36 Prozent aller Stimmen, 149 Sitze im neuen griechischen Parlament: Alexis Tsipras hat allen Grund, sich am Wahlabend von den Anhängern seiner Syriza-Partei feiern zu lassen. Wie immer trägt der "Wutfänger aus Athen" auch bei diesem Auftritt keine Krawatte zum offenen Hemd.
Der 40-Jährige spricht zu Recht von einem historischen Tag für sein Heimatland und für Europa, doch er weiß, was auf ihn zukommt. "Ab morgen beginnt die harte Arbeit", ruft er der jubelnden Menge zu. Dies ist keine Floskel, denn die griechische Verfassung gibt einen engen Zeitplan vor - der Wahlsieger hat theoretisch drei Tage Zeit, um eine Koalition zu bilden.
Zur absoluten Mehrheit von 151 Sitzen fehlen Syriza noch zwei Mandate und seinen Koalitionspartner hat Tsipras sehr schnell gefunden. Am Vormittag traf er sich mit Panos Kammenos, dem Anführer der rechtspopulistischen "Unabhängigen Griechen" (Anel) - Kammenos durfte dann gleich verkünden, dass Anel eine Regierungsbildung mit Syriza anstrebe.
Anel hatte sich von der konservativen Nea Dimokratia (ND) abgespalten, die bisher mit Antonis Samaras den Ministerpräsident stellte. Die "Unabhängigen Griechen" kamen am Sonntag auf 4,8 Prozent (13 Sitze) und vertreten die Meinung, dass Griechenland von den Geldgebern "besetzt" sei und von diesen "befreit" werden müsse. Athen solle keine Schulden zurückzahlen. Diese Gemeinsamkeit hat die "Unabhängigen" offenbar für Tsipras attraktiv gemacht, auch wenn diese nationalistische Partei ideologisch weit von Syriza entfernt ist. Noch an diesem Montag hat Tsipras von Präsident Karolos Papoulias den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten und wurde vereidigt.
Zuvor war auch über einen Bund Syrizas mit der linksliberalen Partei "To Potami" spekuliert worden, die sechs Prozent der Stimmen (17 Sitze) erhielt. "To Potami" bedeutet "Der Fluss" und hinter ihr steht der TV-Journalist Stavros Theodorakis. Dieser hatte vorab klare Bedingungen gestellt: Neben einem pro-europäischen Kurs sei die Mitgliedschaft in der Euro-Zone zwingend. Wie Tsipras setzt sich Theodorakis dafür ein, die allgegenwärtige Korruption und die Klientelpolitik der Traditionsparteien Pasok und ND zu beenden - und so dem Staat mehr Einnahmen zu verschaffen ( mehr über Griechenlands Oligarchen in diesem SZ.de-Interview).
Ihr Forum:Was bedeutet Syrizas Sieg für Europa?
Das Linksbündnis Syriza hat Prognosen zu Folge die Wahl in Griechenland deutlich gewonnen - auch aufgrund des Versprechens, die von der Troika geforderte Sparpolitik zu beenden. Welche Folgen könnte der Regierungswechsel für Europa haben?
Tsipras wird Kompromisse eingehen müssen
Welche Schwerpunkte die "Unabhängigen Griechen" setzen wollen, ist bislang unklar. Deren 13 Mandate verschaffen Tsipras jedoch eine breitere Mehrheit, die er dringend braucht. Denn in den Reihen seines linken Syriza-Bündnisses gibt es einige Fundamentalisten, die Pragmatismus und Kompromisse ablehnen - und diese wird der künftige Premier eingehen müssen ( mehr in dieser SZ-Analyse).
Beim heutigen Treffen der EU-Finanzminister wird Griechenland noch ein letztes Mal von Gikas Hardouvelis vertreten - und sicher werden sich viele Gespräche um diese Wahl drehen. Bei Syriza geht man laut Reuters davon aus, dass die Regierung des neuen Ministerpräsidenten Tsipras spätestens am Mittwoch vereidigt werden soll. Wen der Syriza-Chef als Minister auswählt und wie er bei der Präsentation des Kabinetts auftritt, dürfte Anzeichen geben, wie der 40-Jährige mit den Partnern der Europäischen Union umgehen wird.
Denn ohne EU und Europäische Zentralbank können weder die griechische Regierung noch die hellenischen Banken überleben. Das Land muss im ersten Quartal mehr als vier Milliarden Euro an Krediten zurückzahlen - davon allein fast drei Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF). Dessen Programm läuft noch bis März 2016, doch der europäische Teil der Hilfe endet bereits in wenigen Wochen, am 28. Februar. Allgemein wird damit gerechnet, dass die EU-Kommission und Athen einen Kompromiss schließen werden, da beide die Ausgangslage kennen. So hatte ein EU-Diplomat am Freitag der SZ gesagt: "Wenn Athen sich stur stellt, werden die Euro-Länder ihre Hilfe sofort beenden. Griechenland wird sich dann ab dem Frühjahr nicht mehr finanzieren können."
Einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge haben sowohl Finanzminister Hardouvelis als auch Zentralbankchef Giannis Stournaras Alexis Tsipras in den letzten Wochen mehrfach über die finanziellen Spielräume informiert und dem Syriza-Chef wohl deutlich gemacht, dass Griechenland ohne Kooperation mit der Troika nicht überlebensfähig ist.
Athen wird seit fünf Jahren von den Euro-Ländern und dem IWF unterstützt, weil die Regierung wegen zu hoher Schulden auf den Kapitalmärkten keinen Kredit mehr erhält. Insgesamt haben die Partner der griechischen Regierung fast 240 Milliarden Euro geliehen, Deutschland bürgt für etwa 53 Milliarden.
So können sich die vier größten griechischen Geldhäuser - Alpha-Bank, Euro-Bank, Piräus-Bank und Ethniki-Bank - nicht auf den privaten Kapitalmärkten mit Geld versorgen, sondern sind auf Rückendeckung der EZB angewiesen.
Tsipras ist nun endgültig Star der europäischen Linken
In den nächsten Wochen wird es für Tsipras und seine Regierung darum gehen, ein Programm auszuarbeiten, dass nicht nur für die EZB, die Partner der EU-Kommission in Brüssel sowie in Berlin, Paris oder Rom akzeptabel ist, sondern dem auch die eigene Partei und die Wähler in Griechenland zustimmen können. Welche seiner Versprechen Tsipras unter diesen Sparzwängen wird einhalten können, ist ebenso völlig offen: Der 40-Jährige hatte im Wahlkampf angekündigt, den monatlichen Mindestlohn von 586 auf 751 Euro anzuheben, Massenentlassungen zu verbieten und 300 000 neue Jobs zu schaffen.
Seit seinem fulminanten und deutlichen Wahlsieg vom Sonntag, der ihn nun zum neuen griechischen Premierminister macht, hat Alexis Tsipras noch einen weiteren Titel endgültg sicher: Er ist nun der Star der europäischen Linken, die auf ein Ende der strengen Sparpolitik hoffen. Im Wahlkampf trat Tsipras unter anderem mit dem Spanier Pablo Iglesias, dem Chef der linksliberalen "Podemos"-Partei, auf.
Tsipras ist sich seines eigenen Charismas und der Symbolik seines Erfolgs bewusst. Deswegen wird er sicher trotz seines engen Zeitplans bald nicht nur nach Brüssel reisen - sondern auch nach Madrid, Rom oder Lissabon, um dort für seine Überzeugungen zu werben.
Linktipps:
- Ein Porträt des "Revoluzzers" und eindeutigen Wahlsiegers Alexis Tsipras lesen Sie hier.
- Wie Syriza-Chef Alexis Tsipras von seiner radikalen Rhetorik abrückt und erste Kompromisse andeutet, beschreibt SZ-Korrespondentin Christiane Schlötzer in dieser Analyse.
- Die BBC beschreibt in einem ausführlichen Stück, wie sich Syriza darauf vorbereitet hat, politische Verantwortung zu übernehmen.