Politisches Engagement:Vor der Wahl noch schnell in die Partei eintreten?

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Plakate vor der Bundestagswahl 2021. Manche Menschen sehen im Bruch der Regierungskoalition offenbar die Möglichkeit für einen neuen Neustart der Parteien. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Nach dem Ende der Ampelkoalition beobachten die Parteien teils „historische“ Zugänge an Mitgliedern. Offenbar führt die Enttäuschung über die Politik bei vielen Menschen nicht nur zu Frust.

Von Lisa Nguyen

Über Jahrzehnte sind die Mitgliederzahlen der meisten Parteien massiv geschrumpft, seit dem Koalitionsbruch am 6. November aber gibt es einen Gegentrend. Allerdings ist er nicht bei allen Parteien gleich groß.

Die meisten neuen Mitglieder haben eigenen Angaben zufolge die Grünen gezählt: Rund 20 000 Anträge sind seit dem Ampel-Aus in der Parteizentrale eingegangen. „Somit ist der November ein absoluter Rekordmonat in der Geschichte der Partei“, sagte die politische Geschäftsführerin Pegah Edalatian. Mit den Neuzugängen rechnet die Partei mit einer Gesamtzahl von 150 000 Mitgliedern, auch das wären „so viele wie nie zuvor“.

Ihr Noch-Regierungspartner, die SPD, hat ebenfalls einen Zulauf beobachtet – wenn auch deutlich weniger stark. Ein Parteisprecher teilte auf Anfrage mit, dass seit dem 6. November mehr als 2500 Personen online einen Mitgliedsantrag ausgefüllt hätten. In der Regel machten diese rund 70 Prozent der Eintritte insgesamt aus, der Rest erfolge über handschriftlich ausgefüllte Formulare. Hochgerechnet geht die SPD also von etwa 3500 neuen Mitgliedern aus, gegenwärtig hat die Partei rund 360 000 Mitglieder. Auskunft über Parteiaustritte und die exakte Mitgliederzahl gibt die SPD, wie jedes Jahr, erst am 31. Dezember bekannt.

Die CDU beobachtet eine „positive Entwicklung“

Die FDP, der rund 70 000 Menschen angehören, ist nach eigenen Angaben ebenfalls gewachsen. Ein Sprecher sagte, dass 2000 neue Mitgliedsanträge seit dem Ampel-Aus vorlägen, „bei wenigen Austritten“.

Der Trend ist nicht auf die ehemaligen Ampelparteien beschränkt. „Wir erleben die höchste Eintrittswelle seit der Geschichte der Linken“, teilte ein Pressesprecher der Partei mit. Für sie war der 6. November also geradezu historisch. Rund 5000 Menschen hätten seit dem Regierungsbruch einen Mitgliedsantrag ausgefüllt, verlassen hätten die Partei nur 167 Menschen. Damit zählt sie derzeit etwa 57 000 Mitglieder. Eine Anfrage an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) blieb bislang unbeantwortet.

Auch die CDU sieht derzeit „eine positive Entwicklung“, aber keinen deutlichen Zuwachs. Seit dem 6. November seien auf Bundesebene mehr als 1000 Mitgliedsanträge eingegangen, teilte eine Parteisprecherin mit, im September und Oktober seien es insgesamt mehr als 4000 Neuzugänge gewesen. Sie betonte, dass die Parteizentrale genauere Zahlen „erst in Kürze“ nennen könne.

Für die AfD ist es schwierig, exakte Angaben zu den Neuzugängen zu machen. Laut Schatzmeister Carsten Hütter wird erst einmal geprüft, ob die neuen Mitglieder mit den Parteiwerten übereinstimmen, etwa welche Parteien sie zuvor unterstützten. Dies könne bis zu drei Monate dauern. Hütter zufolge steht die Prüfung für rund 6500 Anträge zwar noch aus, aber die AfD habe nach dem 6. November einen „deutlichen Aufschwung“ erlebt.

Gerade der Zuwachs bei Grünen und Linken überrascht den Experten nicht

Wie lässt sich der gegenwärtige Trend zur Parteimitgliedschaft erklären? Manche Menschen empfinden das Koalitionsende offenbar als Möglichkeit für einen Neustart: Endlich könnten die Parteien wieder das leben, was sie ausmache. Und der Düsseldorfer Parteienforscher Thomas Poguntke wundert sich gar nicht darüber, dass fast alle Parteien derzeit Zulauf erhielten. „Das ist eigentlich ein normales Phänomen in Zeiten von besonderen politischen Ereignissen. Vor allem, wenn Neuwahlen anstehen oder es attraktive Kandidaten gibt“, sagt Poguntke. Er nennt Martin Schulz als Beispiel, der 2017 seine Kanzlerkandidatur ankündigte. Mehr als 10 000 Menschen traten danach in die Partei ein – wenn auch ohne große Auswirkungen auf den Wahlausgang.

Gerade den Zuwachs bei Grünen und Linken findet Poguntke nicht überraschend. Die Grünen stünden vor einer Richtungswahl, viele ihrer Sympathisanten treten in die Partei ein, um diese in schwierigen Zeiten zu unterstützen. „Noch deutlicher gilt dies für die Linken: Hier geht es um das parlamentarische Überleben.“

Dass nach dem 6. November bekannte FDP-Mitglieder wie Volker Wissing und der ehemalige Schatzmeister Harald Christ öffentlichkeitswirksam die Partei verlassen haben, hat dieser wohl kaum geschadet. Zwar stellt Poguntke fest: „Wenn prominente Parteimitglieder austreten, zieht es immer einen gewissen Imageschaden nach sich.“ Allerdings werde eine Partei erst nachhaltig geschwächt, wenn Austritte für eine ganze Strömung oder einen Flügel stehen.

Dies sei bei der FDP nicht der Fall gewesen, meint der Parteien-Experte. Inhaltlich habe es wenig Streit gegeben, viele in der FDP hätten längst aus der Koalition herausgewollt. „Herr Wissing war da eher eine kleinere Minderheit“, so Poguntke.

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