Papst zu Missbrauchsfällen:Schande und Reue

Lesezeit: 5 min

Der Papst hat den Missbrauch von Minderjährigen in Irland "aufrichtig bedauert". Zu den Fällen in Deutschland schwieg er, die deutschen Bischöfe sprechen dennoch von einer "klaren Weisung". Unterdessen wurde bekannt, dass Benedikt XVI. über einen pädophilen Kaplan wohl besser informiert war als bislang bekannt.

Papst Benedikt XVI. hat den Missbrauch von Minderjährigen "aufrichtig bedauert". In seinem am Samstag in Rom veröffentlichten Hirtenbrief an die irische Kirche drückte der Papst "im Namen der Kirche offen die Schande und die Reue aus, die wir alle fühlen".

Es werde manchmal schmerzhafte Hilfsmittel brauchen, um die Wunden zu heilen und die Kirche in Irland in einem langwierigen Prozess zu erneuern. In Irland hatte es zahlreiche Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen gegeben. Benedikt kündigte konkrete Initiativen zum Umgang mit dem Skandal an. So werde er eine apostolische Visitation in einigen Bistümern abhalten.

Auch in Deutschland waren die Erwartungen an das Schreiben hoch gewesen, nachdem viele Fälle sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche bekanntgeworden sind. Benedikt äußerte sich dazu jedoch nicht.

"Eine Botschaft auch an uns in Deutschland"

Für den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, enthält der Hirtenbrief dennoch ein "klare Weisungen für die gesamte Kirche". "Was er ihnen sagt, hat Geltung für die ganze Kirche und ist eindeutig eine Botschaft auch an uns in Deutschland", sagte Zollitsch. Der Papst verurteile die schrecklichen Verbrechen, die an jungen Menschen begangen wurden. Vorrang habe für den Papst die Perspektive der Opfer. "Deshalb kritisiert er den zum Teil übermäßigen Täterschutz, den die Kirche häufig praktiziert habe."

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, nannte das Schreiben ein "eindrucksvolles Dokument, das auch der katholischen Kirche in Deutschland helfen kann, die richtigen Konsequenzen zu ziehen". Der Papst befasse sich mit einer "geradezu schonungslos offenen Sprache" konkret mit der Situation in Irland.

Auch der Sonderbeauftragte der deutschen katholische Kirche zur Aufklärung der sexuellen Missbrauchsfälle, Bischof Stephan Ackermann, begrüßte das Papst-Schreiben. "Ich empfinde diesen Brief als Verstärkung für unseren Weg", sagte der Bischof in Trier. "Die Entschiedenheit, mit der der Papst die Vorgänge und die Untaten beim Namen nennt und auch Aufklärung erwartet - das ist doch sehr deutlich und das werden wir uns auch entsprechend zu Herzen nehmen."

In dem Hirtenbrief werden die irischen Bischöfe wegen "schwerer Fehleinschätzungen" im Umgang mit den dortigen jahrzehntelangen Übergriffen getadelt. Der Papst äußerte sein tiefstes persönliches Bedauern für den Generationen von irischen Katholiken von Priestern zugefügten "sündhaften und verbrecherischen" Missbrauch. Eine fehlgeleitete Sorge um die Reputation der Kirche und der Versuch der Vermeidung von Skandalen hätten hier eine Rolle gespielt.

Opfer tief enttäuscht

Radio Vatikan analysierte, es handle sich um einen geistlichen Text, "keine politische Absichtserklärung, keine Dienstanweisung für strukturelle Änderungen oder Ähnliches". Tief enttäuscht reagierten irische Opfer sexueller Gewalt. Das Bündnis One in Four erklärte, das Schreiben konzentriere sich zu stark auf die rangniederen irischen Priester ohne die Verantwortung des Vatikans zu unterstreichen. Der Papst hätte die Art und Weise verurteilen sollen, wie die Kirche den Missbrauch systematisch und über Jahre verdeckt gehalten habe, sagte Maeve Lewis, die Leiterin der Opfergruppe .

Positiver äußerte sich John Kelly, Sprecher der Organisation Irish Survivors of Child Abuse: "Wir haben zum ersten Mal eine Entschuldigung, und das ist wichtig." Jetzt sei allerdings abzuwarten, was aus der Ankündigung des Papstes werde, hohe Vatikan-Vertreter nach Irland zu schicken. "Wird irgendjemand zur Verantwortung gezogen werden? So scheint es mir, wenn ich die Worte des Papstes richtig verstehe. Das ist positiv, aber wir brauchen da mehr Klarheit."

Die kritische Haltung teilt hingegen die deutsche Initiative Kirche von unten (IKvu). Sie wirft dem Papst vor, in seinem Hirtenbrief bei "verbaler Betroffenheit stehen" zu bleiben. "Statt effektiver Krisenbewältigung bietet der Vatikan das Schauspiel einer sich autistisch abkapselnden Institution: Gefehlt haben in dieser Selbstwahrnehmung nur wenige, vom Zeitgeist verführte Einzeltäter", teilte die IKvu mit.

