Parlamentswahl in Russland:Putin-Partei rutscht ab

Dämpfer für Premier Putin und Präsident Medwedjew: Die Regierungspartei Einiges Russland hat bei der Parlamentswahl in Russland ihre Zweidrittelmehrheit verloren. Sie bleibt aber stärkste Kraft und kann weiter alleine regieren. Überschattet wurde die Wahl von Betrugsvorwürfen und Festnahmen von Regierungsgegnern. Mehrere Internetseiten kritischer russischer Medien waren am Tag der Abstimmung blockiert.

Frank Nienhuysen, Moskau

So zufrieden war er wenigstens, dass er seinen Mitarbeitern noch Schampanskoje versprach. Etwas unrasiert stand Präsident Dmitrij Medwedjew am Sonntagabend in der Wahlzentrale seiner Partei Einiges Russland, den Hemdknopf geöffnet, irgendwie froh, dass die Anspannung nun vorbei war und er eine Erklärung gefunden hatte für das bittere Ergebnis.

Die Regierungspartei, für die er als Spitzenkandidat angetreten war, hat am Sonntag zwar die Parlamentswahl gewonnen. Am Montag erklärte die zentrale russische Wahlkommission die Partei Putins offiziell zum Sieger der Parlamentswahl. Sie erhalte 238 von 450 Sitzen, sagte Wahlleiter Wladimir Tschurow in Moskau. Die Partei kann damit auch künftig allein in der Duma regieren. Aber die Zweidrittel-Mehrheit war außer Reichweite. Es sind nur noch gerade 49,7 Prozent der Stimmen, wie die Wahlkommission nach der Auszählung von 93 Prozent der Wahlzettel mitteilte. Vor vier Jahren waren es noch 64,3 Prozent.

Medwedjew listete all die Wahlen der vergangenen Jahre auf, und so nannte er das Ergebnis von vor vier Jahren eben ein besonderes. Damals habe alles gepasst: Die Wirtschaft brummte, die Krise stand erst noch bevor. Ja, und dass seitdem die Lage eben etwas schwieriger geworden sei. "So ist eben jetzt die Stimmung. Das ist Demokratie", sagte Medwedjew.

Und Parteichef Wladimir Putin, der neben ihm stand, schloss sich dem an. "Das Ergebnis garantiert eine stabile Entwicklung", sagte Putin, sichtlich müde um kurz vor 23 Uhr. Aber vielleicht war es auch Enttäuschung, die man sah. Ein klarer Sieg der Regierungspartei gilt als Grundlage für den angestrebten Ämterwechsel in Moskau. Präsident Medwedjew wird sein Amt abgeben und von Putin voraussichtlich den Posten des Ministerpräsidenten übernehmen. Putin selber tritt Anfang März als großer Favorit bei der Präsidentenwahl an.

Zweistärkste Partei in der Duma wurden wieder die Kommunisten mit 19,15 Prozent. Sie konnten ihr Ergebnis aus dem Jahr 2007 von 11,6 Prozent fast verdoppeln. Auch die Partei Gerechtes Russland (13,17 Prozent) sowie die nationalistischen Liberaldemokraten (11,66 Prozent) schafften den Einzug in die Duma, deren 450 Abgeordnete zum ersten Mal für fünf Jahre gewählt wurden. Die einzige im westlichen Sinne liberale Partei, Jabloko (Apfel), verpasste dagegen den Sprung über die Sieben-Prozent-Hürde.

Die Wahl war überschattet von Vorwürfen des Betrugs und der Einschüchterung. Mehrere Internetseiten kritischer russischer Medien waren am Tag der Abstimmung blockiert, unter ihnen die des Radiosenders Echo Moskaus. "Verbindungsprobleme", stand dort geschrieben. Für den Chefredakteur Alexej Wenediktow war die Sache klar. "Die Attacke auf unsere Seite hängt offenbar mit Versuchen zusammen, die Veröffentlichung von Informationen über Wahlverstöße zu behindern", schrieb er über Twitter.

Im Zentrum der Hauptstadt wurden etwa hundert Regierungskritiker festgenommen, die an einer ungenehmigten Demonstration der "Linken Front" teilgenommen hatten. Auch in St. Petersburg nahm die Polizei mehrere Dutzend Oppositionelle fest. Aus vielen Landesteilen gab es Beschwerden über versuchte Manipulationen und andere Wahlverstöße.

