliche Entwicklung nachvollzogen, die seit der Wende im Gang ist: Das Land hat sich sozialdemokratisiert.

Vom Arbeitsrecht über die Staatsbürgerschaftsdinge bis hin zum Partnerschaftsverständnis, der Bildung und dem Verbraucherschutz gelten heute Normen, Werte und Verhaltensweisen als weitgehend akzeptiert, die noch in den Achtzigerjahren typisch für das leicht linksbürgerliche Milieu waren, aus dem sich die SPD speiste, nachdem sie den Charakter als Arbeiterpartei schon deutlich vorher verloren hatte.

Das sozialdemokratische Gefühl hat sich so sehr ausgebreitet, dass es eben nicht mehr einer Partei zugeschrieben wird. Selbst die CSU hat ihren Widerstand gegen die Schwulenehe oder den Mindestlohn aufgegeben. Und niemand macht eine sozialdemokratischere Flüchtlingspolitik als Angela Merkel.

Mit dieser Ausbreitung des sozialdemokratischen Gefühls hängt, notabene, auch der jüngste Aufstieg der Rechten zusammen. Viele Sympathisanten der AfD mosern über "Gleichschaltung" und darüber, dass "die Anderen" alle ähnlich seien.

Es gibt eine interessante Parallele dazu. In den Siebzigerjahren gründeten sich die Grünen auch als eine damals linke Alternative zur Verbürgerlichung der Sozialdemokratie. Heute hadern die Neurechten mit der allgemeinen Sozialdemokratisierung zwischen Grün, Halbrot und Schwarz. Das unsicherste Profil bei alledem hat die SPD.

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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