Süddeutsche Zeitung

Parteiausschluss:Der erste Bruch

Die AfD hat einen Rechtaußen aus der Partei geworfen, viele andere sind noch dabei. Zwar positioniert sich der Vorsitzende Jörg Meuthen neu - entscheidend aber werden die nächsten Schritte sein.

Von Jens Schneider

Ein Reflex könnte lauten: Gar nichts ändert dieser Rausschmiss in der AfD. Wenn ein extremer Rechtsaußen wie der Brandenburger Fraktionschef Andreas Kalbitz gehen muss, sind doch noch viele andere da, die denken und reden wie der fremdenfeindliche Scharfmacher mit der rechten Vergangenheit. Nicht nur Weggefährte Björn Höcke, Hunderte stehen in der AfD treu zu Kalbitz. Mehr noch: Inhaltlich lagen seine Gegner, die ihn nun unbedingt loswerden wollten, meist mit ihm auf einer Linie, auch Parteichef Jörg Meuthen. Die AfD ist an diesem Wochenende keine neue Partei geworden.

Dennoch ist es etwas anders als in vergangenen Jahren, als sich die Partei mit nahezu jedem Konflikt weiter nach rechts bewegte und alle Versuche scheiterten, den Einfluss der Rechtsaußen zu begrenzen, weil sie stets genug Verbündete fanden. Diesmal verlieren die äußerst Rechten, Kalbitz war eine ihrer zentralen Figuren. Damit könnte diese Entscheidung eine Zäsur in der Geschichte der AfD markieren. Sie wäre nicht das Ende, aber eine wichtige Wegmarke in ihrem Richtungskampf. Dieser spaltet schon jetzt die Parteispitze, wo die beiden Vorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla meist gegeneinander arbeiten und jedes Vertrauen zueinander verloren haben.

Ein Rechtsaußen ist weg. Aber die moderaten Konservativen müssen sich erst noch zeigen

Unerbittlicher Streit begleitete die AfD seit ihrer Gründung vor sieben Jahren. Man nahm ihn zuletzt eher gelangweilt zur Kenntnis, weil die Partei dennoch immer neue Erfolge bei Wahlen einfuhr. Aber diese Zeiten könnten vorbei sein, und für einige der Beteiligten geht es um ihr politisches Überleben. Intern ist davon die Rede, dass man verspielen könnte, was seit 2013 erreicht wurde. Statt der aus den Wahlerfolgen genährten Selbstgewissheit prägt Unsicherheit die Partei, die in Umfragen stagniert und stark daran leidet, dass der Verfassungsschutz sie in den Fokus genommen hat.

Für die AfD ist zur Last geworden, was ihr zuvor lange genutzt hatte: das Beharren auf die Einheit von rechts bis rechts außen. Man setzte auf ein breites rechtes Bündnis zum gegenseitigen Nutzen. Die ganz Rechten um Höcke und Kalbitz wären ohne die bürgerlichen Rechtskonservativen an ihrer Seite nie so erfolgreich gewesen - und die wiederum profitierten gern von der Anziehungskraft der Rechtsaußen gerade im Osten. Nun sind bei Leuten wie Meuthen die Zweifel an dieser Symbiose gewachsen, aus taktischen und, wenn man ihnen glauben möchte, auch aus inhaltlichen Gründen. Politisch steht die AfD vor der Frage, wie sie sich zum parlamentarischen System stellen will, zu dem viele der radikalen Kräfte ein taktisches Verhältnis haben. Für diese Leute sind die Landtage und der Bundestag eine Bühne, auf der sie die Vertreter der Demokratie vorführen wollen.

Der Parteichef Meuthen spricht dagegen immer häufiger von einem rechtskonservativen Kurs mit dem Ziel einer Regierungsbeteiligung. Gewiss, dieser Gedanke mutet angesichts des Zustands und der Inhalte der AfD aktuell absurd an. Auch ist Meuthen früher nicht als Gegner der Rechtsaußen aufgefallen. Er hat mit Höcke und Kalbitz paktiert, sie auch hofiert.

In diesem Juli ist Meuthen seit fünf Jahren Vorsitzender der AfD, so lange wie kein anderer. Er hat in dieser Zeit viele Volten vorgeführt, immer mit Blick auf seine Stellung. Taktisch ist jetzt die Abgrenzung gegen Rechtsaußen der logische Weg - nicht nur, weil die Höckes dieser Partei ihm den Kampf angesagt haben, ihn ablösen wollen.

Meuthen und seinesgleichen machen eine einfache Rechnung auf: So lange die ganz Rechten dabei sind, werde die Partei gerade im Westen viele potenzielle Wähler nie erreichen, und das ließe sich durch noch so starke Erfolge im Osten nie ausgleichen. Das gilt um so mehr angesichts der berechtigten Beobachtung des rechten Flügels durch den Verfassungsschutz, dessen Arbeit Wirkung zeigt.

Mit Leuten wie Kalbitz sieht man sich in einer Sackgasse, während die Widersacher in der Parteiführung wie der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland warnen, dass jede Spaltung die AfD schwächen würde. Das ist der zentrale Konflikt, in dem Meuthen einen ersten Erfolg erzielt hat, während Gauland und der Co-Vorsitzende Chrupalla eine Niederlage erlitten. Weil keiner in dieser Riege noch die Autorität des anderen anerkennt, wirkt die AfD aktuell führungslos. Auch Wähler dürften sich fragen, ob und wer da das Sagen hat.

Meuthen setzt im Kampf um die Partei auf einzelne Schritte. Er hat vor Augen, wie seine Vorgänger Frauke Petry und Bernd Lucke scheiterten, als sie in einer großen Konfrontation den Bruch mit den ganz Rechten einforderten. Aber seine Taktik wird an Grenzen stoßen, wenn er nicht auch den Konflikt mit Höcke sucht. Beobachter der AfD werden oft gefragt, wer denn die moderaten Konservativen sein sollen, die es angeblich in der Partei geben soll. Wer sich in ihren Reihen so sieht, müsste sich nun zeigen. Vorerst ist nur ein Rechtsaußen weg. Einer nur, viele andere sind weiter in der AfD.

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SZ vom 27.07.2020
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