Parlamentswahl in Frankreich:Es geht um Macrons Machtfülle

  • Bei der Parlamentswahl an diesem und nächstem Sonntag entscheiden die Franzosen, ob sie Macron eine breite parlamentarische Basis gewähren.
  • Den Umfragen zufolge dürfte Macrons Partei im Verbund mit der Mitte-Partei Modem im ersten Wahlgang mit gut 30 Prozent der Stimmen klar vorne liegen.
  • Am 18. Juni würde sie dann die absolute Mehrheit erringen - womöglich sogar mehr als 400 der 577 Sitze.

Von Leo Klimm, Paris

Vielleicht ist es Aberglaube. Oder einfach nur Respekt vor den Wählern. Jedenfalls möchte Édouard Philippe noch nicht an den ungefährdeten Sieg glauben, den die Demoskopen ihm und seinem Chef Emmanuel Macron vorhersagen. "Ich bin vorsichtig", sagt Frankreichs Premierminister und verweist auf die britischen Bürger, die bei ihrer Parlamentswahl wieder einmal für eine Überraschung gesorgt hätten. Doch die französischen Meinungsforscher - die trotz geradezu tektonischer Verschiebungen in der Politik ihres Landes zuletzt immer richtig lagen - müssten sich schon sehr täuschen, wenn Präsident Macron an diesem Wochenende nicht der nächste große Sieg gelänge.

Schon wieder wird in Frankreich gewählt. Und diesmal geht es um die eigentliche Machtfülle des vor einem Monat bestimmten Staatschefs: Bei der Wahl zur Nationalversammlung an diesem und dem darauf folgenden Sonntag entscheiden die Franzosen, ob sie Macron und Premier Philippe eine breite parlamentarische Basis gewähren. Nicht umsonst wird das Votum, bei dem kurz nach der Kür des Staatsoberhaupts die Abgeordneten in 577 Kreisen bestimmt werden, auch als dritte Runde der Präsidentschaftswahl bezeichnet. Er hoffe, die Wahl beschere seiner Regierung "eine Mehrheit, die es ihr erlaubt, die Aufrichtung des Landes zu starten", so Philippe.

Die Franzosen dürften dem Wunsch nach einem Reformmandat für den sozialliberalen Präsidenten und seinen bei den Konservativen abgeworbenen Premierminister entsprechen. Dabei wird sich auch die von Macron versprochene personelle Runderneuerung der Politik fortsetzen: In der Nationalversammlung werden absehbar viele erfahrene Abgeordnete durch Politik-Novizen abgelöst.

Vorwürfe der Vetternwirtschaft beeindrucken die Wähler wenig

Allen Umfragen zufolge dürfte Macrons erst 2016 gegründete Formation La République En Marche (die bis vor Kurzem schlicht "En Marche" hieß) im Verbund mit der Mitte-Partei Modem im ersten Wahlgang mit gut 30 Prozent der Stimmen klar vorne liegen. Am 18. Juni dann würde sie die absolute Mehrheit erringen - womöglich sogar mehr als 400 der 577 Sitze.

Wie bei der Präsidentschaftswahl begünstigt die Kombination aus zwei Wahlgängen und Mehrheitswahlrecht die Kandidaten, die in ihren Stimmbezirken nach der ersten Runde klar in Führung liegen. Vorwürfe der Vetternwirtschaft gegen einen Vertrauten Macrons sowie eine Affäre um Scheinbeschäftigung bei Modem-Politikern scheinen die En-Marche-Wähler wenig zu beeindrucken. Dabei hat Macron seinen eigenen Einzug in den Pariser Präsidentenpalast auch dem Versprechen zu verdanken, mit unsauberen Praktiken der Altparteien aufzuräumen.

Ein Gesetzentwurf zur Terrorbekämpfung sorgt für Ärger

Von den etablierten Parteien dürften die konservativen Republikaner mit etwa 20 Prozent noch am besten abschneiden. Nach dem zweiten Wahlgang könnten ihnen trotzdem nur rund hundert Abgeordnete bleiben - halb so viele wie in der ablaufenden Legislatur. Die Republikaner sind nach der verlorenen Präsidentenwahl zerstritten, ob sie stärker in die Mitte oder aber in die Nähe des rechtsextremen Front National (FN) rücken sollen.

Macron hat diese Spaltung mit der Ernennung zweier Konservativer zum Premier und zum Wirtschaftsminister noch verstärkt. Der Spitzenkandidat der Republikaner, François Baroin, scheint sich auch schon damit abzufinden, dass er bei der Parlamentswahl kaum die angestrebte Kohabitation erzwingen wird, in der Regierung und Präsident aus verschiedenen Lagern kommen. Am Freitag warnte Baroin gar vor einer "hegemonischen Herrschaft" Macrons.

Für die Sozialistische Partei, bisher die größte Fraktion, geht es am Sonntag ums politische Überleben. Viele ihrer Wähler wandern zu En Marche ab oder in die entgegengesetzte Richtung: zum "unbeugsamen Frankreich" des Linksradikalen Jean-Luc Mélenchon. In den Umfragen liegen die Sozialisten bei acht Prozent. Dank taktischer Bündnisse, die zwischen den Wahlgängen auf lokaler Ebene geschlossen werden, könnten sie dennoch ungefähr so viele Sitze erringen wie das "unbeugsame Frankreich" - etwa zwei Dutzend.

Macron will eine Reform im Eilverfahren

Der Front National, dessen Chefin Marine Le Pen bei der Präsidentenwahl in den Stichentscheid gelangt war, liegt in den Umfragen bei 17 Prozent. Gab es bisher nur zwei FN-Abgeordnete, dürften es künftig mehr sein; Le Pen selbst hat gute Aussichten, in ihrem nordfranzösischen Stimmbezirk gewählt zu werden. Da sich die anderen Parteien vor dem zweiten Wahlgang gegen die Rechten verbünden wollen, ist trotzdem fraglich, ob der FN 15 Mandate und damit Fraktionsstärke erreicht.

Macron und Philippe erhoffen sich von der Wahl vor allem einen Auftrag für Arbeitsmarktreformen nach skandinavischem "Flexicurity"-Modell. Diese Woche präsentierte der Premier die Grundzüge einer geplanten Liberalisierung des Arbeitsrechts. Die Reform soll im Eilverfahren bis September verabschiedet werden. 2018 sollen der Ausbau von Umschulungsangeboten für Erwerbslose, die Umstellung auf eine steuerfinanzierte Arbeitslosenversicherung und eine Vereinfachung des Rentensystems eingeleitet werden.

Nicht nur diese Pläne stoßen im linken Lager auf Widerspruch. Am Freitag sorgte auch ein Gesetzentwurf zur Terrorbekämpfung für Ärger, mit dem Behörden auf Verdacht Wohnungen durchsuchen oder Hausarrest gegen Bürger aussprechen könnten. Die richterliche Kontrolle fiele schwach aus. Nach Verabschiedung des Gesetzes möchte Macron den seit den Pariser Anschlägen von November 2015 geltenden Ausnahmezustand aufheben. Just am Freitag entschied Frankreichs Verfassungsrat, die Praxis der Platzverweise gegen Demonstranten, die durch den Notstand möglich wurde, sei unrechtmäßig.

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