Parlamentswahl:Schwedens alte Bündnisse geraten ins Wanken

Lesezeit: 3 min

  • Die Schweden wählen heute ein neues Parlament.
  • Das rot-grüne Regierungslager wird wohl auf etwa 40 Prozent kommen, ebenso die bürgerliche Allianz.
  • Die rechten Schwedendemokraten können mit fast 20 Prozent rechnen. Welche Rollen werden sie in Stockholm in Zukunft spielen?

Von Silke Bigalke, Stockholm

Egal wohin Ulf Kristersson fährt, diese eine Frage verfolgt ihn. Am Mittwoch war er an Schwedens Westküste, in einem Jugendzentrum in Malmö hat sie ihn eingeholt: Ob er nach der Wahl mit den Rechtspopulisten zusammenarbeiten werde, fragte laut der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter eine junge Frau. Nein, keine Zusammenarbeit, wie oft hat er das schon gesagt, hundert, vielleicht tausend Mal? Wenn man aber tiefer bohrt, wird seine Antwort undeutlich.

Am Sonntag wählen die Schweden. Die Stimmung vor einer Wahl war selten so emotional, und was danach kommt, selten so ungewiss. Ulf Kristersson hatte gesagt, er wünsche sich weniger Schreien und Zetern in Schwedens Politik. Er hat keine Ruhe in die Debatte bringen können. Er ist auch sonst längst nicht am Ziel. Kristersson leitet die Moderaten, die größte Oppositionspartei, und ist damit der natürliche Herausforderer von Ministerpräsident Stefan Löfven. Doch die Moderaten kommen in vielen Umfragen nur noch auf Platz drei. Geht man von deren Zahlen aus, werden die rechten Schwedendemokraten stärkste Partei in der Opposition.

Rechte in Schweden
:Radikal hinter der Fassade

In Schweden wäre ein Erfolg der Schwedendemokraten bei der Wahl am Sonntag eine besondere Zäsur. Nach außen hin gibt sich die Führung um den Vorsitzenden Jimmie Akesson moderat - doch die Ideologie der Partei spricht eine andere Sprache.

Kommentar von Silke Bigalke

Mit den Zahlen ist es ohnehin so eine Sache im schwedischen Parlament. Die meisten Abgeordneten verhalten sich so, als seien dort nur sieben Parteien vertreten. Dabei sind es seit Jahren acht. Sie haben die Schwedendemokraten, eine nationalistische Partei mit Neonazi-Wurzeln, ausgeblendet. Und deren Wählern damit quasi signalisiert, dass ihre Meinung nicht zählt - ihre Sorgen, was Flüchtlinge und Einwanderer betrifft. Viele hat das geärgert, die Unterstützung für die Rechten wuchs. Jetzt sind die Zahlen überdeutlich: Die drei Parteien des rot-grünen Blocks werden etwa 40 Prozent bekommen, die vier bürgerlichen Parteien ebenso. Fast den gesamten Rest bekommen wohl die Rechtspopulisten. Kann man 20 Prozent der Wähler noch ignorieren?

Schweden hadert nun nicht nur mit seinem Selbstbild. Auch die alten politischen Bündnisse werden wohl nicht mehr funktionieren. Ulf Kristersson von den Moderaten wird sicher keine Koalition mit den Rechtspopulisten eingehen. Muss er auch nicht. In Schweden sind Minderheitsregierungen üblich, die bei jedem neuen Vorschlag sicherstellen, dass sich keine Mehrheit im Parlament dagegenstellt. Es reicht Kristersson theoretisch, wenn die Schwedendemokraten nicht gegen ihn stimmen. Doch was werden sie ihn das kosten lassen, bei jeder neuen Reform? Und was sagen seine alten Partner dazu?

"Schwedens Rolle in der Welt steht auf dem Spiel", schreibt der schwedische Premierminister Stefan Löfven

Die vier bürgerlichen Parteien sind in den zuletzt gemeinsam angetreten, sie nennen sich "Allianz" und hatten in früheren Wahlen ein gemeinsames Programm. Deswegen spricht Kristersson auch jetzt von "Allianz-Regierung". Die Schwedendemokraten werden in dieser Regierung keinerlei Rolle spielen, sagt er, als die junge Frau in Malmö nachhakt. Wie soll der Reichstag in Zukunft mit den Rechtspopulisten umgehen? "Nicht mit denen zusammen zu arbeiten und Kompromisse einzugehen, die man nicht mag, das bestimmt man ja selbst", sagt Kristersson darauf. Aber formale Treffen und andere Regeln einzuhalten, sei eine andere Sache. Es gebe schließlich acht Parteien im Parlament, nicht sieben.

Das gilt erst recht, wenn die bürgerliche Allianz zerbricht. Zwei der vier Parteien scheinen genervt davon zu sein, dass sich Kristersson nicht genauso heftig von den Schwedendemokraten distanziert wie Stefan Löfven. Und Löfven umwirbt schon mal fleißig die Liberalen und die Zentrumspartei für eine mögliche Koalition. Wenn sich das bürgerliche Bündnis wirklich spaltet, wäre das die Chance für die Sozialdemokraten weiterzuregieren. Selbst wenn sie womöglich ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1911 kassieren.

Ulf Kristersson müsste von der Schwäche der Sozialdemokraten profitieren. Doch seine Umfragewerte fallen seit Wochen. Die Rechtspopulisten geben den Ton an, sie setzen auf das Thema Flüchtlinge und vermischen es mit der Debatte über Gewalt in den Vororten. Dass letztere vor allem mit verfehlter Integrationspolitik zu tun hat, stört die Rechten nicht. Die anderen Parteien haben sich an diesen Ton angepasst. Ulf Kristersson warnt vor einer freigiebigen Asylpolitik und gibt ihr die Schuld an vielen Problemen. Die Schwedendemokraten spalten das Land.

2017 liefen viele Unterstützter davon

In einer Umfrage 2013 sollten die Befragten angeben, was sie von einzelnen Parteien halten. Die Hälfte kreuzten für die Schwedendemokraten "minus Fünf" an, größtmögliche Ablehnung. Deswegen ist es ein Risiko, das Tabu zu brechen und mit den Rechten zu reden. Die ursprüngliche Kandidatin der Moderaten hat das den Job gekostet. Als sie 2017 daran dachte, mit den Schwedendemokraten zu verhandeln, sind ihr so viele Unterstützer davongelaufen, dass sie zurücktrat.

Ulf Kristersson ist dann eingesprungen. Premierminister Löfven hat drei Tage vor der Wahl noch mal den Finger in die Wunde gelegt. Im Svenska Dagbladet schrieb er einen Gastkommentar mit der Warnung, Schwedens Rolle in der Welt stehe auf dem Spiel. Es ging um Außenpolitik, Klimapolitik, die EU-Mitgliedschaft. Löfven hat die Moderaten und die Schwedendemokraten in einen Topf geworfen, wegen Kristerssons "konsequenter Mehrdeutigkeit". Der hat sich gewehrt, "reine Lügen" seien das. Doch auch Jimmie Åkesson, Chef der Schwedendemokraten, hat sich bei der jüngsten TV-Debatte auf Seiten der bürgerlichen Allianz einsortiert. Ulf Kristersson dürfte das nicht gepasst haben.

Jedenfalls noch nicht.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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