Parlamentswahl in Irland:Zahltag im Land der Habenichtse

Mitten in der Finanzkrise wählen die Iren eine neue Regierung. Das Land steht von einem spektakulären Machtwechsel, aber die Bürger haben kaum mehr im Sinn, als Rache an der Politik zu nehmen.

Wolfgang Koydl, Tobercurry

Freundlich genug sieht Tommy Killoran ja aus, und deshalb wirkt es umso merkwürdiger, wenn er jetzt von Zorn und Ärger spricht, dem eigenen und dem seiner Landsleute. "Wir haben eine mordsmäßige Wut im Bauch", grummelt er und schafft es, gleichzeitig freundlich zu lächeln. "Es ist unwahrscheinlich, was diese Bande uns angetan hat, und wir wollen sie nur bestrafen, richtig, richtig abstrafen."

Irish general elections

Irland vor dem Machtwechsel? Nachdem die Regierung von Minsiterpräsident Brian Cowen zusammengebrochen ist, rechnen alle Beobachter damit, dass seine seit 14 Jahren regierende Fianna Fáil die Macht abgeben muss. Im Bild: Gerard Deere, der Bürgermeister der Stadt Castlebar, bei der Eröffnung der lokalen Parteizentrale der Oppositionspartei Fine Gael, der gute Chancen auf die Regierungsübernahme eingeräumt werden.

(Foto: dpa)

Killoran ist 77 Jahre alt, geboren und aufgewachsen auf einem Bauernhof gleich hier in der Umgebung der westirischen Kleinstadt Tobercurry an der Grenze der Grafschaften Mayo und Sligo. Zu Hause waren sie zehn Kinder, in Holzschuhen hat man ihn zur Schule geschickt, und manchmal war auch nicht genug Essen auf dem Tisch. "Ich habe viel erlebt in meinem Leben, auch wirtschaftliche Krisen", sagt er. "So schlimm wie jetzt war es noch nie." Aber es ist doch immer wieder aufwärts gegangen? "Schon. Aber diesmal wird es dauern. Ich werde das nicht mehr erleben."

In Tobercurry kann man sie ebenso gut besichtigen wie an jedem anderen Ort Irlands: die Wirtschafts-, Schulden- und Finanzkrise, welche die kleine Insel gleichsam über Nacht hat abstürzen lassen vom neureichen europäischen Wunderkind zum Bettler und Bittsteller des Kontinents. Die Schaufenster vieler Läden rings um den Wolfe Tone Square von Tobercurry sind mit Brettern vernagelt. Draußen, auf sauren Wiesen, vergammeln ganze Siedlungen nagelneuer Einfamilienhäuser - aus Stein und Mörtel geformte Zeugen einer außer Rand und Band geratenen Immobilienwirtschaft. Für sie gibt es nun keine Käufer mehr.

In den Pubs des Ortes findet man kaum mehr junge Leute. Sie sind entweder in Dublin, um sich ein Arbeitsvisum für Dubai, Australien oder Kanada zu besorgen, oder in Liverpool, Leipzig oder Lublin auf Jobsuche. "Dass unsere Jugend wieder ins Ausland gehen muss", meint Killoran und deutet mit dem Zeigefinger auf sein Herz, "das tut am meisten weh."

Der Absturz der grünen Insel war so jäh wie brutal. Zweistellig notierten die Wachstumsraten des "keltischen Tigers", Geld und Kredite waren wohlfeil, Investoren strömten ins Land: Die Wirtschaft schnurrte und brummte - so sehr, dass sie schließlich heiß lief und knirschend zum Stillstand kam. Außenstände in Höhe von 100 Milliarden Euro hatten die Banken angehäuft; eine astronomische, eine unvorstellbar hohe Summe, wenn man in Rechnung stellt, dass die Regierung in Dublin in einem durchschnittlichen Jahr nur etwas mehr als 40 Milliarden Euro an Steuern einnimmt.

Dennoch sprang die Regierung ein und stand - in einem Anflug von Größenwahn oder Großmut - für die Verbindlichkeiten der Finanzwelt gerade. Damit freilich bürdete sie die Last dem Steuerzahler auf, und weil sich schnell herausstellte, dass sich der Staat gewaltig übernommen hatte, mussten Europäische Union und Internationaler Währungsfonds zu Hilfe eilen - zum Ärger der Iren, die traditionell sehr empfindlich auf jeden Verlust ihrer blutig erkämpften Souveränität reagieren. "Wir können unser Budget nicht mehr kontrollieren und damit auch nicht mehr unsere Geldpolitik", klagt die Dubliner Journalistin Mary Ellen Synon, "wir haben keine Kontrolle über unsere Steuerpolitik, über die Währung und unsere Schulden. Was wir jetzt wählen ist kein Parlament, sondern nur die Hülle eines Parlaments ohne jegliche Vollmachten."

Dieses Parlament wird am 25. Februar gewählt, nachdem die Regierung von Taoiseach (Ministerpräsident) Brian Cowen auseinandergebrochen war - die erste Regierung in Europa, die über die internationale Finanzkrise stürzte. Für die Wähler ist dieser 25. Februar Zahltag, dann werden sie ihr Mütchen kühlen und sich gleich an der ganzen politischen Klasse rächen.

Niemand bezweifelt, dass Fianna Fáil, seit 14 Jahren an der Regierung und ähnlich wie die CSU in Bayern seit Gründung des Staates gleichsam ein Synonym für die ganze Republik, in die Opposition geschickt wird. Offen ist nur, ob sie künftig die kleinste Fraktion im Dáil, dem Parlament in Dublin, stellen wird, oder nur die zweitkleinste. Die Hauptstadt Dublin gilt bereits als verloren, aber auch im Kernland im Westen und in der Landesmitte bröckelt die Zustimmung. Manche Meinungsforscher sehen nur mehr 13 FF-Abgeordnete im nächsten Parlament. Im alten waren es noch 78.

Fine Gael, ewiger Rivale von Fianna Fáil seit den Tagen des irischen Bürgerkrieges von 1922, und ihr Vorsitzender Enda Kenny, stehen mit ständig wachsendem Selbstbewusstsein zur Regierungsübernahme bereit. Wenn die jüngsten Umfragen nicht trügen, könnten sie auf ihren traditionellen Koalitionspartner, die Labour Party, verzichten und mit Hilfe einiger unabhängiger Abgeordneter allein regieren - was eine Sensation in der jüngeren Geschichte wäre. Der Ton zwischen den beiden mutmaßlichen Partnern hat sich in den letzten Tagen deutlich verschärft. Labour-Chef Eamon Gilmore warnte mehrmals vor den Gefahren einer Ein-Parteien-Regierung.

Die Opposition bezieht ihre Kraft allein aus dem Hass auf die Regierung

Ob sich nach der Wahl wirklich Grundsätzliches ändern wird, wie es alle Parteien nun versprechen, bezweifeln viele Iren. "Ich glaube ja nicht, dass die anderen Parteien wirklich besser sind als Fianna Fáil", meint denn auch Sean Hanratty abfällig. Nach den Worten des 31-jährigen Verkäufers aus Dundalk profitieren Fine Gael und Labour lediglich vom Hass auf die Regierung, nicht weil sie grundsätzlich eine andere Politik verfolgten.

Tatsächlich hatten diese beiden Oppositionsparteien im Parlament der internationalen Rettungsaktion für Irland zugestimmt, und damit den brutalen Sparmaßnahmen und Kürzungen ihren Segen gegeben, mit denen Dublin hofft, bis 2014 aus dem tiefen Schuldenloch herausklettern zu können. Auch Fine Gael und Labour sehen keine Alternative zu ausländischen Krediten und hausgemachten Kürzungen. Im Gegensatz zu Fianna Fáil versprechen sie lediglich, dass sie die Kreditbedingungen ein wenig nachbessern wollen.

