Süddeutsche Zeitung

Parlamentswahl:Venezuelas "Mafia-Bande" stemmt sich gegen die Abwahl

Die regierenden Chavisten in Venezuela haben ein Krisenjahr hinter sich. Trotzdem könnten sie wieder gewinnen - mit Tricksereien und brutaler Gewalt.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Anfang November wurden in Port-au-Prince, Haiti, zwei Männer verhaftet, die mit Diplomatenpässen unterwegs waren. Ihre in Venezuela ausgestellten Papiere haben ihnen aber wenig geholfen. Noch am selben Tag wurden die beiden von der US-Antidrogenbehörde DEA nach New York ausgeflogen. Dort stehen sie jetzt vor Gericht. Sie sollen versucht haben, Kokain in die USA zu schmuggeln. Nach DEA-Angaben geht es um den stattlichen Lieferumfang von 800 Kilogramm, um einen Warenwert von gut und gerne 20 Millionen Dollar.

Das ist an sich schon ein interessanter Fall. Noch ein bisschen brisanter wird er aber dadurch, dass es sich bei den jungen Herren, 29 und 30 Jahre alt, um Efraín Antonio Campo Flores sowie um Francisco Flores de Freitas handelt. Beide sind Neffen von Cilia Flores. Und Cilia Flores ist die Gattin von Nicolás Maduro, dem Staatspräsidenten Venezuelas.

Zufälle häufen sich, die auf eine Verstrickung der Staatsführung in den Drogenhandel hindeuten

Niemand ist dafür zu verurteilen, was seine mehr oder weniger schrecklichen Verwandten so treiben. Es kann natürlich Zufall sein, dass nun Teile der Großfamilie Maduros unter dringendem Narco-Verdacht stehen. Aber erstens ist Efraín Campo mit dem Präsidentenehepaar nicht nur entfernt verwandt, er wuchs vielmehr im Haus von Onkel und Tante auf und bezeichnet sich als deren Stiefsohn. Und zweitens häufen sich allmählich die Zufälle, die auf eine Verstrickung der venezolanischen Staatsführung in den weltweiten Drogenhandel hindeuten.

Diosdado Cabello, als Parlamentspräsident der zweitwichtigste Mann im Staat, hat sich stellvertretend für die Familie Maduro in seiner Fernsehsendung "Con el mazo dando" (etwa: Gebt's ihm mit dem Holzhammer) zu der Sache geäußert. Er sprach von einem imperialistischen Angriff auf "unser Vaterland". Aus seiner Sicht sind die Neffen der First Lady nicht verhaftet, sondern von den USA entführt worden. Die dortigen Behörden haben wiederum ein ganzes Kartell von hochrangigen Militärangehörigen und Funktionären aus Venezuela im Visier. Und just zu diesem Cabello teilte das US-Justizministerium mit: "Es gibt erdrückende Beweise, dass er einer der Köpfe, wenn nicht gar der Kopf des Kartells ist."

Am Sonntag wird im Staate Maduros jenes Parlament neu gewählt, dem derzeit der mutmaßliche Kartellboss Cabello vorsitzt. Die Wahl kommt zum Ende eines Krisenjahres, in dem Gefängnisse immer voller und die Supermärkte immer leerer wurden. In dem neben Fleisch, Mehl und Milch auch Eier, Windeln, und Klopapier ausgingen. In dem Benzin billiger zu haben war als Trinkwasser. In dem die Volkswirtschaft an den Rand des Ruins getrieben wurde, trotz unermesslicher Erdölreserven. In dem die Rezession auf zehn und die Inflation auf 150 Prozent kletterte. Und in dem sich der Verdacht erhärtete, die Führungsriege der nur dem Namen nach sozialistischen Regierungspartei PSUV gehöre zu den treuesten Schwarzgeldkunden von Schweizer Banken.

Muss man sich da wundern, dass die Nachlassverwalter des 2013 verstorbenen Hugo Chávez in den Wahlumfragen nicht allzu gut dastehen?

Umfragen zufolge wollen 20 bis 30 Prozent der Venezolaner den Chavisten am Sonntag ihre Stimme geben. Trotz allem. Das Oppositionsbündnis "Vereinter Demokratischer Tisch" (MUD) darf auf 60 bis 65 Prozent hoffen. Nach menschlichem Ermessen zeichnet sich ein Erdrutschsieg der Konservativen ab. Aber mit menschlichem Ermessen kommt man in Venezuela nicht weit. Führende Köpfe des MUD sind allenfalls verhalten optimistisch.

