Parteien im Landtagswahlkampf:Angst wählt links

"Wissen die in Berlin eigentlich noch, wie wir hier draußen leben?" Weil die Menschen sich bei den Volksparteien nicht mehr aufgehoben fühlen und weil die Deutschen das Linkswählen als Protestwählen verstehen, könnte die Linkspartei in Hessen die Fünf-Prozent-Hürde überwinden.

Hans Werner Kilz

Manchmal hat die Kanzlerin noch Kontakt zum Volk. Dann sitzt sie in ihrem Wahlkreisbüro in Mecklenburg-Vorpommern und hört sich an, was die Menschen, um deren Zustimmung sie wirbt, zu sagen haben.

Parteien im Landtagswahlkampf: Wenigstens die Architektur ist transparent: Schnappschuss ins Kanzlerbüro - Angela Merkel telefoniert abends im Bundeskanzleramt.

Wenigstens die Architektur ist transparent: Schnappschuss ins Kanzlerbüro - Angela Merkel telefoniert abends im Bundeskanzleramt.

(Foto: Foto: ddp)

Und die alte Dame aus Stralsund, die kürzlich in Angela Merkels Bürgersprechstunde kam, geht der Kanzlerin nicht mehr aus dem Kopf. Die alte Dame sagte, sie habe keine Wünsche und auch keine Beschwerden vorzutragen, sie wolle nur mal fragen, "ob Sie in Berlin eigentlich noch alle wissen, wie wir hier draußen wirklich leben?"

Da konnte die Kanzlerin von den Erfolgen der Großen Koalition berichten, von der Rente mit 67 und der Unternehmenssteuerreform, von Erbschaftsteuer, Bahnreform und Familiengeld, von weniger Arbeitslosen und dem Mindestlohn.

Und sie wusste und spürte, dass die alte Dame damit nicht zu erreichen war. "Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig", schrieb Kurt Tucholsky 1931, und er beklagte damals das Verhalten der politischen Klasse, die unfähig sei, das Denken der breiten Masse zu begreifen, dass sie eine Politik ohne "Liebe und Herz" mache. Zwei Jahre später war die erste deutsche Republik dahin.

Das ist in diesen Tagen 75 Jahre her und als politische Analogie vielleicht überzogen: Die Berliner Republik ist nicht die Weimarer Republik. Die Deutschen leben in einem stabilen Sozialstaat, der die demokratische Gesellschaft zusammenhält. Und doch gibt es großen Unmut, weil vieles von dem, was die Marktwirtschaft erlaubt, für die Menschen nicht mehr zu begreifen ist.

Immobiliengeschäfte in Amerika treiben deutsche Banken in die Pleite, ein französischer Aktienhändler verzockt fast fünf Milliarden Euro, ohne dass es einer bemerkt. Firmenmanager, die abgelöst werden, weil sie verhängnisvolle Fehler gemacht haben, kassieren Millionen-Abfindungen und steigen mit noch höherem Gehalt gleich wieder in den nächsten Job ein. Der finnische Handy-Hersteller Nokia kassiert vom Staat mehr als 80 Millionen Euro Subventionen, schließt trotz satter Gewinne das Werk in Bochum und bietet den Arbeitslosen sodann großzügig an, sie könnten sich auf jede offene Stelle im Konzern bewerben.

Die Wirtschaft wächst, aber die realen Einkommen der Arbeitnehmer sinken. Die Globalisierung schafft einen Wohlstand, der nur denen zugute kommt, die schon genug haben. Alle anderen werden abgehängt. Das Zutrauen der Menschen in die Politik schwindet, weil es immer mehr Arbeitnehmer gibt, die von dem, was sie verdienen, ihre Familien nicht mehr ernähren können. Der Generationenvertrag, der genau das garantieren sollte, ist hinfällig geworden. Die Menschen haben Angst vor der Zukunft.

Nur ein Doppelsieg hilft der CDU

Das ist die Botschaft der alten Dame aus Stralsund, die der Kanzlerin vermitteln wollte, dass sich das Volk bei den Politikern nicht mehr aufgehoben fühlt. Das ist auch das Szenario, das über den beiden Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen liegt, die an diesem Sonntag entschieden werden.

Es geht nicht nur darum, ob sich zwei CDU-Ministerpräsidenten, die zu den Besseren in ihrer Partei gehören, gegen linke Herausforderer behaupten können. Es würde der Union wenig nützen, wenn Christian Wulff in Niedersachsen - was alle annehmen - weiterregieren könnte, in Hessen aber Roland Koch die Macht abgeben müsste.

Das würde das Regieren der Großen Koalition in Berlin erschweren und den Machtkampf der beiden Parteivorsitzenden Angela Merkel und Kurt Beck innerhalb der Koalition weiter verschärfen. Vor allem aber würde es bedeuten, dass die Wähler nach Mehrheiten links von der Mitte suchen, weil sie empört sind über das Gebaren der Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien, die so scheinbar gescheit über "Deregulierung, Flexibilisierung und Modernisierung" in der Wirtschaft schwätzen und dabei vergessen, dass Millionen das inzwischen für sich mit Entlassung, Sozialhilfe und Armut übersetzen.

Am meisten verblüfft, dass ein Machtwechsel in Hessen überhaupt für möglich gehalten wird. Monatelang lag Roland Koch wie der schnarchende Löwe von Eschborn siegesgewiss vor seinem hessischen Gehege und belächelte die Herausfordererin Andrea Ypsilanti, der selbst die eigene Partei nichts zutraute. Wenn die Umfragen nicht trügen (was oft genug der Fall war), hat sich die Stimmung gegen Koch gewendet. Zu seinen notorisch schlechten Sympathiewerten kam der Zorn der Eltern über eine zu ehrgeizige und überhastet durchgezogene Schulreform, eine durchsichtige, demagogisch geschürte Hetze gegen Ausländer und der Ärger der Verbraucher über monopolistisch agierende Stromerzeuger, die auf Kern- und Kohlekraftwerke setzen statt auf erneuerbare Energien.

Ungewissheit über die Linke

Das alles wusste Andrea Ypsilanti für sich zu nutzen. Sie wurde von Tag zu Tag mutiger, die SPD zuversichtlicher. Auch der anfangs skeptische Kurt Beck stürzte sich in den Wahlkampf, als ginge es um seinen Kopf. Er weiß: Wenn die SPD stark zulegt oder gar gewinnt, hätten die Wähler den zaghaften Abschied von der Agenda 2010, für die Gerhard Schröder noch immer gefeiert wird, am Ende doch honoriert und Becks Kurs bestätigt.

Angst wählt links

Auch für die CDU geht es um eine Richtungswahl, denn Koch gehört zu den Ministerpräsidenten, die Merkels Beschwichtigungskurs nur widerwillig mittragen. Gewinnt Koch, wird er zu mehr Härte gegenüber den Sozialdemokraten raten. Verliert er, ist er seine Kronprinzenrolle in der Bundespartei los, und der geschmeidige Wulff wäre die einzige personelle Alternative zu Merkel. Danach sehnt sich auch keiner so recht.

In Hessen wird viel davon abhängen, ob die autoritär geführte Linkspartei den Sprung in den Landtag schafft oder Gregor Gysi und Oskar Lafontaine ihre Träume von der Linkspartei im Westen doch wieder aufgeben müssen. Die Situation ist paradox: Die SPD-Kandidatin muss hoffen, dass es die Linke schafft, weil SPD und Grüne allein keine Mehrheit gegen Koch zustande bringen. Andererseits hat Ypsilanti ein Bündnis mit den Linken ausgeschlossen, weil es die Hessen-SPD zerreißen würde; der FDP, die sich auf Koch festgelegt hat, fiele dann die Rolle der Mehrheitsbeschafferin zu.

Wenn die Linken die Fünf-Prozent-Hürde überwinden, hängt es bestimmt nicht am Personal. Das ist erschreckend schwach. Es wäre aber ein weiterer Beleg dafür, dass die Deutschen das Linkswählen als Protest verstehen. Sie laufen den Volksparteien weg, weil sie sich in deren Politik nicht mehr wiederfinden.

CDU wie SPD besetzen den schwammigen Begriff der "Mitte" oder "neuen Mitte", werben auf Plakatflächen mit einem verwaschenen Blau und merken gar nicht, wie ihnen mit dem Wechsel der Farben und der Begriffe die eigene Identität verlorengeht. Mehr als ein Drittel der Deutschen stufen sich inzwischen als links ein, doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Sie suchen keine Volksfront, sondern eine echte soziale Volkspartei - eine Partei, die sich nicht nur als sozial bezeichnet, sondern weiß, was daraus folgt.

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