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Parteien - Schönebeck (Elbe):Linke geht mit Fraktionsspitze in Landtagswahlkampf

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Schönebeck (dpa/sa) - Ein Parteichef, der im Akkord Rachenabstriche nimmt, eine angehende Spitzenkandidatin, die spontan ihre Rede abkürzt, und virtuell wackelnde Blumen statt herzlicher Umarmungen: Die Corona-Krise hat auf dem Listenparteitag der sachsen-anhaltischen Linken wenige Monate vor der Landtagswahl für mehrere ungewöhnliche Momente gesorgt. Bei der ganztägigen Präsenzveranstaltung in Schönebeck kürte die Linke erstmals die erfahrene Landtagsabgeordnete und Juristin Eva von Angern zur Spitzenkandidatin. Auf Platz 2 folgte der Bildungsexperte Thomas Lippmann, der mit von Angern derzeit bereits die 16-köpfige Landtagsfraktion anführt.

Dabei hatte sich die 44-jährige Spitzenkandidatin ihre Kür sicherlich anders vorgestellt, auch unter Corona-Bedingungen. Bei ihrer Vorstellungsrede für die Spitzenkandidatur der Linken holte Eva von Angern weit aus, sprach über die Vorzüge ihres Wahlkreises und die Corona-Situation und erschrak mit Blick auf die Uhr: Sie habe ja nur noch eineinhalb Minuten, sagte sie und beendete kurz darauf die Rede.

Es war einer der Momente, der zeigte, wie sehr die aktuelle Corona-Situation mit ihren strengen Auflagen mitten im Lockdown die eingeübte Parteitags-Routine der Linken aufwirbelte. Die Partei hatte sich vorgenommen, möglichst zügig und steril die Liste zu wählen, für die das Gesetz eine Präsenzveranstaltung vorschreibt. Eine Regel hieß: Fünf Minuten Redezeit für alle, auch für die Nummer eins.

Das wurde von Angern aber erst mitten in ihrer Rede klar. Trotz ihres Kurzauftritts bekam sie 85,6 Prozent der Stimmen und führt die Partei in den Wahlkampf zur Landtagswahl am 6. Juni. Zuvor war die Partei drei Mal mit dem jetzigen Vize-Landtagspräsidenten Wulf Gallert angetreten, der dieses Mal auf Platz 6 landete, Parteichef Stefan Gebhardt ist auf Platz 4. Insgesamt wurden 33 Kandidaten gewählt.

Auf den weiteren Plätzen folgen sowohl Linken-Politiker, die bereits im Landtag sitzen, als auch neue Bewerber. So bekam etwa Andreas Henke den aussichtsreichen Listenplatz 8. Der 58-Jährige war voriges Jahr nach 13 Jahren Amtszeit als Oberbürgermeister von Halberstadt abgewählt worden. Keine Chance hatten die Bewerberin und der Bewerber des Linken-Nachwuchses. Der frühere Landeschef Andreas Höppner und Ex-Fraktionschef Swen Knöchel traten nicht wieder an.

Der Linken-Nachwuchs kritisierte die Besetzung der Bewerberliste ohne Jugendvertreter als "skandalös". So werde es der Linken auch weiterhin nicht gelingen, ihr Potenzial bei jungen Wählerinnen und Wählern auszuschöpfen, sagte die 22 Jahre alte Magdeburgerin Rebekka Grotjohann, die ebenso wie der 23 Jahre alte Hallenser Timon Kniewel abwechselnd für die Listenplätze elf bis 20 kandidiert hatte und immer anderen Bewerbern unterlag. Danach traten sie nicht mehr an. Beide waren offiziell von der Linksjugend nominiert worden, aber bereits auf der Vorschlagsliste des Landesvorstands nicht vertreten.

Angesichts des vielen Zuspruchs für Jugendbewegungen wie Fridays for Future stelle sich die Frage, ob das nur leere Worte gewesen seien oder ob die Partei den Widerspruch zur tatsächlichen Kandidatenkür nicht erkenne, sagte Grotjohann. Spitzenkandidatin von Angern bedauerte, dass sich kein Linksjugend-Kandidat auf der Liste findet. "Ich werde alles versuchen, damit uns der Nachwuchs nicht von Bord geht", sagte sie. Parteichef Gebhardt verwies darauf, dass die Liste nach demokratischen Prinzipien aufgestellt worden sei.

Ihr Wahlprogramm will die Linke in den kommenden Wochen noch beschließen, mehrere wichtige Themen stehen fest. Wegen der Corona-Krise stünden Sachsen-Anhalt "harte Verteilungskämpfe" bevor, sagte Eva von Angern auf dem Parteitag. Es werde darauf ankommen, wer in Sachsen-Anhalt regiere. "Derzeit wird Sachsen-Anhalt schlecht regiert." Die Linke wirbt schon seit Monaten dafür, ein Regierungsbündnis aus Linken, SPD und Grünen anzustreben. Umfragen gaben bisher keine Anzeichen dafür, dass ein rot-rot-grünes Bündnis genügend Stimmen bekommen könnte. Für das derzeitige Bündnis von SPD und Grüne mit der CDU von Ministerpräsident Reiner Haseloff stehen die Optionen besser.

Ein weiteres wichtiges Thema werde die Gesundheitsversorgung, sagte Linken-Chef Gebhardt. Seiner Partei schwebt vor, private Krankenhäuser wieder in die öffentliche Hand zu überführen. Doch nicht die Kommunen sollen sie tragen, sondern Sachsen-Anhalt mit einer Landeskrankenhausgesellschaft. Gleich in die eigene Hand nahm Gebhardt eine der Vorsichtsmaßnahmen: Vor Beginn des Parteitags nahm er bei rund 100 Parteifreunden Rachenabstriche für einen Corona-Schnelltest. Er sei gelernter Krankenpfleger und habe sich kurzfristig bereit erklärt, die Tests durchzuführen.

Die Linke zählte Ende 2020 nach eigenen Angaben rund 3200 Mitglieder und damit 220 weniger als ein Jahr zuvor. Sie fuhr bei der Landtagswahl 2016 herbe Verluste ein und ist seitdem mit 16 Abgeordneten als Oppositionspartei im Magdeburger Landtag vertreten.

© dpa-infocom, dpa:210130-99-232282/4

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