Parlametarismus:Abgeordneten-Stolz

Mit Hans-Christian Ströbele und Wolfgang Bosbach werden zwei Politiker 2017 nicht mehr kandidieren, die als Abgeordnete zum Vorbild taugen. Beide haben keine Regierungsämter bekleidet, beide sind vor allem sich selbst treu und dadurch unabhängig geblieben.

Von Stefan Braun

Hans-Christian Ströbele und Wolfgang Bosbach haben so gut wie nichts gemeinsam. Der eine kämpft zeit seines Lebens für die Grünen, der andere streitet von jeher für die Christdemokraten. Ströbeles Kerngeschäft ist der kritische Blick auf die Sicherheitsbehörden; Bosbach sieht seine Aufgabe darin, sie wo immer möglich zu stärken. Wenn sie in Reden im Parlament aufeinandertreffen, schenken sie sich nichts. Es gibt keine Positionen, die kompatibel wären. Nur eines verbindet sie seit Dienstag: Beide werden 2017 nicht mehr antreten.

Das indes ist keine Randnotiz im schnellen Kommen und Gehen vor Wahlen. In diesen beiden verliert das Parlament besondere Persönlichkeiten. Beide sind in ihrer Karriere immer Abgeordnete geblieben. Und das hat sie im Laufe der Jahre auf eine Weise geprägt, die selten geworden ist auf den Bundestagsbänken. Sie wollten und haben sich weniger verbiegen lassen durch Kompromisse. Sie blieben ihren Positionen treu, weil sie wie Ströbele nie oder wie Bosbach irgendwann nicht mehr auf höhere Posten schielten.

Damit wurden sie genau jene Abgeordnete, die sich die Verfasser des Grundgesetzes gewünscht hatten: leidenschaftlich, kämpferisch, die offene Debatte liebend, und ja, am Ende zuallererst ihrem Gewissen verpflichtet. Ströbeles Ablehnung von Kriegseinsätzen ist bei Bosbach das Nein zur Griechenlandrettung; und Artikel 38 des Grundgesetzes wurde dabei Schirm und Fundament für die beiden.

Glattpolierte Organisatoren der Macht gibt es genug

Die Konsequenzen dieser Unabhängigkeit sind erheblich. Beide mussten auf Macht verzichten; ein Amt in der Regierung blieb ihnen verschlossen. Gleichzeitig haben sie die Macht des Parlaments in vollen Zügen genossen. Die Kontrollmöglichkeiten in Untersuchungsausschüssen; die besondere Freiheit bei Abstimmungen; die Kraft des eigenen Worts, wenn man es richtig einsetzt. Dabei sind sie ihren Kollegen in den Fraktionen nie wirklich untreu geworden; sie haben ihnen eher den Spiegel vorgehalten. Sie haben ihnen vorgelebt, was möglich und manchmal nötig ist, um in Streitfällen bei sich zu bleiben.

Für alle, die Macht organisieren müssen, ist das schwer auszuhalten. Für jene, die auch in schwierigen Momenten im Parlament Mehrheiten brauchen, sind Ströbele und Bosbach ein Graus gewesen. Niemand kann das besser beschreiben als Joschka Fischer, der als Außenminister stets fürchten musste, dass Ströbele einen Parteitag gegen ihn aufbringen würde. "Ströbele wählen heißt Fischer quälen" - das stand 2002 auf Ströbeles Wahlplakaten. Legendär ist freilich auch der Wutausbruch Ronald Pofallas, der sich als Kanzleramtsminister so sehr über Bosbach erregte, dass er ihm ein Ich-kann-deine-Fresse-nicht-mehr-sehen zuraunte. Eine Beschimpfung, die zur Adelung des Geschmähten wurde.

Bei all dem darf man nicht vergessen, dass Ströbele wie Bosbach nicht immer nur das eine gute, gerechte, ehrenvolle Motiv verfolgt haben. Natürlich haben beide es auch verstanden, aus ihrer solitären Rolle eine besondere Marke zu machen. Und beide wissen sehr gut, dass all das nur möglich war, weil sie mit ihren Positionen eine Regierung nie wirklich gefährdet haben. Unvergessen ist jener schale Kompromiss bei der Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz, der Ströbele ein Nein erlaubte, weil andere Kriegskritiker schweren Herzens dafür stimmten.

Eines freilich stimmt auch, trotz aller Konflikte mit Parteispitzen und Ministern: Ströbele und Bosbach haben ihren Parteien nie geschadet. Sie haben ihnen im Gegenteil Leidenschaft, Kontur und Profil gegeben. Es wäre fatal, wenn mit ihrem Abschied auch der Typus Parlamentarier Adieu sagen würde. Glattpolierte Machtorganisatoren gibt es genügend.

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