Parlamentswahlen in Israel:Schön langsam in Richtung Panik

  • Israel wählt heute ein neues Parlament. Die letzten Umfragen sehen Herausforderer Isaac Herzog mit seiner Zionistischen Union vor dem Likud des amtierenden Regierungschefs Benjamin Netanjahu.
  • Premierminister Netanjahu hat im Wahlkampf vor allem auf das Thema Sicherheit gesetzt - und sich hier erneut als Hardliner gezeigt.
  • Sein Gegner Herzog hat sich eher innenpolitischen Themen wie den steigenden Lebenshaltungskosten in Israel zugewandt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Wer Siegeswillen demonstrieren will, der muss früh aufstehen. In Jerusalem hat es noch nicht einmal acht Uhr geschlagen, da steht Israels Premierminister Benjamin Netanjahu schon mit breitest möglichem Lächeln im Wahllokal, die blaue Krawatte passt zum blauen Wahlumschlag, den er in der blauen Wahlurne versenkt. In einer Tel Aviver Schule absolviert sein Herausforderer Isaac Herzog wenig später das gleiche Ritual mit ziemlich ähnlicher Krawatte. Höchst unterschiedlich dürften allerdings die Hoffnungen sein, mit der die beiden in den Wahltag gehen.

Herzog setzt auf den Wandel, auf ein anderes Israel - Netanjahu propagiert ein zunehmend robustes "Weiter so". Im Schluss-Spurt hat er sich sogar noch aufgeschwungen zu einer Absage an einen Palästinenser-Staat. So hofft er, die Stimmen der Rechten auf sich zu vereinen.

Zuvor hatte er vor einer weltweiten Konspiration gewarnt mit dem Ziel, seine Likud-Regierung zu stürzen. Hinter dem Komplott, so verbreitete er via Facebook, steckten die Linken, die Medien und nicht näher genannte ausländische Kräfte. "Israels Sicherheit ist in Gefahr", warnt er.

Benjamin Netanjahu, Israel

Früh auf den Beinen in Jerusalem: Der amtierende Regierungschef Benjamin Netanjahu versenkt seine Stimme in der Wahlurne.

(Foto: AFP)

Doch in Gefahr ist offenbar zunächst einmal er selbst. Denn der Rechtsruck ebenso wie die Verschwörungstheorie gilt seinen Gegnern als sicheres Anzeichen, dass sich der Regierungschef schön langsam dem Zustand der Panik nähert.

Als Netanjahu im vorigen Dezember dem Land nach nicht einmal zwei Regierungsjahren seiner Mitte-rechts-Koalition eine Neuwahl verordnete, war er sich eines lockeren Sieges sicher. Er hatte sich kurzerhand seiner liberalen Koalitionspartner entledigt, um nach der Wahl ein für ihn bequemeres Bündnis mit den Rechten und Religiösen einzugehen.

Spontane Wähler, zersplittertes Parteienspektrum

Doch offenbar hat er dabei die Rechnung ohne den Wähler gemacht. Denn je länger der Wahlkampf dauerte, desto mehr geriet der Regierungschef in die Defensive. Die letzten Umfragen, die am Wochenende veröffentlicht wurden, zeigten übereinstimmend einen Vorsprung des Herausforderers Isaac Herzog und seiner Zionistischen Union von drei bis fünf Parlamentssitzen gegenüber dem Likud von Netanjahu.

Das letzte Wort ist damit allerdings noch längst nicht gesprochen. Denn zum einen sind Israels Wähler traditionell spontan: 14 Prozent gaben an, dass sie sich erst in letzter Minute entscheiden wollten. Zum anderen sorgt das zersplitterte Parteienspektrum dafür, dass auf das Wahlkampfgerangel sofort das Koalitionsgerangel folgt.

Insgesamt elf Parteien werden Chancen eingeräumt, in die Knesset einzuziehen. 120 Sitze sind dort zu vergeben, und selbst die in Führung liegende Zionistische Union kommt in keiner Umfrage auf mehr als 27 Mandate. Wer mit wem und warum nicht - darum also wird sich alles drehen in den Wochen nach der Wahl.

Basar der politischen Unterstützer

Das Parlament wird zum Basar, auf dem die Parteiführer um den Preis für politische Unterstützung feilschen. Anders als in den Umfragen wird Netanjahu hier leicht im Vorteil gesehen, weil für ihn ein strammer rechts-religiöser Block wohl einfacher zu schmieden wäre als für Herzog jenes heterogene Bündnis, das er zur Mehrheit braucht.

Doch Israels Politik lebt von der Überraschung - und die erste ist Herzog schon ganz zu Beginn des Wahlkampfs gelungen, als er seine vormals linke Arbeitspartei in eine Allianz mit der früheren Außen- und Justizministerin Tzipi Livni führte. Die dabei vereinbarte Rotation an der Regierungsspitze wurde am Montag in letzter Minute wieder gekippt - Livni verzichtet darauf, um die Koalitionsverhandlungen zu erleichtern.