So sollen bereits vor Beginn der Abstimmung einige Urnen mit Wahlzetteln gefüllt gewesen sein. Autobusse hätten in einer Art Karussell Wähler gleich zu mehreren Wahllokalen zur Abstimmung gefahren. Schon in Umfragen vor der Wahl hatte eine Mehrheit der russischen Bevölkerung bezweifelt, dass die Abstimmung frei und fair verlaufen werde.

"Stalinistische Methoden" im Wahlkampf

Seit Wochen hatten oppositionelle Organisationen und Parteien sowie viele Bürger den Wahlkampf kritisiert. Wähler beschwerten sich, dass Druck auf sie ausgeübt worden sei. So wurden Studenten, Unternehmer oder Veteranenverbände aufgerufen, für eine hohe Stimmquote der Regierungspartei zu sorgen. Im Gegenzug sei ihnen finanzielle Hilfe angeboten worden. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), sprach von "stalinistischen Methoden". Medwedjew bezeichnete die Abstimmung dagegen als "Höhepunkt der Demokratie" und wichtigen Schritt für die Zukunft des Landes.

Deutliche Verluste fuer Putin-Partei bei Parlamentswahl in Russland

Hatte auf ein besseres Ergebnis gehofft: Wladimir Putin.

(Foto: dapd)

Die Internetseite newsru.com berichtete, dass am Vorabend der Wahl Wohnungen von Oppositionellen durchsucht worden seien. Der Aktivist Andrej Gorin von der Bewegung "Das andere Russland" wurde zu zehn Tagen Arrest verurteilt.

Die Nervosität in Russland ist schon seit Monaten spürbar gewesen, und auch das Wahlwochenende wurde zu einer Sammlung von Vorwürfen, Rätseln und Dementis. In Wladimir, etwa 200 Kilometer östlich von Moskau, sollen Dutzende Menschen ein Wahllokal angegriffen haben. Die Partei Einiges Russland beschuldigte ihre Konkurrentin Gerechtes Russland des Überfalls. Deren Regionalchef erzählte jedoch, er und sein Team hätten um 10.30 Uhr immer noch vor verschlossenen Türen gestanden. Ein Anruf bei der Wahlkommission habe ergeben, dass eine Mitarbeiterin den Schlüssel vergessen hatte. Sie empfahl angeblich, über eine Feuerleiter ins Gebäude zu gelangen. Als sie dies taten, sahen sie angeblich im Wahlraum eine bereits gefüllte Urne. Die Tür öffnete sich und etwa hundert Sicherheitsleute kamen herein. Welche Version nun stimmt, soll überprüft werden.

Die Internetseite der unabhängigen russischen Beobachterorganisation Golos (Stimme) war am Sonntag noch immer blockiert. Bereits am Freitag hatte ein Gericht Golos zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie Tausende Verstöße gegen das Wahlgesetz dokumentiert hatte. Die meisten von ihnen soll die Regierungspartei Einiges Russland begangen haben. Die Organisation wurde mit einer Geldbuße bestraft. Am Freitagabend dämonisierte ein russischer Fernsehsender Golos als eine von Amerikanern unterstützte und abhängige Organisation. Tags darauf wurde Glos-Chefin Lilija Schibanowa viele Stunden am Moskauer Flughafen Scheremetjewo festgehalten.

Berichte über Einschüchterungen

Die Opposition sprach von der bisher schmutzigsten Wahlkampagne in Russland. Einiges Russland wiederum warf am Sonntag auch der Opposition vor, gegen die Wahlgesetze verstoßen zu haben. Auch ihre Seite sei zwischenzeitlich von Hackern attackiert worden.

Ausgerechnet die bekanntesten russischen Menschenrechtler äußerten sich am Tag der Abstimmung zunächst ungewöhnlich wohlwollend. Ljudmila Alexejewa, Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, sagte, sie hab keine Berichte über Verletzungen des Wahlgesetzes erhalten. Auch Oleg Orlow, Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial und Wahlbeobachter im Moskauer Wahllokal Nummer 3000, sagte am Sonntagmittag: "Ich kann bisher von ernsthaften Verletzungen nichts berichten." Aber er konnte ja auch nicht überall sein.

In der Region Krasnobakowsk, so beklagten sich jedenfalls die Kommunisten, hingen als Orientierungshilfe in fast allen Abstimmungslokalen vergrößerte Muster eines Wahlscheins. Auf ihnen war ein Haken zu sehen - und daneben der Name "Medwedjew".

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