Parlamentswahl in Marokko:Seine Majestät lassen wählen

In Marokko schlägt sich der arabische Frühling bislang nicht nieder. Doch nach der anstehenden Wahl könnten die gemäßigten Islamisten den Premier stellen. Entscheidend ist die Wahlbeteiligung: Vier von zehn Wahlberechtigten sind nicht eingeschrieben.

Rudolph Chimelli

Der arabische Frühling ist an Marokko bislang weitgehend vorbeigegangen. Aber es gibt Neuerungen, wenn die Marokkaner am Freitag ein neues Parlament wählen: Grundlage für die Wahl ist eine Verfassungsreform, die König Mohammed VI. verkündet hat und die im Sommer in einem Referendum 98,5 Prozent der Abstimmenden gebilligt haben.

Morocco Elections Preparations

An einer Wand in der marokkanischen Hauptstadt Rabat wird auf die Parlamentswahl am Freitag hingewiesen. Vier von zehn Wahlberechtigten sind nicht eingeschrieben.

(Foto: dpa)

Favorit bei der Wahl ist die gemäßigte islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung "PDJ". Ihre Vertreter rechnen damit, dass ihnen der jüngste Wahlsieg der ideologisch verwandten En-Nahda in Tunesien und der politische Klimawandel in der Region Schubkraft verleihen. Deshalb hoffen sie, bis zu 80 der 395 Mandate zu erhalten. Schon bei der Wahl 2007 erhielt die PDJ die meisten Stimmen, aber nur 47 der bisher 325 Sitze. Denn die Wahlkreiseinteilung begünstigte die konservative Istiklal-Partei, die es mit nur 16 Prozent der Stimmen auf 52 Mandate brachte. Ihr gehört auch der Premierminister Abbas al-Fassi an.

Wichtigste Neuerung ist nun, dass der König den Regierungschef nicht mehr nach Belieben bestimmen kann, sondern ihn aus der Gruppierung mit den meisten Mandaten wählen soll. Das könnte bedeuten, dass Marokko einen islamistischen Premierminister erhält.

Wahlbeteiligung als wichtiges Signal

Doch die PDJ mit ihrem Vorsitzenden Abdelilah Benkirane ist für eine parlamentarische Mehrheit auf Koalitionspartner angewiesen. Ihr steht ein Bündnis von acht palastnahen Parteien gegenüber. Es nennt sich Allianz für die Demokratie, kurz G 8, und verfügt im Parlament bisher über fast die Hälfte der Sitze. Intellektueller Mentor des Bündnisses ist ein Jugendfreund des Königs, Fuad Ali Himma, ihr Spitzenkandidat der derzeitige Finanzminister Salaheddine Mezouar. Gemäß einer dehnbaren Formulierung der Verfassung könnte der Monarch auch die G 8 als stärkste Gruppierung bewerten.

Großen Einfluss hat auch die Wahlbeteiligung. Vor vier Jahren lag sie bei nur 37 Prozent und fiel damit so niedrig aus wie nie zuvor in der Geschichte des Landes. Noch dazu waren 19 Prozent der Stimmzettel weiß oder ungültig. Auch während der derzeit laufenden Kampagne war das Interesse der Bürger gering. Wenn die Wahlbeteiligung abermals weniger als 50 Prozent betragen wird, wäre das ein Zeichen, wie sehr das Vertrauen in die Reformpolitik des Monarchen gesunken ist.

Protestbewegung will die Wahl boykottieren

Ohnehin sind von 21,5 Millionen Marokkanern im wahlberechtigten Alter nur 13,6 Millionen eingeschrieben. Vier von zehn Berechtigten stehen auf keiner Liste. Vergeblich hatte die PDJ eine Neuaufstellung der Listen verlangt. Sie gehen auf den berüchtigten Innenminister Driss Basri zurück, der unter dem Vater des jetzigen Königs die Wahlen kräftig manipuliert hatte. Ferner beanstanden die Islamisten, dass sehr häufig Stimmen gekauft würden.

Die vorwiegend von Studenten, Intellektuellen und arbeitslosen Akademikern getragene Protestbewegung des 20. Februar, die dem König Anlass zu Reformen gab, ruft zum Boykott der Parlamentswahl auf. Dies tut auch die geduldete, aber nicht lizenzierte radikal-islamistische Bewegung Gerechtigkeit und Wohlverhalten des Scheichs Abdessalam Yassine. Diese Gruppierung hat möglicherweise tatsächlich mehr Anhänger als die PDJ, wird sich aber nach den Worten des Politologen Mohamed Tozy, Professor in Casablanca und Aix-en-Provence, in jedem Fall als Sieger ausgeben. "Bei hoher Stimmenthaltung behaupten sie, das sind wir. Wenn die PDS gewinnt, ist es wieder ihr Sieg, wenn sie scheitert, sind sie die Ursache", sagt Tozy.

Da die PDJ im Gegensatz zu Yassine die Monarchie nicht in Frage stellt, gelten sie auch als "die Monarchisten seiner Majestät". Ihre Abgeordneten sind die aktivsten im Parlament, während die Vertreter anderer Parteien oft unsichtbar bleiben. "Wir sind bereit, die Regierungsverantwortung zu übernehmen", sagt auch Benkirane. "Wir ähneln En-Nahda im gleichen Maß, wie Marokko Tunesien ähnelt", sagte er am Vorabend der Wahl dem Pariser Figaro. Auch seine Partei bemüht sich um den Ruf der Toleranz. Sie wettert nicht mehr wie früher gegen Kultur-Festivals, und von der Forderung nach einem Alkoholverbot rückt Benkirane ab. "Wir sind berufen, politische Probleme zu lösen. Unsere islamische Orientierung hilft uns, die Probleme zu verstehen." Selbst wenn der König einen PDJ-Premier ernennt, muss es nicht Benkirane zu sein, den er nicht mag.

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