Das Bündnis der beiden nennt sich "Zionistische Union", hat sich im politischen Zentrum positioniert - und genau hier wie auch im religiösen Lager gibt es einen Pool von Parteien, die sich sowohl auf die eine wie auf die andere Seite schlagen könnten.

Dazu gehört zuvorderst die auf Sozialthemen fokussierte neue Kulanu-Partei des populären Likud-Renegaten Mosche Kachlon, der erst an diesem Wochenende ein Angebot Netanjahus für das Finanzministerium als verfrüht ausschlug.

Gern umwerben lässt sich auch Außenminister Avigdor Lieberman mit seiner nationalistischen Partei "Unser Haus Israel". Ihm war es schon immer egal, wer unter ihm als Premier amtiert, wenn er nur einen feinen Ministerposten bekommt. Aktuell zielt er auf das Verteidigungsministerium.

Wichtige Weichenstellungen

Und selbst die ultra-orthodoxe Schas-Partei, die Netanjahu schon fast im Säckel glaubte, hat wissen lassen, dass sie grundsätzlich offen ist nach beiden Seiten, solange der Preis stimmt. In ihrem Fall bedeutet dies, dass ein von der vorigen Regierung erlassenes Gesetz einkassiert wird, das auch die Frommen zum Wehrdienst verpflichtet.

Das längst schon vor der Auszählung der Stimmen einsetzende Geschacher überdeckt leicht, dass es bei dieser Wahl tatsächlich um eine wichtige Weichenstellung geht. Netanjahu, der seit sechs Jahren ununterbrochen regiert und bereits Ende der neunziger Jahre schon einmal eine dreijährige Amtszeit absolvierte, hat das Land nach Ansicht seiner Kritiker außen- wie innenpolitisch in eine Sackgasse manövriert.

Gegenüber den Palästinensern hat er nun seine Position noch einmal verhärtet - das dürfte die Entfremdung selbst zu den engsten Verbündeten weiter befördern. Vor allem gilt das für die Beziehungen zu den USA. Netanjahus Verhältnis zu Präsident Barack Obama gilt als zerrüttet, und das nicht erst, seit Israels Premier vor zwei Wochen im US-Kongress polternd gegen Obamas Iran-Politik zu Felde zog. Herzog verspricht nun nicht nur die Reparatur der Beziehungen zu Washington, sondern auch einen neuen Anlauf im Friedensprozess.

Was Herausforderer Herzog Auftrieb gibt

Innenpolitisch hat Netanjahu auch im Wahlkampf keine Antworten gegeben auf die drängenden sozialen Fragen, die Israels Bevölkerung seit langem umtreiben. Im Gegenteil: Erst machten er und seine Frau Schlagzeilen durch enorm hohe Ausgaben in ihren Residenzen.

Isaac Herzog

Früh auf den Beinen in Tel Aviv: Herausforderer Isaac Herzog beim Wählen.

(Foto: AP)

Dann schrieb ein offizieller Bericht, dessen Veröffentlichung der Likud vergeblich zu unterdrücken versuchte, seiner Regierung die Verantwortung dafür zu, dass in den vergangenen fünf Jahren die Immobilienpreise um 55 Prozent und die Mietpreise um 30 Prozent gestiegen sind.

Während Herzog das Thema umgehend aufgriff und schnelle Abhilfe versprach, setzte Netanjahu wie bei früheren Wahlen weiterhin allein auf das Thema Sicherheit, und hier vor allem auf die Angst der Wähler vor einer iranischen Atombomben-Bedrohung. Doch gezündet hat diese Strategie nicht: Zwei Drittel der Wähler geben an, dass die hohen Lebenshaltungskosten für sie das wichtigste Thema bei ihrer Wahlentscheidung sind.

Bibi-Dämmerung? Nicht mit Netanjahu

Das gibt Herzog Auftrieb, der lange Zeit als blasser und somit von vornherein chancenloser Kandidat gegolten hatte. Charisma ist ihm tatsächlich auch im Laufe dieser Wahlkampagne nicht zugewachsen, doch er hat auf seinem Weg breite Unterstützung eingesammelt.

So hat sich nicht nur der altersweise Ex-Präsident Schimon Peres an seine Seite gestellt und ihn als "ehrlichen und verantwortungsbewussten Führer" gelobt. Auch eine große Gruppe von Ex-Generälen inklusive der beiden ehemaligen Chefs des Mossad und des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Meir Dagan und Juval Diskin, sprechen sich für Herzog aus - und verleihen ihm damit eine Art sicherheitspolitischen Ritterschlag.

Kein Wunder, dass seit Tagen schon die Zeitungen voll sind mit Klagen anonymer Likud-Politiker, die ihrem Frontmann eine komplett verfehlte Wahlkampf-Strategie vorwerfen. Er habe die "Anti-Bibi-Stimmung" unterschätzt, heißt es in Anspielung auf seinen Spitznamen. Da rächt es sich, dass er sich auch intern viele Feinde gemacht hat.

Doch Netanjahu selbst will von einer Bibi-Dämmerung nichts wissen, für ihn ist der Kampf noch längst nicht vorbei. "Ich denke nicht an einen Rückzug", erklärt er, "ich denke an den Sieg."

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