Süddeutsche Zeitung

Papst auf Reisen:An den Rändern Europas

Auf Zypern und in Griechenland geißelt Franziskus den Umgang mit Flüchtlingen und setzt ein Zeichen der Solidarität - 50 von ihnen sollen ihm sogar nach Rom folgen dürfen.

Von Andrea Bachstein und Tobias Zick

"Eine starke Nachricht" sei das, kommentierte Zyperns Präsident Nikos Anastasiadis und dankte dem Gast aus Rom: Papst Franziskus, von Donnerstag bis zu diesem Samstag zu Besuch auf der Insel im östlichen Mittelmeer, sorgt dafür, dass 50 Migranten von dort nach Italien können. Zwölf sollen es gleich sein, die übrigen in den kommenden Wochen. Diese Reise des Papstes, die noch nach Griechenland führt, dient auch Ökumene und Dialog mit der griechisch-orthodoxen Kirche, der in beiden Ländern fast alle Bürger angehören. Aber dass Franziskus' Herzensthema, das Schicksal von Flüchtlingen und Migranten, in seinem Gepäck wohl noch schwerer wiegt, wurde spätestens am Freitagnachmittag deutlich.

Da kamen zu der starken Nachricht starke Wort von ihm. In der kleinen Heiligkreuz-Kirche in Nikosia hatte er Migranten zum ökumenischen Gebet geladen. Von Geflüchteten aus dem Irak, aus Kamerun oder Sri Lanka ließ er sich dort auch deren Fluchterlebnisse erzählen, von Schleusern, Lagern, Angst. Das sei "der Krieg von heute", sagte Franziskus dann, eine "Geschichte der Sklaverei". Und was der Papst forderte, ist gewiss auch an Europa gerichtet: "Es reicht mit dem Stacheldraht, es reicht mit den Lagern", sagte der Pontifex.

Schon ehe er in Rom abflog, machte er klar, was für ihn im Fokus steht: Auf dem Weg zum Flughafen traf der Papst in der Kirche Santa Maria degli Angeli Migranten, und zuvor hatte er in der Casa Santa Marta im Vatikan ein Dutzend Menschen aus Syrien empfangen. Sie kannten sich: 2016 brachte Franziskus sie vom Besuch im Lager Moria auf Lesbos mit nach Rom. Seither unterstützt sie das Päpstliche Wohltätigkeitswerk (Elemosineria) und die Gemeinschaft Sant'Egidio. Ende 2019 ließ er weitere Flüchtlinge von Lesbos einfliegen, für die auch der Vatikan aufkommt.

Offenkundig setzt Franziskus mit solchen Aktionen tätiger Nächstenliebe Zeichen, dass er es nicht bei Predigten und Appellen belässt, Flüchtlingen, wo immer auf der Welt, zu Hilfe zu kommen. Mit Zypern hat sich das Oberhaupt der katholischen Kirche auf seiner 35. Auslandsreise ein Eiland gewählt, das bestens in seine Agenda passt. Die gewaltsame Teilung der Insel in einen griechischen und einen türkischen Teil nach der türkischen Invasion 1974 hat auch einen Teil der Bevölkerung zu Flüchtlingen gemacht.

Bis heute ist die türkische Seite von der Republik aus unerreichbar, auch für maronitische Katholiken, deren beide wichtigste Orte dort liegen. Elf Kilometer Absperrungen teilen die Insel, auch durch die Hauptstadt Nikosia verläuft Stacheldraht. Als die "Wunde, die dieses Land am meisten schmerzt", den "schrecklichen Riss" beschrieb es der Papst nun.

Im Mai erklärte Zyperns Regierung den Ausnahmezustand

Die Insel ist zunehmend Ziel von Flüchtlingen und Migranten, vor allem aus dem nahen Syrien und aus Libanon. Kein EU-Land hat pro Kopf so viele Asylbewerber wie die Republik Zypern. Asylsuchende machen demnach vier Prozent der Bevölkerung aus. Im Mai erklärte die Regierung den Ausnahmezustand, im November beantragte sie bei der EU-Kommission, von illegal Eingereisten keine Asylanträge mehr annehmen zu müssen - offiziell gab es bis Anfang November bereits 38 Prozent mehr als 2020. Die meisten kommen über die "grüne Zone" vom türkischen Nordteil - und dahin gelangten sie, wie Innenminister Nikos Nouris kürzlich sagte, "alle aus der Türkei". Die Regierung in Nikosia wirft Ankara vor, Migranten gezielt zum Übertreten der innerzyprischen Grenze zu ermuntern, die zugleich EU-Außengrenze ist.

Verglichen mit dem, was der orthodoxe Erzbischof Chrysostomos am Freitag dem Papst sagte, nehmen sich diese Vorwürfe milde aus. Chrysostomos bat Franziskus nicht nur um spirituelle, sondern um "aktive Unterstützung" im Konflikt mit dem Norden. Die Hoffnung auf Wiedervereinigung ist fast verschwunden, seit sich 2020 der Hardliner Ersin Tatar mit Unterstützung Ankaras zum Präsidenten der international nicht anerkannten "Türkischen Republik Nordzypern" wählen ließ - und für eine "Zweistaatenlösung" trommelt.

Erzbischof Chrysostomos beschrieb es so: "Wo einst griechische und christliche Kulturen blühten, herrscht jetzt fast ein halbes Jahrhundert lang die geistige Einöde der asiatischen Steppe." Die Türken hätten "die blutrünstige Barbarei des Hunnen Attila nicht nur imitiert, sie haben sie übertroffen".

An diesem Samstag reist der Papst nach Griechenland weiter. Ehe Franziskus am Sonntagnachmittag in Athen eine große Messe feiert, will er noch einmal nach Lesbos, zu Flüchtlingen, wie vor fünf Jahren. Die Lage, die er dort vorfinden wird, ist aber heute ganz anders: Moria brannte vor mehr als einem Jahr ab, die Flüchtlinge wohnen in einem provisorischen Camp aus Containern und Zelten. Der Bau des seit Frühjahr geplanten neuen Lagers hat, wie die EU-Kommission kürzlich mitteilte, gar nicht begonnen; Athens Migrationsminister habe aber zugesichert, keiner müsse den Winter im Zelt überstehen; man stelle beschleunigt Container auf.

Asylsuchende würden "wie Häftlinge behandelt"

Auf zwei anderen Ägäis-Inseln, Leros und Kos, hat die Regierung gerade neue, EU-finanzierte Lager in Betrieb genommen; es sind "geschlossene und kontrollierte" Strukturen mit Mauern, Stacheldraht und Überwachungskameras. Das erste solche Camp wurde Mitte September auf Samos eröffnet. Amnesty International kritisiert, Asylsuchende würden dort "wie Häftlinge behandelt". Insassen ohne gültige Ausweise dürften das Lager nicht verlassen; dieses Vorgehen der griechischen Behörden sei "eindeutig illegal". Was der Papst von Lagern und Stacheldraht hält, hat er auf Zypern klargemacht.

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