Parlamentswahl in Afghanistan:Gekaufte Stimmen, ermordete Kandidaten

Am Samstag wird am Hindukusch gewählt - doch an eine faire Abstimmung glauben die wenigsten. Gefälschte Stimmen werden für 25 Dollar das Stück angeboten.

Tobias Matern, Kabul

Eigentlich wollte sie wieder in ihrer Provinz antreten. Aber Malalai Ishaq Zai hat sich dann doch anders entschieden. Sie wird nun versuchen, einen der Sitze in Kabul zu erringen, da konnte sie wenigstens auf die Straße gehen und potentielle Wähler treffen. "Es gab keine andere Möglichkeit, in Kandahar herrscht einfach keine Sicherheit", sagt die Parlamentsabgeordnete, die erneut in die Wolesi Jirga einziehen will.

Afghan man walks past an election poster of parliamentary candidate Barkazi on a traditional taxi in Herat, western Afghanistan

Wahlplakate der Kandidaten säumen die Straßen in Afghanistan: An eine faire Abstimmung glaubt am Hindukusch kaum jemand.

(Foto: Reuters)

Afghanistan ist in manchen Teilen Kriegsgebiet, in anderen Gegenden wird nicht ständig geschossen, aber die Taliban haben ihre Macht kontinuierlich ausgedehnt.

Das sagt einem dieser Tage jeder im Land - egal ob in der nördlichen Balkh-Provinz, die noch vor einem Jahr keine Probleme mit der Sicherheit bei der Präsidentschaftswahl hatte, oder im Süden, wo sich die Kandidaten fast gar nicht öffentlich zeigen. Selbst am Rande der Hauptstadt Kabul tauchten bei einer Demonstration dieser Tage die weißen Flaggen der Taliban auf - das hat es seit ihrem Sturz im Jahr 2001 nicht mehr gegeben.

Etliche Menschen werden an diesem Samstag nicht wählen können, selbst wenn sie wollten. 1019 von 6835 Wahllokalen bleiben geschlossen. In Kundus, wo die Bundeswehr für Stabilität gewährleisten soll, wird nach Angaben der Unabhängigen Wahlkommission mehr als jedes fünfte Wahllokal nicht öffnen können.

Die Taliban haben zum Boykott der Wahl aufgerufen, mindestens drei Bewerber für das Parlament sind ermordet worden, genau wie etwa ein Dutzend Wahlhelfer.

Aber die mangelnde Sicherheit ist längst nicht das einzige Problem, das bereits vor dieser Wahl absehbar ist. In Afghanistan rechnet niemand mit einer wirklich fairen Abstimmung.

Gefälschte Stimmen werden für 25 Dollar das Stück angeboten, heißt es in Kabul. Nach einem ausgeklügelten System offerierten Mittelsmänner die Betrügereien, bezahlen müsste der Kandidat erst nach der Wahl, wenn auch wirklich deutlich werde, dass die gewünschte Stimmenanzahl zugunsten des Kandidaten gefälscht worden sei.

Die Kandidatin Malalai Ishaq Zai berichtet, auch Mitarbeitern ihres Wahlkampfteams seien Tausende Stimmen gegen Geld angeboten worden, angeblich haben sie aber abgelehnt.

Die Kandidaten haben sich untereinander das Leben schwergemacht, in manchen Gegenden mit Gewalt die Kreise der Konkurrenten eingeschränkt.

Viel erwarten die Menschen denn auch nicht von dieser Abstimmung. In der Balkh-Provinz sagte ein Mann: "Ich gehe zur Wahl", schließlich sei dies seine Pflicht, aber mehr Gründe fielen ihm eigentlich nicht ein.

Ehemalige Kriegsfürsten und Drogenbarone - lesen Sie auf der nächsten Seite, wer sich in Afghanistan zur Wahl stellt.

"Vielleicht 100 bis 200 Kandidaten, die an Demokratie glauben"

In Kabul hingegen gibt es fast nur zurückhaltende Äußerungen. Die Menschen, so der Eindruck, misstrauen sämtlichen Protagonisten, die bei dieser Wahl mitbestimmen: Regierung, internationale Gemeinschaft, einflussreiche Warlords, die ihre Kandidaten unterbringen wollen, auch das größte Oppositionsbündnis, das ebenso bemüht sein wird, mit allen Mitteln ihre Kandidaten im Parlament zu platzieren.

"Warum sollte ich meine Stimme abgeben? Die Resultate stehen doch schon fest", sagt ein Mann in Kabul. Wie er reden dieser Tage viele Menschen in der Stadt. Die Kandidaten mit Geld oder guten Kontakten hätten die Möglichkeit, ins Parlament zu kommen - sonst fast niemand. Und auch bisher schon hätten die Abgeordneten nicht bewiesen, im Sinne der Bevölkerung zu agieren, sagt der Mann.

Zwar treten mehr als 2500 Kandidaten an, aber längst nicht alle sind qualifiziert für einen Posten in der Volksvertretung. Nasrullah Stanekzai sitzt in einem Büro im Ministerium für Parlamentsangelegenheiten, entschuldigt sich für seine Gewohnheit, eine Zigarette nach der nächsten zu rauchen, und beginnt, über die Abstimmung am Samstag zu reden. Der Professor von der Kabul-Universität ist Chef des juristischen Beratergremiums von Präsident Hamid Karsai.

Die Kandidaten ließen sich in mehrere Kategorien unterteilen, sagt er: ehemalige Kriegsfürsten, Drogenbarone, Bewerber, die das Parlament nutzen wollten, um ihren Einfluss und ihr Geld zu mehren. Und "vielleicht 100 bis 200 Kandidaten, die an Demokratie glauben", sagt er.

Und dennoch ist Stanekzai überzeugt, dass die Wahl "trotz aller Mängel" stattfinden müsse. Schließlich sei es doch normal, dass es nach Jahrzehnten voller Kriege noch keine funktionierenden Institutionen in Afghanistan geben könne.

Auch der Westen hofft trotz aller Probleme auf ein positives Zeichen, das von dieser Wahl ausgehen soll. Die Staatengemeinschaft würde es schon als Erfolg werten, wenn die Betrügereien nicht so dreist wie im vergangenen Jahr bei der Präsidentschaftswahl ausfielen.

Aus Sicht von Martin Kobler, Vizechef der Vereinten Nationen in Kabul, läuft zumindest die logistische Vorbereitung der Abstimmung "sehr gut", die Führung der Unabhängigen Wahlkommission IEC sei vertrauenswürdig - auch wenn unabhängige Beobachter deutlich machen, dass dies in den Provinzen anders aussieht.

Mögliche Wahlfälschungen seien in diesem Jahr nicht die größte Sorge der UN, schließlich werde das Endergebnis erst Ende Oktober bekanntgegeben, sagt Kobler. Seiner Meinung nach bleibt genug Zeit, um allen Beschwerden nachzugehen.

Sorge bereite den UN aber die prekäre Sicherheitslage. "Wir wissen, dass die Wahlen nicht perfekt werden", sagt er. Schließlich finde die Wahl in Afghanistan statt: Da sei es schon ein Erfolg, wenn die Glaubwürdigkeit des Parlaments erhöht werden könnte.

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