Staatsoberhäupter sind auch nur Menschen und als solche anfällig für Lampenfieber und Blackouts. Dass sie sich vor wichtigen öffentlichen Auftritten coachen lassen, ist mitnichten eine Entwicklung der jüngeren Zeit.
Der Vater der amtierenden britischen Monarchin Elizabeth beispielsweise, König Georg VI., litt seit seiner Kindheit unter Stottern und begab sich nach einer besonders desaströsen Rede 1925 im Wembley-Stadion vor 100 000 Menschen in Behandlung eines für damalige Verhältnisse unkonventionellen Sprachtherapeuten. Heutzutage sind Medientrainings für eine Kanzlerin, einen Premier oder Präsidenten eine Selbstverständlichkeit. Und sie alle sprechen vorher mit ihren Mitarbeitern ab, was sie sagen - oder tunlichst vermeiden zu sagen.
Treffen mit Überlebenden des Parkland-Schulmassakers:Trump will Waffengewalt mit Waffen bekämpfen
Es hätte eine Stunde des Zuhörens werden sollen im Weißen Haus. Doch der US-Präsident nutzt das Treffen mit Überlebenden des Parkland-Massakers, um seine Lehren aus der Bluttat zu verbreiten. Die dürften vor allem die amerikanische Waffenlobby freuen.
Das sollte man wissen, um den Auftritt von Donald Trump am Mittwoch im Weißen Haus fair zu bewerten. Der US-Präsident hat sich dort mit Überlebenden von Schulmassakern und Angehörigen von Opfern getroffen. Columbine, Newtown, Parkland. Es sollte eine sogenannte Listening Session werden, ein Termin, bei dem Trump vor allem zuhört. Er hatte sich trotzdem vorbereitet. Hatte sich aufgeschrieben (oder aufschreiben lassen), was er fragen und worauf er achten will. Das weiß die Welt, weil Trump seinen Notizzettel so in der Hand hielt, dass ihn die anwesenden Fotografen ablichten konnten.
Fünf Punkte sind dort notiert, vier sind auf den Aufnahmen gut zu erkennen. Punkt eins: "Was ist das Wichtigste, das ich über das wissen muss, was ihr erlebt habt?" Punkt zwei: "Was können wir tun, damit ihr euch sicher fühlt?" Punkt vier: "Ressourcen? Ideen?" Zuletzt steht dort: "I hear you." Diese drei Worte sind eine Floskel, deren Bedeutung zwischen "Ich höre euch zu" und "Ich respektiere euch" schwankt; sie wird oft benutzt, um ein Gespräch am Laufen zu halten, auch wenn nicht alle einer Meinung sind.
Ein Präsident, der sich Notizen macht, ist kein schlechter Präsident
Wie gesagt: Dass sich ein Politiker Erinnerungshilfen notiert, um in einem wichtigen Gespräch nichts zu vergessen, macht ihn nicht zu einem schlechten Politiker. Im Gegenteil. Es spricht dafür, dass sich Trump der Bedeutung dieses Termins bewusst war. Vielleicht sogar dafür, dass er, der so empfindlich auf Kritik reagiert, für einen Moment ehrlich zu sich selbst war. Dass er wusste, dass er nicht zu jenen Menschen, zu jenen Präsidenten gehört, die in solchen Situationen intuitiv die richtigen Worte finden.
In der Runde, die ins Weiße Haus eingeladen war, saßen Jugendliche, die mitansehen mussten, wie ihre Mitschüler starben, die selbst in Todesangst waren. Dort saßen Eltern, die ihre Kinder bei einem Schulmassaker verloren haben. Trump wäre nicht der Erste, der sich angesichts von unermesslichem menschlichen Leid hilflos und sprachlos fühlt.
Dass er sich ungeschickterweise in die Karten blicken ließ? Geschenkt - wäre da nicht dieser eine Punkt, der in drei Worten so schmerzhaft deutlich macht, warum Trump zu den schlechtesten Präsidenten gehört, die Amerika je hatte. Ein Satz, der zeigt, dass es dem Mann im Weißen Haus nicht nur an politischer Qualifikation mangelt, sondern auch an Sozialkompetenz. "I hear you." Ich respektiere euch, ich bin bei euch, ich höre euch zu.
Trump hat im Wahlkampf mit dem Versprechen gespielt, jenen eine Stimme zu geben, die das Gefühl haben, nicht mehr gehört zu werden. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass das eine Finte war.
Wenn es etwas gibt, zu dem jeder Mensch und jeder Präsident in der Lage sein sollte, ohne Anleitung oder Spickzettel, dann ist es das: zuhören. Da sein. Wer sich selbst daran erinnern muss, dem fehlt eine menschliche Grundqualifikation: Mitgefühl.