Seit dem Regierungsantritt von Chávez im Jahre 1999 hat die PSUV in Venezuela alle Wahlen gewonnen, jedenfalls laut den offiziellen Zählungen. Die Frage ist, ob diesmal so falsch gezählt werden kann, dass es trotzdem noch einmal reicht. Ausgeschlossen ist das keineswegs. Maduro hat die Entsendung einer allseits geforderten Wahlbeobachtermission der Vereinten Nationen oder der Organisation Amerikanischer Staaten abgelehnt. "Venezuela lässt sich nicht überwachen", sagte der Präsident.

Gleichzeitig hat sich seine PSUV durch eine Reform der Wahlbezirke eine bessere Ausgangsposition verschafft. Sie wurden so zugeschnitten, dass traditionelle Hochburgen des Chavismus, vor allem in spärlich besiedelten, ländlichen Gegenden, ungleich mehr Abgeordnete ins Parlament entsenden dürfen als die urbanen Zentren, wo die Opposition am stärksten ist. Deren Berechnungen zufolge könnte dem Regierungslager auf diese Weise 30 bis 35 Prozent der Stimmen genügen, um die absolute Mehrheit der Sitze in Caracas zu gewinnen.

"Wenn die Revolution scheitert, gibt es ein Massaker"

Der ehemalige Busfahrer Maduro hat trotzdem allen Grund, nervös zu sein. Selbst unverdrossene Anhänger des hochheilig verehrten Hugo Chávez haben sich von ihm abgewendet. Sie sagen, die Mafia-Bande um Maduro und Cabello habe das Erbe des Revolutionsführers verraten. Zwar wird am Sonntag kein neuer Präsident gewählt, aber mit einer Mehrheit in der Nationalversammlung könnte der MUD beispielsweise Minister absetzen, die Wahlgesetze ändern oder ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten in Gang bringen. Zumindest in der Theorie.

Maduro hat im Staatsfernsehen bereits angedeutet, wie er mit einem (aus seiner Sicht natürlich extrem unwahrscheinlichen) Wahlsieg der Opposition umgehen würde: "Dann regieren wir mit dem Volk", sagte er. Das Volk und das Wahlvolk sind nach dem Verständnis dieses Mannes zwei verschiedene Dinge. Zu seinem Volkskonzept gehört beispielsweise die "zivil-militärische Einheit", die Armee. Die befindet sich offenbar in den Startlöchern. Nach Informationen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Caracas stehen auf einem Kasernengelände der Hauptstadt mehr als zwei Dutzend neu erworbene Wasserwerfer und Schützenpanzer bereit. Das passt auch zu den Informationen von Maduro, der ja selbst ankündigte: "Wenn die Revolution scheitert, gibt es ein Massaker."

Dass mit Chaos und Gewalt nicht nur gedroht wird, hat auch der jüngste Wahlkampf gezeigt. Zuletzt wurde der Oppositionspolitiker Luis Manuel Díaz auf offener Bühne erschossen. Lilian Tintori, die international inzwischen bekannteste Regierungskritikerin, stand direkt daneben. Die Ehefrau des seit fast zwei Jahren inhaftierten Oppositionsführers Leopoldo López glaubt, der Anschlag habe ihr gegolten. Bewaffnete chavistische Motorradgangs, die berüchtigten "Colectivos", steckten dahinter. Maduro machte dagegen rivalisierende Drogenbanden für den "Zwischenfall" verantwortlich. Allerdings berichtet auch MUD-Anführer Henrique Capriles, es sei bei einer Wahlkampfveranstaltung scharf in seine Richtung geschossen worden.

Es ist keineswegs so, dass die Opposition in den zurückliegenden Jahren nur als eine Ansammlung lupenreiner Demokraten aufgefallen wäre. Gleichwohl steht fest, dass einige ihrer populärsten Figuren wie López oder Antonio Ledezma, der gewählte Bürgermeister von Caracas, als politische Gefangene gehalten werden und damit von der Abstimmung am Sonntag ausgeschlossen sind. So kann man eine scheinbar aussichtslose Wahl natürlich auch gewinnen.

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SZ vom 03.12.2015/mane
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