Parlamentswahl in Indien:Last der Erwartungen

Parlamentswahl in Indien: Kongresspartei vor Niederlage: Partei-Vize Rahul Gandhi und seine Schwester Priyanka in Uttar Pradesh.

Kongresspartei vor Niederlage: Partei-Vize Rahul Gandhi und seine Schwester Priyanka in Uttar Pradesh.

(Foto: Sanjay Kanojia/AFP)

Indiens Kongresspartei kämpft um die Macht. Nach Wirtschaftskrise und Korruptionsskandalen steuert die Partei der Gandhi-Erben bei der größten Wahl der Welt auf eine ihrer größten Niederlagen zu. Die prominenten Vorfahren sind dabei ein beachtliches Erbe - und eine schwere Last.

Von Arne Perras, Singapur

Der Brustumfang ist im indischen Wahlkampf eine feste Größe. 56 Inches - 142 Zentimeter - braucht man, um ein ganzer Kerl zu sein. Das ist eine indische Redensart. Mit dieser Zahl prahlt jetzt auch der Favorit bei dieser eindeutig größten Wahl der Welt, der oppositionelle Hindu-Nationalist Narendra Modi. Er braucht das für sein Image, er gibt den starken Mann. Andere machen sich über das Machogehabe lustig. Priyanka Gandhi zum Beispiel. Für sie ist Modis Kraftmeierei eine Steilvorlage. Sie kontert: "Wer Indien führen will, braucht nicht die Brustgröße 56, sondern ein großes Herz."

Wenn Priyanka Gandhi spricht, wird sie gehört. Das hat natürlich mit ihrem großen Namen zu tun. Aber nicht nur. Die Medien bringen ihr viel Sympathie entgegen. Die 42-Jährige verleiht ihrer Familie, dem Gandhi-Nehru-Clan, neuen Schub. Dabei kandidiert sie gar nicht. Das macht ihr Bruder Rahul. Er kämpft in Amethi, der Hochburg der Familie, um seinen Parlamentssitz für die Kongresspartei, die Partei der Gandhis. Priyanka hilft im Wahlkampf nur aus.

Früher war alles leichter. Ein Gandhi musste das Mandat im Bundesstaat Uttar Pradesh nicht erobern, es war ihm sicher. Inzwischen aber muss sich Rahul, 43 Jahre alt, dem Ansturm der oppositionellen Hindu-Nationalisten erwehren. Die Schmach wäre groß, sollte er den Sitz verlieren. Wie der Kampf ausgeht, werden die Inder erst am 16. Mai wissen. Dann werden, nach fünf Wochen Wahl, alle Stimmen ausgezählt.

Die Partei gilt als verkrustet

Gut möglich, dass Rahul - vielleicht dank seiner Schwester - die Bastion in Amethi noch halten kann. Doch es wird schwer, die Macht auf nationaler Ebene zu verteidigen. Das Ansehen der in Delhi regierenden Koalition unter Führung der Kongresspartei leidet unter Korruptionsskandalen. Sie hat es nicht geschafft, den Staat aus der wirtschaftlichen Krise zu führen. Die Partei gilt als verkrustet. Der Ruf nach Wandel ist überall hörbar. Wer den Umfragen vor Wahlbeginn Glauben schenkt, sieht die Gandhi-Partei auf eine ihrer größten Niederlagen zusteuern.

Doch die Gandhis kämpfen, auch und vor allem in Amethi, wo die Wähler am Mittwoch ihre Stimme abgegeben haben. Priyanka und Rahul sind die Kinder von Rajiv Gandhi, Enkel von Indira Gandhi und Urenkel des legendären ersten Premierministers Jawaharlal Nehru. Vater, Großmutter, Urgroßvater: Alle drei waren Regierungschefs Indiens. Ein beachtliches Erbe ist das - und eine schwere Last.

Der Kronprinz kennt sein Problem

Man kann das besonders gut an Rahul beobachten, dem Kronprinzen des Klans. Er hat das Dilemma seines politischen Aufstiegs selbst so formuliert: "Mein Vater war in der Politik, meine Großmutter und mein Urgroßvater. Es war einfach für mich, in die Politik zu gehen. Das aber ist ein Problem." Seine Rolle als Sachwalter des politischen Familienerbes betrachtet Rahul Gandhi offenbar selbst nicht mehr als zeitgemäß. Gleichzeitig aber führt er - selbstverständlich - die Kongresspartei im Wahlkampf. Seine Mutter wollte es so, Sonia, die aus Italien stammende Witwe Rajiv Gandhis. Aber will es auch ihr Sohn? Viele Inder sind da skeptisch. Rahul wirkt zögerlich, sprunghaft, verschlossen, er scheint voller Widersprüche zu sein. Mal haute er gewaltig auf den Putz, dann war er wochenlang von der Bühne verschwunden. Einen entschlossenen Politiker sehen in ihm die wenigsten.

