Frankreich:30 Jahre Haft im Charlie-Hebdo-Prozess

Frankreich: Eine der Hauptzeuginnen des Mordens in der Redaktion des Satiremagazins: Sigolène Vinson, Gerichtsreporterin von "Charlie Hebdo", verlässt den Gerichtssaal in Paris, wo sie schilderte, wie sie den Anschlag erlebte.

Eine der Hauptzeuginnen des Mordens in der Redaktion des Satiremagazins: Sigolène Vinson, Gerichtsreporterin von "Charlie Hebdo", verlässt den Gerichtssaal in Paris, wo sie schilderte, wie sie den Anschlag erlebte.

(Foto: THOMAS SAMSON/AFP)

Wegen Mithilfe bei den islamistischen Terroranschlägen von Paris im Jahr 2015 wird der Hauptangeklagte schuldig gesprochen. Die drei Haupttäter der Anschläge mit 17 Toten leben nicht mehr. Die gesellschaftlichen Wunden sind noch lange nicht verheilt.

Von Nadia Pantel, Paris

Die Attentäter haben nicht allein gehandelt. Mit diesem klaren Urteil endete am Mittwoch im Pariser Justizpalast der Charlie Hebdo Prozess. Vier der 14 Angeklagten wurden der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen, der Hauptangeklagte Ali Reza P. wurde der Mithilfe des Mordes schuldig gesprochen und zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.

Für sieben weitere Angeklagte lautete das Urteil: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Die Länge der einzelnen verhängten Haftstrafen sollte später nachgereicht werden.

Der Richter ist sich sicher

"Die Ermittlungen haben es erlaubt, festzustellen, dass Amédy C. sich auf einen Kreis von Vertrauten stützen konnte, die ihn mit der nötigen logistischen Hilfe ausstatteten", sagte der Richter Régis de Jorna in seiner Urteilsbegründung. Amédy C. hatte am 9. Januar einen jüdischen Supermarkt überfallen und vier Geiseln getötet.

Er war ein Verbündeter und Freund der Terroristen Chérif und Saïd K., die am 7. Januar die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo angegriffen hatten und 12 Menschen ermordeten. Im Fall des Angriffs auf Charlie Hebdo lasse sich "nicht nachverfolgen", woher die Brüder K. ihre Waffen bekommen hätten, sagte der Richter.

Es war ein langer und komplizierter Weg bis zu diesem Abschluss. Der gesamte Charlie-Hebdo-Prozess wurde von einer neuen Serie Attentate überschattet. So wurde dem Lehrer Samuel Paty auf offener Straße von einem 18-jährigen Islamisten der Kopf abgetrennt. Paty hatte im Unterricht Mohammed-Karikaturen aus Charlie Hebdo gezeigt, um über Meinungsfreiheit zu diskutieren. Kurz darauf tötete ein Islamist in einer Kirche in Nizza drei Katholiken.

Zudem musste der Prozess einen ganzen Monat lang unterbrochen werden, weil der Hauptangeklagte wegen einer schweren Covid-19-Erkrankung nicht mehr vor Gericht erscheinen konnte.

17 Menschen fielen dem Terror zum Opfer

Der Charlie-Hebdo-Prozess hatte im September mit den Aussagen der Überlebenden und Hinterbliebenen der Attentate begonnen. Insgesamt 17 Menschen wurden zwischen dem 7. und dem 9. Januar 2015 in Paris und um Paris von drei islamistischen Attentätern ermordet, in der Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo, auf offener Straße und in einem jüdischen Supermarkt. Doch die Zahl der Toten stellt nur einen Bruchteil der Zahl der Opfer dar.

Der Hass der Täter raubte Hunderten Zuversicht und Lebensfreude. Dies zeigte sich nicht nur darin, dass der Prozess 200 Nebenkläger umfasste. Sondern vor allen Dingen in den Zeugenaussagen derjenigen, deren Leben seit den Anschlägen in zwei Teile zerfällt. In ein vergleichsweise sorgloses davor und in ein kaum schulterbares danach.

Die Wunden sind nicht verheilt

Die Taten wirken auch fünf Jahre später noch so monströs, die Wunden der französischen Gesellschaft so wenig verheilt, dass schon im Vorfeld ein unbefriedigendes Ende des Prozesses vorgezeichnet zu sein schien. Die drei Attentäter selbst können nicht mehr bestraft werden. Sie wurden von der Polizei erschossen.

Ein Ende, das sie in ihre Taten einkalkuliert hatten, innerhalb ihres Weltbildes machte sie dieser Tod zu Märtyrern. Auf der Anklagebank saßen nun 50 Verhandlungstage lang elf Männer, die in die Beschaffung der Waffen und schusssicheren Westen verwickelt waren.

Der Hauptbeschuldigte kündigt im Gerichtssaal an, dass er nach der Haft wieder mit Drogen handeln will

Alle Angeklagten beharrten vor Gericht darauf, nichts von den Terrorplänen der drei Attentäter gewusst zu haben. Die Angeklagten und ihre Verteidiger zeichneten ein Bild eines Vorstadtmilieus, in dem Drogenhandel und Kleinkriminalität zum Alltag gehören. Islamistische Überzeugungen der Mörder wollen dabei niemandem aufgefallen sein.

Der Hauptangeklagte Ali Riza P., ein 35-jähriger Franzose mit türkischen Wurzeln, verteidigte seine Unschuld. Er wolle einfach nur sehr reich werden, deshalb sei er kriminell. Im Urteil heißt es nun über Ali Riza P. er habe eine "besonders aktive Rolle" gespielt, um Geld, Wohnung und Kontakte zu beschaffen. Er sei "zu einem "rigoristischem Islam konvertiert".

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