"Partei Gottes":Hisbollahs widersprüchliche Zweiteilung

Lesezeit: 2 min

Polizisten durchsuchen einen Berliner Moscheeverein, nachdem das Innenministerium der Hisbollah verboten hatte, sich in Deutschland zu betätigen. Da sie eine ausländische Vereinigung ist, ist es nicht möglich, sie hierzulande zu verbieten. (Foto: imago images/snapshot)

Die Hisbollah ist eine paramilitärische Macht und in Libanon eine populäre Partei. Iran kritisiert ihr Betätigungsverbot in Deutschland als "respektlos".

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Diese Reaktion überrascht nicht: Kaum hatte Innenminister Horst Seehofer ein umfassendes Betätigungsverbot in Deutschland für die Hisbollah ausgesprochen, meldete sich die iranische Regierung. "Diese Entscheidung der deutschen Regierung gegen Hisbollah war irrational und eine Respektlosigkeit gegenüber Libanon und der libanesischen Regierung", sagte Außenamtssprecher Abbas Mussawi.

Was an Argumentation folgte, war ebenso vorhersehbar. Die libanesische Schiiten-Organisation sei eine anerkannte, populäre und legitime politische Partei im Libanon, keine Terrororganisation, so der Sprecher. Sie sei viel mehr ein Gegner des "wahren Terrorismus" in der Region. Die Quintessenz der iranischen Schelte: Deutschland ist der Lakai Israels.

Das ist der Klassiker aus dem Textbuch der Islamischen Republik, wenn es um die "Partei Gottes" geht. Demnach kann jede Kritik an der Hisbollah, die nicht nur eine wichtige politische Partei im Libanon ist, sondern auch die schlagkräftigste paramilitärische Maschinerie im gesamten Nahen Osten stellt, nur den Zielen Israels dienen. Und natürlich, Feind Nummer zwei, der "politisch verwirrten US-Regierung".

Ähnlichkeiten mit der Hamas, aber auch der IRA

Die Iraner spielen mit einem Phänomen, dass die meisten Untergrundorganisation kennzeichnet - sie haben einen politischen und einen militärischen Arm. Das gilt von der Hisbollah über die palästinensische Hamas bis hin zur IRA in Irland. Bei der Hisbollah ist diese Teilung allerdings besonders augenfällig.

Die "Partei Gottes" sitzt dank ihrer großen Popularität unter den Schiiten im Libanon seit langen in den Regierungen und bildet mit ihrer verzweigten Organisation gleichzeitig einen kabinettsunabhängigen Staat im Staat. So leistet sie umfangreich Sozialarbeit nicht nur für Schiiten, sondern für alle Volks- und Religionsgruppen des Libanon, und ist auch stark mit der Wirtschaft vernetzt. Ruft die Hisbollah zum "Widerstand gegen Israel auf", kann keine libanesische Regierung Nein sagen, gegen Zehntausende Hisbollah-Kämpfer wagt nicht einmal die libanesische Armee vorzugehen.

Der Begriff "Widerstand" ist entscheidend, um die aus europäischer Sicht widersprüchliche Zweiteilung einer Organisation in eine zivile, politische Partei und eine militärisch aufgestellte Terrororganisation zu verstehen. Er erklärt, warum sich viele europäischen Staaten bei der Hisbollah mit einer Einstufung als Terrorgruppe schwer getan haben.

Der Kampf gegen Israel wird von allen arabischen und iranischen Widerstandsgruppen mangels Mitteln meist mit terroristischen Anschlägen und selten offen militärisch geführt. Aus radikaler arabischer und iranischer Sicht ist im Kampf gegen Israel eben alles ein Akt des Widerstands gegen die jüdische Staatsgründung auf palästinenisch-arabisch-muslimischem Boden - an dessen Ende steht das Ende des Judenstaats. Also ist auch die Hisbollah eine "Widerstandsorganisation" - oder aber, in den Augen Israels, der USA und der meisten europäischen Staaten, eine Terrororganisation.

US-Außenminister Mike Pompeo lobte umgehend die deutsche Entscheidung und appellierte an alle Staaten der Europäischen Union, diesem Beispiel zu folgen. Die US-Botschaft in Berlin und Israels Regierung haben in den vergangenen zwei Jahren ihren Druck intensiviert. Dementsprechend zufrieden äußerten sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Außenminister Israel Katz über die deutsche Kehrtwende.

Weltweite Anschläge

Der Hisbollah-Terror im Kampf gegen den jüdischen Staat ist nicht nur auf den Nahen Osten begrenzt. Es gab in Europa und in Lateinamerika schwere Anschläge gegen jüdische Einrichtungen, etwa in Argentinien in den 1990er-Jahren, als bei Attacken auf diplomatische Einrichtungen und ein Kulturzentrum Dutzende Menschen starben. In jener Zeit wandelte sich die paramilitärische Organisation dank ihrer militärischen Erfolge immer mehr auch zu einer erfolgreichen Partei.

Deutschland ist für die 1982 gegründete Hisbollah ein wichtiger Rückzugsraum. Hier kann die Partei durch Spendenkampagnen unter den Auslandslibanesen - über die ganze Welt verteilt sind das mit über zehn Millionen weit mehr als die eigentliche Bevölkerung des kleinen Landes - finanziert werden. Hinzu kommen Schutzgelderpressung und andere Formen organisierter Kriminalität. Als Tarnkulisse dienen in Deutschland oft schiitische Moschee- oder Kulturvereine.

© SZ vom 02.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Terrorismus
:Hisbollah in Deutschland komplett verboten

Das Bundesinnenministerium verbietet die Aktivitäten der Hisbollah. Es gab Razzien in Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen.

Von Florian Flade und Georg Mascolo

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: