Parlamentswahlen in Frankreich:Risse in der Front gegen Rechts

"Die Dämme brechen", jubelt die französische Rechte. Frankreichs Konservative geben ihre Abgrenzung zu den Rechtsradikalen vom Front National auf - direkt vor der zweiten Runde der Parlamentswahlen. Das könnte der Partei um Marine Le Pen einen kleinen aber symbolischen Sieg bescheren.

Stefan Ulrich, Paris

Kurz vor der entscheidenden Runde der französischen Parlamentswahl am Sonntag hat sich der Humorist Gérald Dahan einen Streich erlaubt. Er rief bei der konservativen Ex-Ministerin Nadine Morano an, die in ihrem Wahlkreis von einem sozialistischen Konkurrenten bedrängt wird. Dahan gab sich als Funktionär des rechtsnationalistischen Front National aus und tat, als wolle er mit Morano Wahlabsprachen sondieren. Während des Gesprächs betonte die Konservative Gemeinsamkeiten mit den Rechtsextremen und lobte sogar, die Front-National-Chefin Marine Le Pen habe großes Talent. Sie wusste nicht, dass ihre Worte im Radio gesendet wurden. Nun ist Morano empört und will Dahan verklagen.

Marion Marechal-Le Pen

Marion Maréchal-Le Pen, Nichte von Parteichefin Marine Le Pen, könnte am Sonntag ihren Wahlkreis für den Front National gewinnen.

(Foto: AP)

Der Vorfall illustriert die Bredouille, in der sich die französischen Konservativen, Gaullisten und Rechtsliberalen seit langem befinden: Wie sollen sie es mit dem Front National halten? Ihn ausgrenzen? Oder mit ihm eine Allianz gegen die Linke schließen? Das Thema treibt die bürgerliche Rechte seit drei Jahrzehnten um. Auf lokaler und regionaler Ebene traf sie immer mal wieder Wahlabsprachen mit den Extremisten. 1988 erklärte der gaullistische Innenminister Charles Pasqua, der Front National vertrete dieselben Werte wie die bürgerliche Rechte.

Präsident Jacques Chirac und dessen Nachfolger Nicolas Sarkozy setzten dann jedoch auf einen "Cordon sanitaire" gegenüber dem Front National. Bei Parlamentswahlen bildeten die Bürgerlichen mit der Linken, wenn es darauf ankam, eine "republikanische Front", um die Wahl von Rechtsextremen zu verhindern. Die Folge: Obwohl der Front National bei Wahlen immer wieder zweistellige Ergebnisse erzielt, verfügt er seit langem über keinen Abgeordneten in der Nationalversammlung.

Das könnte sich jetzt ändern. Denn die republikanische Front ist zusammengebrochen. Die bisher regierende konservative UMP des abgewählten Präsidenten Sarkozy rief diese Woche ihre Wähler auf, sich am Sonntag in solchen Wahlkreisen der Stimme zu enthalten, in denen sich ein linker und ein rechtsextremer Kandidat gegenüberstehen.

Manche UMP-Politiker belassen es nicht bei einer solchen Neutralität. So betonte die Kandidatin Morano im Wahlkampf ihre "gemeinsamen Werte" mit den Wählern des Front National. In Südfrankreich verzichtete ein UMP-Kandidat zugunsten eines Front-National-Bewerbers auf den zweiten Wahlgang. Er soll nun allerdings aus der UMP ausgeschlossen werden.

Front National vor symbolischem Durchbruch

Die Strategie der Front-National-Chefin Marine Le Pen, ihre Partei zu "entteufeln", scheint aufzugehen. "Die Dämme brechen", freuen sich die Rechtsextremen. Die Linke gibt sich dagegen schockiert. Der sozialistische Premier Jean-Marc Ayrault beklagt eine "strategische Allianz der UMP mit dem Front National".

Allerdings verhalten sich auch linke Politiker ambivalent. So weigerte sich eine sozialistische Kandidatin in Carpentras, zugunsten eines besser platzierten UMP-Bewerbers zurückzutreten. Die Folge: Am Sonntag kommt es in Carpentras zu einem Dreikampf zwischen der Sozialistin, dem Konservativen und der Front-National-Kandidatin Marion Maréchal-Le Pen, 22. Umfragen zufolge hat die Nichte von Marine Le Pen gute Aussichten auf den Sieg.

Insgesamt können die Rechtsnationalisten mit bis zu vier Abgeordneten in der Assemblée Nationale rechnen. Das wäre zwar zahlenmäßig nicht viel, aber ein symbolischer Durchbruch. Auf die UMP dürften nach der Wahl heftige innere Debatten zukommen. Viele ihrer Wähler und lokalen Politiker plädieren für Bündnisse mit dem Front National. Die Parteiführung widersetzt sich dem noch.

Als sicher gilt, dass die UMP am Sonntag ihre absolute Mehrheit in der 577 Sitze zählenden Nationalversammlung verlieren wird. Die Meinungsforscher prognostizieren, künftig würden die Sozialisten von Präsident François Hollande eine absolute Mehrheit haben und daher ohne kleinere Parteien wie die Grünen und die Linksfront regieren können. Grüne und Linksfront hoffen, jeweils mindestens 15 Sitze zu erobern und so den Fraktionsstatus zu erlangen. Die liberale Modem Partei des Politikers François Bayrou dürfte dagegen aus der Nationalversammlung verschwinden.

Die Affäre um Hollandes Lebensgefährtin Valérie Trierweiler, die sich über den Kurznachrichtendienst Twitter in den Wahlkampf einmischte und gegen Hollandes frühere Partnerin Ségolène Royal agitierte, scheint den Wahlausgang kaum zu beeinflussen - trotz der großen Aufregung darum. Die frühere Präsidentschaftskandidatin Royal muss jedoch in ihrem Wahlkreis La Rochelle mit einer bitteren Niederlage rechnen. Sie sagte, sie sei schockiert über Trierweilers Attacke. Hollande selbst hält sich aus dem Streit der beiden Frauen heraus.

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