Parteien - Lübeck:Björn Engholm wird 80

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Lübeck (dpa) - Björn Engholm ist hoch gestiegen und tief gefallen. Dennoch blickt der frühere Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, der 1993 im Zusammenhang mit der Barschel-Pfeiffer-Affäre von allen politischen Ämtern zurücktrat, gelassen auf sein Leben zurück. "Im Großen und Ganzen wüsste ich nicht viel, was ich hätte anders machen sollen", sagt der ehemalige Hoffnungsträger und einst designierte Kanzlerkandidat der SPD der Deutschen Presse-Agentur. Am 9. November wird Engholm 80 Jahre alt. "Ich bereue meinen Rückzug aus der Politik nicht. Ich habe mich 1993 sehr bewusst dafür entschieden, meine politische Laufbahn zu beenden", ergänzt er.

Engholm übernahm seitdem eine Reihe von Ehrenämtern, widmete sich der Kunst und blieb als Berater vor allem in Fragen der Ostsee-Kooperation lange Zeit ein gefragter Mann. Er bezeichnet dies als eine zweite Chance und resümiert: "Das zweite Leben nach der Politik war keinesfalls schlechter als das davor."

Engholms politische Karriere war steil. Geboren am 9. November 1939 in Lübeck, absolvierte er eine Schriftsetzerlehre, machte auf dem zweiten Bildungsweg Abitur und studierte in Hamburg Politik, Volkswirtschaft und Soziologie. 1962 trat er in die SPD ein und zog 1969 als einer der jüngsten Abgeordneten für Lübeck in den Bundestag.

Nach Jahren als Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium und später als Bildungsminister wechselte er 1982 als Spitzenkandidat nach Schleswig-Holstein und wurde nach der Landtagswahl 1983 Oppositionsführer im Kieler Landtag.

1987 wurde Engholm Opfer einer beispiellosen Schmutzkampagne: Aus der Staatskanzlei von CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel heraus ließ ihn der Referent Reiner Pfeiffer bespitzeln, verbreitete Gerüchte über eine angebliche Steuerhinterziehung und traktierte ihn per Telefon sogar mit einem Aids-Verdacht.

Kurz vor der Wahl im September 1987 flog das "Waterkantgate" auf. Die Wahl selbst brachte ein Patt, einen Monat später wurde Barschel tot in einer Genfer Hotelbadewanne gefunden - ob er sich selbst tötete oder ermordet wurde, ist bis heute ungeklärt.

Bei der Neuwahl im Mai 1988 erzielte die SPD mit 54,8 Prozent einen grandiosen Wahlsieg, Engholm wurde am 31. Mai 1988 zum Ministerpräsidenten gewählt. Doch 1993 kam eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl der Absturz. Engholm - seit 1991 Chef der Bundes-SPD und seit 1992 auch deren designierter Kanzlerkandidat - musste eingestehen, dass er ein paar Tage früher als behauptet von den Machenschaften Pfeiffers gegen ihn erfahren hatte. Am 3. Mai 1993 trat er von allen Ämtern zurück.

Mit Ratschlägen an seine Partei hat er sich seither zurückgehalten. "Doch wenn ich sehe, wie die Partei darbt, juckt es mitunter auch in den Fingern, mich einzumischen", sagt er. "Die SPD mag Fehler gemacht und ihre Vorsitzenden zu schnell ausgetauscht haben. Doch wenn eine Partei, die für eine Sozialgeschichte ohne gleichen steht, wie jetzt bei der Landtagswahl in Thüringen mit acht Prozent abgestraft und eine Populisten-Organisation dagegen mit mehr als 23 Prozent belohnt wird, kommen bei mir auf der einen Seite Unverständnis und auf der anderen Seite Wut und Tränen hoch", erläutert Engholm.

Gerne erinnert er sich dagegen an seinen 50. Geburtstag am 9. November 1989. Damals platzte die Nachricht von der Grenzöffnung in seinen Geburtstagsempfang im Lübecker Rathaus. "Mein erster Gedanke war: Das kann nicht wahr sein." Erst Tage später habe er realisiert, dass die Mauer tatsächlich gefallen war.

Auch an Engholms 80. Geburtstag wird es einen Empfang geben, diesmal in der Lübecker St. Jakobikirche. Dazu eingeladen haben die Hansestadt Lübeck, die Lübecker SPD, die Universität und die Musikhochschule der Hansestadt sowie das Willy-Brandt-Haus und die Gemeinde St. Jakobi, der Engholm seit vielen Jahren verbunden ist. Für die Zukunft wünsche er sich ganz im Sinne von Willy Brandt, dass die Welt wieder friedlicher werde, sagte Engholm. "Ich wünsche mir eine neue Generation von Politikern, die berechenbar ist und wieder mit Verstand, Leidenschaft und Herz an ihre Aufgabe rangeht."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: