Parlamentswahl:Warum es ein neues Spanien geben wird

Lesezeit: 3 min

Nach der Parlamentswahl ist das Land weiter in zwei Lager gespalten. Trotzdem wird sich die Politik nachhaltig verändern.

Kommentar von Thomas Urban

Die Spanier haben gewählt. Auf den ersten Blick ist die Gesellschaft des Landes nach wie vor in zwei fast gleich große Lager gespalten: auf der einen Seite die beiden links orientierten Parteien, die Sozialisten (PSOE) und der alternative Aufsteiger Podemos (Wir schaffen das); rechts der Mitte die konservative Volkspartei (PP) und der zweite Aufsteiger, die liberalen Ciudadanos (Bürger). Doch auf den zweiten Blick ist mit der Wahl klar geworden, dass der Graben durch die Gesellschaft, der ein Erbe der Franco-Diktatur von 1939 bis 1975 war, gar nicht mehr so tief ist.

Alle großen Parteien haben sich nämlich zur Mitte orientiert, um die Wechselwähler zu erreichen: Die PP hat sich unter Führung des 60-jährigen Noch-Premierministers Mariano Rajoy modernisiert und liberalisiert, nicht unähnlich der CDU unter Angela Merkel. Längst haben in der PP nicht mehr Nationalkatholiken oder Franco-Anhänger das Sagen. Auch die PSOE musste sich unter dem Druck von Podemos, deren Führung bis zum Beginn des Wahlkampfes neomarxistische Parolen gepredigt hat, zur Mitte hin bewegen.

Neue Parteien füllen die verwaiste politische Mitte aus

Dort aber ist ein neuer Konkurrent aufgetaucht, die Ciudadanos. So eingeklemmt verzeichnete die PSOE ihr schlechtestes Ergebnis seit der Wiedereinführung der Demokratie nach dem Tod Francos. Auch hier gibt es die Parallele zur Bundesrepublik: die Probleme der SPD zwischen der Merkel-CDU und der Linken sowie den Grünen, die ebenfalls immer mehr zur Mitte rücken. Ähnlich wie in Deutschland gäbe es auch in Spanien keine ideologischen Hindernisse mehr für fast jedes Bündnis unter den großen Parteien. Nur PP und Podemos passen nicht zueinander - so wie in Berlin CDU und Linke.

Ein Unterschied zu Deutschland aber ist offenkundig: In Spanien gibt es keine nennenswerte rechte, europaskeptische Partei; vielmehr sind alle klar proeuropäisch. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen hat kaum ein großes EU-Land so von den Zuschüssen aus Brüssel profitiert. Zum anderen lastet nach wie vor der Schatten Francos auf der Gesellschaft, so dass Rechtsradikale keine Chance haben.

Spanien unterscheidet sich deutlich von anderen EU-Staaten

Die neuen Parteien, die ihren Aufstieg vor allem dem Widerstand gegen die Korruption in den Altparteien PP und PSOE zu verdanken haben, sind am linken Rand und in der Mitte entstanden. Somit unterscheidet sich Spanien deutlich von anderen EU-Staaten, wo in Krisenzeiten die radikalen Parteien gewonnen haben.

In Spanien konnte diese erfreuliche Entwicklung gelingen, weil die Mitte im bisherigen Zwei-Parteien-System aus PP und PSOE, die sich im Wechsel an der Macht abgelöst hatten, unbesetzt war. Mehr als ein Drittel der Stimmen haben die beiden Neulinge eingefahren, weil sie eine frische, bürgernahe Politik versprechen, ein Ende der elitären Absprachen zwischen Politik und Wirtschaft.

Spaniens Politik wird sich also nachhaltig verändern. Das Land, das eine lange Tradition einer zentralistischen, sehr hierarchischen Obrigkeit hat, wird demokratischer werden. Die Gesellschaft hat begriffen, dass die Abschottung der politischen Klasse von den Bürgern, wie sie die Altparteien PP und PSOE betrieben haben, ideale Voraussetzungen für Korruption geschaffen hat. Diese aber war der Treibsatz für die Immobilienblase, deren Platzen vor acht Jahren die Wirtschaft abstürzen ließ und zu Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit in der jungen, der "verlorenen" Generation führte.

Nach der Wahl in Spanien
:Iglesias triumphiert, Rajoy will regieren

Ministerpräsident Rajoy kündigt an, er wolle weitermachen - trotz massiver Verluste seiner Konservativen. Athens Regierungschef Tsipras freut sich über das starke Ergebnis der linksalternativen Podemos.

Korruptionsaffären haben eine Proteststimmung entfacht

Die großen Korruptionsaffären - dazu die Medienberichte, dass die Hauptverursacher der Krise, die gierigen Politiker und Bankiers, am wenigsten von deren Folgen betroffen sind - haben in der jungen Generation eine Proteststimmung entfacht. Die Jungen sahen sich von den Altparteien ihrer Zukunftschancen beraubt, ihr Ärger darüber hat bei der Wahl voll in die Politik durchgeschlagen.

Nun wird auch über eine neue Wirtschaftspolitik gestritten. Für die Machtverhältnisse in der EU ist von großer Bedeutung, ob die neue Regierung in der Mitte oder links angesiedelt sein wird. Im ersten Fall würde der unpopuläre, aber bislang erfolgreiche Sanierungskurs der Volkspartei fortgesetzt, mit dem diese das Land aus der Rezession geführt hat. Es wäre ein Erfolg auch für die Verfechter dieses Weges in Brüssel und Berlin.

Im Gegensatz dazu würde eine neue Linksregierung wohl versuchen, die Sanierung des Staatshaushalts hinauszuzögern. Sie könnte erneut auf ein Konjunkturprogramm auf Pump setzen. Auch in Spanien wird der Grundsatzstreit darüber geführt, ob die Austerität, also ein hartes Sparprogramm, Ursache oder Folge der Verschärfung der Krise war.

Sicher ist: Es gibt ein neues Spanien. Auf welchen Weg es sich begibt, ist offen.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wahl in Spanien
:Rajoys Zeit an Spaniens Spitze dürfte abgelaufen sein

Die Partei des Regierungschefs wird zwar stärkste Kraft - aber niemand will mit ihm koalieren. Eigentlicher Wahlsieger ist der junge Linke Pablo Iglesias.

Von Thomas Urban

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: