Parlamentswahl in Spanien:Mariano mit den Scherenhänden

Mariano Rajoy hat unpopuläre Ankündigungen im Wahlkampf vermieden. Nun wird der Chef der konservativen Volkspartei aber knallharte Einschnitte vornehmen müssen, um die Erwartungen der europäischen Partner zu erfüllen. Seine Zurückhaltung aus wahltaktischen Gründen könnte sich dann rächen.

Javier Cáceres

"Klar und deutlich", so sprach Mariano Rajoy, habe das spanische Volk entschieden. "Es hat den Wandel umarmt, den wir vorgeschlagen haben." Auf den ersten Blick mag das so aussehen: Bei den Wahlen vom Sonntag holte die konservative Volkspartei (PP) nicht nur zum zweiten Mal in ihrer Geschichte die absolute Mehrheit. Rajoy überflügelte gar seinen Ziehvater, José María Aznar, dem im Jahr 2000 die Wiederwahl gelungen war. Doch wer sich das Ergebnis genauer ansieht, wird rasch erkennen, dass die Spanier nicht in Scharen ins konservative Lager gewechselt sind. Trotz der schwersten Krise seit dem Bürgerkrieg.

Mariano Rajoy, Jose Maria Aznar

Keine leichte Aufgabe für Wahlsieger Mariano Rajoy: Märkte, EU-Kommission und europäische Partner erwarten knallharte Einschnitte und Reformen, um die Staatsschulden im Zaum zu halten.

(Foto: AP)

Die Sozialisten kostete diese Krise die schier unglaubliche Zahl von mehr als vier Millionen Stimmen. Die PP konnte im Vergleich zu 2008 dagegen nur das Vertrauen von 500 000 Spaniern dazugewinnen. Dennoch dürfen sich die Konservativen über einen Zuwachs von 32 Mandaten freuen - obwohl sie mit 10,8 Millionen Stimmen weniger Zuspruch fanden als die Sozialisten vor gut drei Jahren (11,3 Millionen). Spaniens Wahlsystem, witzelte ein Beobachter, ist so relativ, dass es von Albert Einstein persönlich entworfen sein könnte.

Schon diese Zahlen erhellen, welche Gefahren für den ehemaligen Katasterbeamten und heutigen Berufspolitiker Rajoy lauern. Märkte, die EU-Kommission und europäische Partner erwarten von ihm knallharte Einschnitte und "Strukturreformen", damit das Haushaltsdefizit und die - im europäischen Vergleich noch geringen - Staatsschulden im Zaum bleiben. Es besteht kein Anlass, Rajoys Willen in Frage zu stellen, Spanien der radikalsten Kur zu unterziehen. Ultraliberale Wirtschaftspolitik ist im politischen Erbgut der PP eingebrannt. Aber Rajoy hat es aus taktischen Gründen unterlassen, die Spanier auf das vorzubereiten, was nun kommen dürfte: dass sich der zurückhaltende Señor Rajoy nun in Mariano mit den Scherenhänden verwandeln wird.

Der Wahlkampf der PP war einerseits von bestenfalls vagen Ankündigungen geprägt, andererseits von Versprechungen, die soziale Kohäsion zu wahren, Renten und das Personal im öffentlichen Dienst unangetastet zu lassen. Erst in den Tagen vor dem Urnengang ließ Rajoy die ersten Grausamkeiten ahnen: Die einst vielgerühmte Pflegeversicherung ist nicht finanzierbar. Dabei wird es nicht bleiben.

Gut möglich, dass sich die Zurückhaltung nun rächt. Nicht nur an den Anleihe- und Aktienmärkten, die den Neuen am Montag mit steigenden Zinsen und fallenden Börsenkursen begrüßten. Sondern auch im eigenen Land. Die Spanier sind zwar leidgeprüft genug, nicht viel mehr zu erwarten als bitterste Pillen. Aber sie haben seit Beginn der Krise vor drei Jahren auch nichts anderes mehr bekommen. Das zehrt an der Geduld.

Regierungswechsel ist keine Stabilitätsgarantie

So kurios es klingt: Rajoy kann aus der absoluten Mehrheit kein eindeutiges Mandat für eine Schocktherapie herauslesen. Seine Stimmen kommen aus dem eigenen Lager, von jenen konstant zehn Millionen Spaniern, die seine Partei seit 1996 sogar dann wählen, wenn sie einen ausdruckslosen Kandidaten ins Rennen schickt. Die Umfragen indes, die Rajoys Erdrutschsieg vorhersagten, ließen auch erkennen, dass eine Mehrheit von der neuen Regierung etwas erwartet, was diese gar nicht vorhat: wachstumsfördernde Maßnahmen. Spanien dürstet im Blick auf offiziell fünf Millionen Erwerbslose nach Arbeitsplätzen. Das Enttäuschungs- und Konfliktpotential ist deshalb erheblich. Ein Regierungswechsel allein ist eben noch keine Stabilitäts-Garantie - was sich auch in anderen europäischen Krisenstaaten schon gezeigt hat.

Zu den wenigen Maßnahmen, die Rajoy angekündigt hat, zählt eine Art runder Tisch mit den "Autonomen Gemeinschaften", die den deutschen Bundesländern vergleichbar sind und die für das spanische Defizit eine hohe Mitverantwortung tragen. Von den Katalanen wird Rajoy einiges lernen können; Katalonien ist seit vorigem Jahr auf regionaler Ebene so etwas wie das Versuchslabor für Sozialkahlschlag geworden. Die regierende Partei CiU konnte dennoch Zugewinne erzielen. Andererseits sieht sie sich immer häufiger Protesten gegenüber. Droht so etwas nun auch im ganzen Land?

Jedenfalls wird immer deutlicher, dass die Spanier ihres politischen Establishments überdrüssig sind. Zwar ist die im Mai noch für Furore sorgende Bewegung der "Empörten" weggeschmolzen wie Schnee. Aber die Zahl der Wähler der beiden großen Volksparteien sackte um zehn Prozentpunkte ab. Das schadete in erster Linie den Sozialisten, die regelrecht ausgeknockt wurden.

Sie erhielten am Wahltag die Quittung für eine politische Schizophrenie. Es wurde derjenige abgestraft, der im Mai 2010 gegen die eigene Klientel und um den Preis des politischen Selbstmords die heftigsten Sparbeschlüsse der spanischen Demokratie fasste: José Luis Zapatero. Und es wurde derjenige mit der Macht belohnt, der gegen ebendiese Kürzungen stimmte, obwohl er noch viel tiefere Einschnitte vornehmen dürfte: Mariano Rajoy.

Das Einzige, was Konservative und Sozialisten nach diesem Sonntag teilen: Sie stehen vor titanischen Aufgaben. Die einen sollen das Land, die anderen müssen sich selbst aufrichten.

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