Süddeutsche Zeitung

Dänemark:Wahlkampf auf dem Rücken der Zuwanderer

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Von Silke Bigalke, Kopenhagen

Knapper geht es kaum: 49,3 zu 50,7 Prozent steht es am Tag vor der Parlamentswahl in Dänemark. Die beiden großen Parteienblöcke stehen fast gleichauf, schon wenige Stimmen könnten den Ausschlag geben. Immer mehr spitzt sich alles auf das Duell der beiden Kandidaten zu: Sozialdemokratin Thorning-Schmidt für den "roten" Mitte-links-Block, der konservative Oppositionsführer Lars Løkke Rasmussen für den "blauen" Mitte-rechts-Block.

Der letzten Umfrage der Tageszeitung Politiken zufolge liegt Rasmussen ganz knapp vorne. Aber solche Umfragen gibt es schon seit Wochen mehrmals täglich, und der Abstand zwischen den Kontrahenten ist nur noch minimal.

Rechtspopulisten im Aufwind

Vor allem in den letzten Tagen des Wahlkampfs zündete ein Thema, das den Rechtspopulisten der Dänischen Volkspartei Aufwind verschafft: Sie sprechen sich gegen Zuwanderung aus - und stehen in Umfragen bei etwa 19 Prozent. Sie haben erklärt, den konservativen Premier-Kandidat unterstützen zu wollen.

Anfang dieser Woche ist Premierministerin Helle Thorning-Schmidt noch mal durchs Land getourt, zwölf Städte in zwei Tagen. Man munkelt, sie sei nervös geworden, weil die Gegenseite in der vergangenen Woche punkten konnte. Da hat ihr Kontrahent die Debatte auf die Flüchtlinge in Dänemark gelenkt. Bei diesem Thema steht der blaue Block hinter Rasmussen in der Gunst der Wähler stets besser da. Rasmussen möchte, dass weniger Menschen nach Dänemark kommen.

Rasmussens Image ist angekratzt

Lars Løkke Rasmussen, der das Land zwischen 2009 und 2011 regiert hat, ist in einer schwierigen Situation. Er hat die Umfragen stets angeführt, seitdem er vor vier Jahren in die Opposition gegangen ist. Lange galt sein Sieg bei der nächsten Wahl als sicher. Rasmussen ist als Politiker erfahrener als Thorning-Schmidt, war schon Innen- und Gesundheitsminister sowie Finanzminister, bevor er Ministerpräsident wurde. Noch im Januar lag sein Vorsprung bei etwa neun Prozent. Doch seither hat Helle Thorning-Schmidt aufgeholt, bis zum Gleichstand Anfang Juni.

Ins Straucheln geriet Rasmussen zum ersten Mal im Sommer 2013. Damals wurde bekannt, dass er als Geschäftsführer der Klima-Organisation Global Green Growth Initiative (GGGI) auf deren Kosten erster Klasse geflogen war. Die Organisation wird teilweise aus Steuergeld finanziert. Später kam noch heraus, dass Rasmussen teure Anzüge auf Parteikosten gekauft hatte. All das war nicht rechtswidrig, und trotz Rücktrittsgerüchten blieb Rasmussen Parteichef der Liberalen. Doch sein Image war angekratzt.

Thorning-Schmidt enttäuschte viele Wähler

Dabei hatten die Dänen lange Zeit mehr Vertrauen in Rasmussen als in Thorning-Schmidt. Als die Sozialdemokratin 2011 in die Staatskanzlei einzog, fielen ihre Umfragewerte auf ein Rekordtief. Sie enttäuschte viele Wähler, die sich die Rückkehr zu einem großzügigeren Wohlfahrtsstaat erhofft hatten. Stattdessen kürzte Thorning-Schmidt Sozialleistungen, Dänemark musste sparen. Gleichzeitig zeigte sie sich in teuren Outfits, wurde bald als "Gucci-Helle" verspottet. Lange hieß es, die heimliche Staatslenkerin sei ohnehin ihre Wirtschafts- und Innenministerin Margrethe Vestager, Parteichefin der Sozialliberalen und Thorning-Schmidts Koalitionspartnerin. Dann schickte sie Vestager als Wettbewerbskommissarin nach Brüssel.

Im Wahlkampf setzt Thorning-Schmidt nun trotzdem auf Wirtschaftsthemen. Am 26. Mai hat ihre Regierung die Wachstumserwartungen für 2015 auf 1,7 Prozent heraufgesetzt. Thorning-Schmidt möchte die Sozialleistungen ein wenig erhöhen, Rasmussen möchte lieber Steuern senken. Wer gewinnt, hänge vor allem davon ab, was den Wählern wichtiger sei, sagt Kasper Møller Hansen, Politikprofessor an der Uni Kopenhagen: Die Angst vor Zuwanderung - oder die vor sozialer Kälte.

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SZ vom 18.06.2015
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