Das Zaudern könnte mit traumatischen Erlebnissen zu tun haben, über die er manchmal spricht. Vielleicht tut er das aus politischem Kalkül, um Sympathien zu wecken. Vielleicht folgt er auch einem inneren Drang. Rahuls Großmutter wurde von ihren Leibwächtern ermordet, auch sein Vater Rajiv starb bei einem Attentat. Sie haben ihr politisches Engagement mit dem Leben bezahlt, und das hat Spuren in der Familie hinterlassen. Bei Rahul und auch bei Priyanka, die nach dem Mord an ihrem Vater unter Depressionen litt. Trotz dieser Last scheint eine Abkehr von der Politik für die Nachkommen schwer möglich zu sein. Zu groß sind die Zwänge einer dynastisch geordneten Partei, die ohne die Führung der Familie zerfallen würde. Alle wissen: Die Gandhis sind der Kitt, der den Kongress zusammenhält. Einer aus dem Clan muss weitermachen, ob er will oder nicht.

Muslime werden kaum für Modi stimmen

Die Gandhis halten das Ideal einer säkularen Politik hoch, und sie setzen auf die Netzwerke der Patronage, um die Armen an sich zu binden. Ihren Gegner, den Hindu-Nationalisten Modi, versuchen sie, an seiner schwächsten Stelle zu packen: Sie erinnern an das finstere Jahr 2002 in Gujarat, als dort mehr als 1000 Menschen bei religiösen Unruhen starben, die meisten Muslime. Modi regierte schon damals diesen aufstrebenden Bundesstaat und hatte das Morden erst spät gestoppt. Die Gerichte haben ihm keine Schuld nachgewiesen, doch die Debatte über seine Rolle ist nicht verstummt. Die Muslime werden für Modi kaum stimmen, das dürfte den Gandhis in die Hände spielen. Aber dass die Kongresspartei das Blatt noch wenden kann, gilt als unwahrscheinlich.

Viele Inder halten Priyanka für politisch talentierter als ihren Bruder. Wo sie auftritt, beeindruckt sie durch Entschlossenheit und rhetorisches Geschick. Manche sehen darin ein Zeichen, dass sie - und nicht Rahul - zum Regieren geboren sei. Tatsächlich wirkte es in den Medien manchmal so, als kämpfte Narendra Modi gegen Priyanka Gandhi. Doch Priyanka, die Psychologie studierte, hat es stets abgelehnt, dauerhaft in die Politik zu gehen. Sie hat zwei Kinder, und es heißt, dass sie ihr Familienleben nicht aufgeben will.

Manche glauben dennoch, dass sich dies ändern könnte, wenn es Bruder Rahul auf Dauer nicht gelingt, seine Partei zum Sieg zu führen. Dann dürften die Rufe nach Priyanka lauter werden. Aber auch sie hat einen Schwachpunkt: Ihr Mann Robert Vadra ist Mulitimillionär und ins Zwielicht geraten, weil er in kurzer Zeit ein Immobilien-Imperium aufgebaut hat. Dabei soll es nicht nur mit rechten Dingen zugegangen sein. Vadra weist die Vorwürfe zurück, die meist von Hindu-Nationalisten kommen.

Aber vielleicht hat sie in diesen Tagen doch schon geübt für die Zukunft, entscheidend wird sein, wie viele Stimmen die Partei mit ihrem Bruder als Wahlkampfchef gewinnt. Und überhaupt: Was ist schon eine Wahlperiode? Die Kongresspartei kann in größeren Zeiträumen denken, sie hat Indien mehr als ein halbes Jahrhundert lang dominiert. Niemand hat sie abgeschrieben, auch wenn sie diese eine Schlacht nun verlieren sollte. Priyanka ist erst Anfang 40, manche sehen in ihr eine neue Indira. Davon will die Enkeltochter nichts wissen. Noch nicht.

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