Auch die Reformbewegung Wir sind Kirche zeigt sich enttäuscht. Es sei sehr schade, dass sich der Papst nicht zu den Missbrauchsfällen in Deutschland geäußert habe, sagte Christian Weisner, Sprecher der Initiative. "Das Schweigen des Papstes kommt nicht gut. Es wird sicher nicht seine Autorität und sein Ansehen in der Kirche erhöhen. Dabei hätte ihm schon ein Wort des Mitgefühls an die Opfer Sympathien eingebracht." Der Brief vermittle aber den Eindruck, es gehe dem Papst hauptsächlich um das Ansehen der Kirche.

Derweil berichtet der Spiegel, dass auch der Papst in seiner Zeit als Münchner Erzbischof offenbar besser über einen Pädophilen informiert war als bislang bekannt.

In einem Brief des Bistums Essen an die von Joseph Ratzinger damals geleitete Erzdiözese habe klar erkennbar gestanden, dass Kaplan Peter H. sich sexuell an Kindern seiner Gemeinde vergriffen habe. Das Erzbistum München und Freising sei nicht im Unklaren gelassen worden, was für ein Problemfall da komme.

Unter Ratzingers Vorsitz befasste sich der erzbischöfliche Ordinariatsrat am 15. Januar 1980 mit dem Fall. Laut Sitzungsprotokoll habe der Kaplan "für einige Zeit um Wohnung und Unterkunft" in einer Münchner Pfarrgemeinde gebeten: "Kaplan H. wird sich einer psychisch-therapeutischen Behandlung unterziehen."

Trotzdem meldeten Ratzinger und sein Erzbistum den Kinderschänder nicht der Polizei. Im Sitzungsprotokoll heißt es stattdessen lediglich über die Wohnungssuche des Geistlichen: "Dem Gesuch wird stattgegeben."

Auch gegen gegen Zollitsch wurden am Samstag Vertuschungsvorwürfe laut. In seiner Zeit in der Erzdiözese Freiburg soll er 1991 einen des Missbrauchs bezichtigten Pfarrer nur in den vorzeitigen Ruhestand versetzt haben.

Das berichten die TV-Sendung Report Mainz und die Badische Zeitung. Die Staatsanwaltschaft sei nicht eingeschaltet worden. Das Bistum Freiburg nannte die Vorwürfe "unhaltbar" Es habe damals nur Gerüchte gegeben.

Gegen mindestens 14 Priester in Deutschland wird nach Spiegel-Angaben wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch ermittelt. Das ergab eine Umfrage unter den 24 Generalstaatsanwaltschaften, an der sich 15 Anklagebehörden beteiligten. Eine dpa-Umfrage hatte ergeben, dass in der katholischen Kirche seit Ende Januar mehr als 250 Verdachtsfälle bekanntgeworden sind.

Derweil hat der Vorsitzende des Zentralkomitees deutscher Katholiken (ZdK), Alois Glück, die Kirche zum Umdenken aufgefordert. "Jetzt müssen sich alle Katholiken mit den Fehlentwicklungen auseinandersetzen", sagte er. Man müsse sich die Frage stellen, ob es "neben den für die ganze Gesellschaft geltenden Gründen für Missbrauch auch spezifische in der Institution Kirche selbst" gebe. "Zum Beispiel waren bislang zu viele Leute in der Kirche der Überzeugung, dass der Grundsatz gilt: Der Schutz der Kirche hat oberste Priorität. Damit war der Weg frei für Verdrängung und Vertuschung", so Glück.

Leutheusser-Schnarrenberger pocht auf Wiedergutmachung

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte, alle Opfer sexuellen Missbrauchs finanziell zu entschädigen. "Die Entschädigung der Opfer ganz gleich, ob sie in kirchlichen oder anderen Einrichtungen missbraucht wurden, wird eine zentrale Frage sein", sagte die FDP-Politikerin dem Hamburger Abendblatt. Der geplante Runde Tisch der Bundesregierung werde sich nicht nur mit Prävention, sondern auch mit Aufarbeitung befassen.

Leutheusser-Schnarrenberger bekräftigte: "In den Fällen, die verjährt sind, müssen wir praktische Antworten finden. Unbeschadet der Tatsache, dass das erlittene Leid nicht aufgewogen werden kann, braucht es ein klares, schnelles Zeichen zur immateriellen und materiellen Wiedergutmachung."

In Österreich planen Missbrauchsopfer bereits gemeinsame rechtliche Schritte gegen die Kirche. Wie der Wiener Rechtsanwalt Werner Schostal der österreichischen Zeitung Der Standard sagte, haben bislang zehn Betroffene den Verein "Opfer kirchlicher Gewalt" gegründet. Schostal fordert von der Kirche von bis zu 80.000 Euro Entschädigung pro Opfer.

© sueddeutsche.de/dpa/apn/Reuters/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: