Parlamentarismus:Sinnsuche

Bundestag

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) stellt sich am Mittwochmittag dem Bundestag. Aber hatte er nicht schon in der Früh alle Fragen beantwortet?

(Foto: Tom Weller/dpa)

Was Bundestagsabgeordnete von der Befragung der Regierung haben - oder auch nicht. Ein Besuch über spärlich besetzten Reihen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Im Bundestag waren am Mittwoch gewisse Ermüdungserscheinungen zu beobachten. Zur Befragung der Bundesregierung, dieses Mal in Gestalt des Vize-Kanzlers und Bundesfinanzministers Olaf Scholz (SPD), waren nur so viele Abgeordnete erschienen, dass kaum die ersten beiden Sitzreihen im Plenum besetzt waren - man musste beinahe fürchten, dass es nicht genügend Fragesteller für die geplanten 60 Minuten Fragezeit geben könnte. Die Sorge erwies sich später als unbegründet; die wenigen Abgeordneten hatten ausreichend Wissbegier mitgebracht. Die zentrale Frage aber stellte sich erst am Ende der Stunde - und blieb unbeantwortet: Welchen Sinn hat eigentlich diese Art der Befragung der Bundesregierung?

Man sieht ja im britischen Parlament, wie lebhaft Volksvertreter streiten und ihre Regierungschefs grillen können. Nun ist die Problemlage in Deutschland eine andere als im Vereinigten Königreich, aber auch hierzulande wird öffentlich heftig debattiert: um Klimaschutz, was man Bürgern zumuten kann, über gesellschaftliche Veränderungen und das Wie-weiter der großen Koalition. Gemessen daran geht es im Bundestag beinahe schläfrig zu. Man lässt es dem Vize-Kanzler sogar durchgehen, dass er die Auskünfte zur Regierungsarbeit in Sätze wie diesen gießt: "Es ist immer wichtig, Gesetze klug zu machen, und deshalb darf man das Kinde nicht mit dem Bade ausschütten."

Aus Sicht von Olaf Scholz waren ja ohnehin schon vor der Fragestunde alle relevanten Fragen beantwortet. Die Abgeordneten hatten in der Früh in einem Interview des Vize-Kanzlers nachlesen können, warum das Klimapaket der Bundesregierung, das am vergangenen Freitag beschlossen worden war, viel besser ist als die harsche Kritik daran glauben lässt. Im Bundestag nimmt Scholz sich weitere sechs Minuten Zeit, um den "großen Wurf" zu erläutern. Ein Paket von 54 Milliarden Euro bis 2023, weit über 100 Milliarden Euro im nächsten Jahrzehnt, das größte Ausbauprogramm für die Deutsche Bahn. Und alles ist durchfinanziert, über eine höhere Kfz-Steuer für umweltschädliche Fahrzeuge, steigende Erlöse aus dem Zertifikatehandel und höhere Einnahmen aus der Lkw-Maut.

Weil aber Scholz seine Argumente, die für sich genommen stimmen, zugleich aber nicht die ganze Wahrheit sind, schon so oft und stoisch wiederholt hat, ist inzwischen im politischen Berlin ein gewisser Sättigungsgrad an Scholzschen Erklärungen eingetreten.

Die Sättigung sorgt im Bundestag nicht nur für leere Reihen, sondern auch für eine ungewöhnliche Aktion: Der Haushaltsausschuss hatte den Finanzminister ebenfalls am Mittwoch eingeladen, um zu erläutern, wie das Klimapaket in die Haushalts- und Finanzplanung des Bundes bis 2023 passte. Scholz kommt nicht oft in den Ausschuss, hatte aber zugesagt.

Morgens dann die Kehrtwende. Weil die Haushaltsexperten fürchteten, dass der Finanzminister im Ausschuss doch nur wiederholen könnte, was er im Interview und in der Fragestunde und auch zuvor schon gesagt hatte, lud man ihn aus. Und neu ein, für den 14. Oktober. Dann sollen im Finanzministerium die konkreten Planungen zum Klimapaket so weit fortgeschritten sein, dass Scholz - wenn er will - tatsächlich neue Details erklären kann.

Die Befragung hat den Abgeordneten kaum Erkenntnisse gebracht. Scholz aber hatte die Gelegenheit, seine Bewerbung als Co-Vorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD inhaltlich zu polieren. Wie er es mit der Vermögensteuer halte, will Gesine Lötzsch (Linke) wissen. Er würde die Vermögensteuer wieder einführen und sich dabei an das Modell in der Schweiz anlehnen, sagt Scholz. Die SPD habe dafür ein kluges Konzept, die Bundesregierung als Ganzes nicht. Heißt: Die Union blockiert. Die FDP wirft ihm vor, wortbrüchig beim Soli-Zuschlag zu werden, den die SPD im Wahlprogramm hatte ganz abschaffen wollen. Ja, sagt Scholz, er würde den Soli in den Einkommensteuertarif integrieren. "Aber wir haben unser Ziel nicht im Regierungsprogramm unterbringen können." Das geht wieder an die Adresse des Koalitionspartners - dessen meiste Abgeordnete sich allerdings in dieser Mittagsstunde anderswo Sättigung verschaffen und den Vorwurf nicht hören. Sie dürften ihn ohnehin kennen.

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