Der voraussichtliche neue Regierungschef Kenny wurde zu diesem Zweck unlängst in Berlin bei Angela Merkel vorstellig. Mit ihrem in schwierigen Jahrhunderten geschärften Galgenhumor verglichen die Iren die Visite mit einem Besuch beim Zweigstellenleiter der Bank, bei der man die Hypothek fürs Eigenheim aufgenommen hat. Und weil in der EU nun mal kein Weg am mächtigen Deutschland vorbeiführt, ist die Kanzlerin letztlich Herrin über Irlands Finanzen. Missmutig maulte die Irish Daily Mail denn auch vor kurzem, dass "unter den Finanzinspektoren der EU immer mindestens einer ist, der Klaus heißt".

Kenny möchte zum einen den Zinssatz auf die EU-Kredite von derzeit stattlichen sechs Prozent herunterverhandeln. Darüber, so verlautet aus Brüssel und Berlin, lasse man vielleicht mit sich reden. Nicht aber über Dublins zweiten Wunsch: die von Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy vorangetriebene europäische Harmonisierung der Körperschaftsteuern. Irlands Boom der letzten Jahre beruhte nämlich ganz wesentlich auf einem niedrigen Satz, der ausländische Investoren anlockte.

Missmut und Überdruss gegenüber den etablierten Parteien könnten bisherigen Außenseitern eine Chance geben. Zu ihnen gehört Sinn Féin, einst der politische Arm der nordirischen Terrororganisation IRA. Auf seine alten Tage hat Sinn Féins Präsident Gerry Adams seine Karriere in Nordirland aufgegeben und sich in den Wahlkampf im Süden der Insel gestürzt. Die Partei hatte immer auch sozialistische Wurzeln, und daher ist ihr Programm auch besonders radikal: Irland sollte einfach Bankrott anmelden, so wie ein Hausbesitzer, der die monatlichen Raten nicht mehr aufbringen kann. Sollen die internationalen Banken und Finanzinstitutionen doch sehen, so die Argumentation, woher sie ihr Geld kriegen.

In Yvonne O'Tooles Augen stiehlt sich ein spitzbübisches Glitzern, wenn sie sich diese Möglichkeit ausmalt. "Das klingt schon sehr verlockend", gesteht die Hausfrau aus Sligo ein, "aber wir müssen erwachsen handeln und nicht wie Kinder." Sinn Féins Rezept, so glaubt sie, würde die Lage eher verschlimmern als verbessern.

Dass sie mit dieser Ansicht nicht alleine steht, bekommt Gerry Adams im Endspurt des Wahlkampfes täglich vor Augen geführt: Die anfänglich hohen Zustimmungswerte für Sinn Féin haben sich längst wieder jenem bodenständigen Bereich angenähert, in dem die Partei in der Republik traditionell zu Hause ist. Zur Skepsis dürfte auch beigetragen haben, dass Adams das Vorurteil vieler Iren bestätigte, letztlich ein nordirischer Politiker ohne Kenntnis der Zustände in der Republik zu sein. Als er kürzlich gefragt wurde, wie hoch die Sozialsätze in der Republik seien, musste er passen.

Die größten Gewinner der Krise dürften die Unabhängigen sein, die in der irischen Politik schon immer eine wichtige Rolle gespielt haben. Manche Umfragen sehen sie bereits als drittstärkste Fraktion im Dáil. Ob sie freilich viel ökonomischen Sachverstand mitbringen, darf bezweifelt werden. Declan Bree beispielsweise, der im Wahlkreis von Tommy Killoran kandidiert, will als Abgeordneter alle Sparmaßnahmen für Geringverdiener und die Mittelklasse rückgängig machen. Killoran schüttelt nur den Kopf über so viel Unverstand: "Klingt ja wirklich gut", seufzt er schließlich. "Aber wie will er das bezahlen? Mit neuen Krediten vielleicht?"

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