Süddeutsche Zeitung

Paris:Die zwei Klimazonen

Auf den Terrassen der Bars wird der Winter sorglos weggeheizt.

Von NADIA PANTEL

Auf dem breiten Bürgersteig des Boulevard Saint-Germain sitzen die Pariser mit aufgeknöpften Mänteln, Rotwein und Oliven griffbereit, sogar den Schal haben sie abgelegt. Doch vor ihnen hetzen die Passanten mit hochgeklappten Krägen und Mützen vorbei. Immerhin ist es Januar, und von dem Frühling, der an der Côte d'Azur nun langsam beginnt, spürt man hier nichts. Wobei Frühling, Sommer, Herbst oder Winter für den Pariser Barbesucher längst keine Kategorien mehr sind. In Frankreichs Hauptstadt gibt es zwei Klimazonen: die Terrassen (immer warm) und der Rest (siehe Jahreszeiten).

Blöd an diesem Zustand ist, dass der Alljahressommer in Zone eins auf Dauer das Klima in Zone zwei verändert. Wer sich in Paris bei bescheidenem Wetter vors Restaurant setzt, entscheidet sich für ein ähnliches Leben wie ein Weißbrot im Toaster, man wird von allen Seiten gegrillt, Heizstrahlern sei Dank. Jacques Boutault, Mitglied der französischen Grünen und Bürgermeister des 2. Pariser Arrondissements, hat folgende Rechnung aufgestellt: Wer einen Tag lang zwölf Quadratmeter Terrasse beheizt, bläst so viel Kohlendioxid in die Luft wie jemand, der 350 Kilometer mit einem SUV zurücklegt.

Boutaults Beispiel belegt nicht nur die miese Umweltbilanz der "terrasses chauffées", es zeigt auch, wie unbekümmert der Winter vor der Tür bislang weggeheizt wurde. SUV-Scham ist ebenso weit verbreitet wie SUVs, doch was soll schlecht daran sein, wenn man mal eine halbe Stunde nicht friert und trotzdem an der frischen Luft sitzt? Beziehungsweise ein paar Zigaretten raucht.

Frankreichs Treue zum Heizpilz erklärt sich weniger mit einer Abneigung gegen Innenräume als mit dem gesellschaftlichen Stellenwert der Zigarette. Auf den warmen Terrassen finden all diejenigen Trost, die seit 2008 nicht mehr in Bars und Restaurants rauchen dürfen. Laut Eurobarometer rauchen 35 Prozent der Franzosen, in Deutschland liegt die Quote zehn Prozentpunkte niedriger. Der französische Zigaretten-Historiker Didier Nourrisson schreibt: "Bis heute ist das Rauchen eine soziale, fast demokratische Notwendigkeit. Dieses Bedürfnis stammt aus den Tagen der Französischen Revolution, als sich die Franzosen nicht nur Zugang zu Macht, sondern auch zu Tabak verschafft haben."

Aller Revolutionsromantik zum Trotz traut sich die Stadt Rennes, das Leben der Raucher ungemütlicher zu machen. Seit dem 1. Januar dürfen Cafés ihre Terrassen nicht mehr beheizen. Allein das laute Nachdenken über ein Ende der Terrassenkultur löst bei den Gastwirten in Paris Panik aus. Im Rathaus versucht man es nun mit einer doppelten Strategie. Einerseits will Bürgermeisterin Anne Hidalgo alles, was qualmt, aus der Stadt verbannen, Fahrradwege statt Schnellstraßen, tabakfreie Parks und auch weniger mit Gas betriebene Heizpilze. Andererseits beteuert ihr Team "die tiefe Verbundenheit der Bürgermeisterin mit den Cafés und ihren Terrassen, die das Bild von Paris in der Welt prägen". Einen Kompromissvorschlag macht die Zeitung Le Monde. Andere europäische Länder, unter anderem Deutschland, hätten das Heizpilz-Verbot mit Wolldecken abgemildert - kalte Terrassen, warme Beine.

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SZ vom 30.01.2020
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