Süddeutsche Zeitung

Parteien:Die Zukunft gehört den Dreierkoalitionen

Die Institution einer großen Koalition ist bald Geschichte. Die Stimmanteile der bisher großen Parteien werden weiter abschmelzen.

Kommentar von Kurt Kister

Der erste Monat des neuen Jahres ist schon wieder vorbei, und es gibt immer noch keine neue Regierung. Das ist keine Katastrophe, weil sehr vieles in diesem Staat von den Kommunen über die Bezirke und die Länder bis hin zum Bund genauso gut funktioniert, wenn es in Berlin nur eine geschäftsführende Regierung gibt.

Anders als dies habituelle Nörgler behaupten, ist das Land eben nicht von "Staatsversagen" geprägt, sondern davon, dass auf allen Ebenen politisch und auch sonst unterschiedlich gesinnte Menschen von Berufs wegen oder im Ehrenamt dafür sorgen, dass die Mehrzahl der Leute hierzulande besser und sicherer lebt als Milliarden Menschen in anderen Ländern.

Es ist schwierig, nicht über die Regierungspolitik zu nörgeln

Man muss dies hin und wieder sagen, denn manchmal entsteht der Eindruck, in Deutschland gehe es überwiegend chaotisch, ungerecht und undemokratisch zu. Es gibt, nicht nur bei der AfD und Teilen der Linkspartei, sondern bis weit hinein ins sogenannte bürgerliche Lager, eine Lust an destruktivem Streit und an einer aggressiven Anstandslosigkeit, die ihre Protagonisten gerne als "Streitkultur" verbrämen. Solange nur einige Leute lachen und ein Satz 34-mal retweetet wird, ist alles toll, sogar das Übelste.

Ein Beispiel für die Allgegenwart des Sich- und andere-Lächerlichmachens war die politische Dummheit von Alexander Dobrindt, interne Debatten in der SPD noch vor den Koalitionsverhandlungen mit eben jener SPD als "Zwergenaufstand" zu bezeichnen. Politisch nicht wesentlich klüger war die Reaktion vieler Jusos, sich beim Parteitag Zipfelmützen aufzusetzen, weil das "witzig" aussah und sich so schön selfisieren ließ. Diese Art der Kommunikation, bei der Politik zum meme, zum albernen Bildchen wird, befördert nicht die Lebhaftigkeit von Politik, sondern ihre Lächerlichkeit.

Allerdings ist es gegenwärtig auch etwas schwierig, über die Partei- und Regierungsbildungspolitik nicht zu nörgeln. Im Moment scheint die CDU die einzige Partei zu sein, die regieren will, was weniger mit Politik als vielmehr mit der Lebensplanung der Parteivorsitzenden zu tun hat.

Die CSU war nach der Bundestagswahl zuerst mit der Selbstzerlegung beschäftigt. Nun, nachdem Söder kommt und Jamaika gescheitert ist, bemühen sich relativ viele CSU-Leute, die große Koalition durch ausgedehntes Geschwätz darüber, was alles nicht geht, ebenfalls scheitern zu lassen.

Jetzt heißt es, die Koalitionsverhandlungen sollen bis zum 4. Februar abgeschlossen sein. Dies ändert nichts daran, dass bei der SPD zurzeit ungefähr die Hälfte der Aktiven nicht regieren will, jedenfalls nicht mit der Union. Das hätte man früher ein "Projekt" genannt: Die Partei möchte in erster Linie im Bundestag sitzen, um dort vor der AfD als größte Oppositionspartei zu wirken, und in zweiter Linie, um in gemeinsamen Anstrengungen endlich wieder das zu werden, was die SPD vor den Godesberger Beschlüssen von 1959 mal war. (Allerdings lebten 1959 vielleicht noch ein paar Menschen, die sich persönlich an Karl Marx, 1883 auf dem Friedhof von Highgate in London beerdigt, erinnern konnten.)

Die SPD will sich erneuern

Wie viele der nicht mehr ganz so vielen SPD-Sympathisanten würden wohl, falls die Mitglieder der SPD die große Koalition doch noch ablehnen, bei einer Neuwahl erneut der SPD ihre Stimmen geben? Es ist völlig in Ordnung, dass sich eine Partei, die von Gerhard Schröders 40,9 Prozent (1998) auf jetzt 20 Prozent gefallen ist, verändern will. (Zur Erinnerung: Die besten Wahlergebnisse erzielte die SPD in den letzten 30 Jahren mit dem nicht linken Spitzenkandidaten Schröder.)

Wenn diese Veränderung allerdings einschließt, dass die Parteimitglieder nur eine Koalition wollen, welche die Verhältnisse im Bund nicht hergeben (Rot-Rot-Grün), dann würden selbst viele jener Wähler, die 2017 noch SPD gewählt haben, 2018 für die Grünen, möglicherweise für die Union oder auch für die Linkspartei stimmen.

Die SPD könnte zu einer 17-oder-15-Prozent-Partei der reinen Lehre werden. Damit wäre die SPD nicht mehr in der Schwergewichtsklasse der Union, sondern konkurrierte mit den Mittelgewichtlern von AfD, Grünen oder Linkspartei im Bereich von zehn Prozent plus. Dies wäre eine große Veränderung, wenn auch nicht die von der Parteilinken erstrebte.

Die FDP hat sich erneuert

Von Lindners FDP weiß man, dass sie am liebsten mit Lindners FDP koalieren würde. Mit der Union geht nicht, weil zu alt, mit den Grünen geht nicht, weil zu volkspädagogisch, mit der SPD sowieso nicht. So ist das mit FDP und SPD: Die einen wollen nicht koalieren, weil sie sich erneuert haben; die anderen wollen nicht koalieren, weil sie sich noch erneuern müssen.

In Deutschland, der auch in dieser Hinsicht verspäteten Nation, findet das statt, was anderswo in Europa schon stattgefunden hat: Jene Parteien, die über Jahrzehnte hinweg in wechselnden Konstellationen regiert haben, verlieren an Stärke und zwar so lange, bis sie sich alle mit jeweils zehn bis zwanzig Prozent in den nationalen Wahlen wiederfinden. Die SPD steckt bereits in dieser Entwicklung, die Union wird folgen. (Auf Länderebene macht die CDU im Osten schon diese Erfahrung.)

Die Wahrscheinlichkeit, dass es mittelfristig weiterhin eine oder zwei stets dominierende Parteien geben wird, ist eher gering. Damit wird auch die Institution einer "großen" Koalition Geschichte. Gut möglich, dass spätestens bei der übernächsten Bundestagswahl Union und SPD zusammen nicht mehr über 50 Prozent liegen werden. Dreierkonstellationen sind also in Zukunft sehr wahrscheinlich.

Solche Dreierkonstellationen aber bedeuten grundsätzlich auch, dass jede der Beteiligten größere Kompromisse eingehen muss. Und damit wiederum werden die Widersprüche zwischen den tendenziell noch mehr polarisierenden Wahlkämpfen und den danach entstehenden Koalitionsverträgen noch größer - was zu einem weiteren Abschmelzen der Stimmanteile der Parteien führen wird. Schwierige Zeiten.

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SZ vom 27.01.2018/lkr
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