Irak:Friedenstauben zwischen Ruinen

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Der Besuch des Papstes in Mossul ist eine Geste der Solidarität mit den leidenden Christen. Doch die meisten Gläubigen wagen sich auch mehr als drei Jahre nach der Befreiung von der Terrormiliz Islamischer Staat nicht in ihre Heimat zurück.

Von Paul-Anton Krüger, München

Auf dem Hosh al-Bieaa, dem Kirchenplatz von Mossul, zeigt sich deutlicher als irgendwo sonst, warum Papst Franziskus darauf bestanden hat, trotz der Sicherheitsrisiken und der Corona-Epidemie an seiner Reise durch den Irak festzuhalten. Der Besuch in der weitgehend zerstörten Altstadt ist eine Geste der Solidarität mit den Christen der Stadt, die einst Gemeinden mit mehreren Zehntausend Mitgliedern zählte. "Hier in Mossul sind die tragischen Konsequenzen des Krieges und der Feindseligkeiten nur allzu sichtbar", sagte der Papst.

Allein am Kirchplatz standen einst Gotteshäuser von vier christlichen Konfessionen. Es ist auch ein Symbol für die Lage der Christen im Land, dass die Kirchen überwiegend noch in Trümmern liegen, nicht einmal betreten werden können, weil noch immer, mehr als drei Jahre nach der Befreiung der Stadt von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), nicht alle Sprengfallen und Blindgänger geräumt sind.

Nur etwa 40 bis 50 christliche Familien sind seither in die Stadt zurückgekehrt. Lebten vor der US-Invasion im Jahr 2003 nach unterschiedlichen Schätzungen noch 800 000 bis 1,5 Millionen Christen im Zweistromland, zählen die vom Staat anerkannten 14 christlichen Konfessionen heute nur mehr 200 000 bis 250 000 Gläubige.

Von Erbil, der Hauptstadt der an die Provinz Ninive angrenzenden autonomen Kurdengebiete, wohin sich viele Christen geflüchtet haben, muss der Papst den Hubschrauber nehmen. Alles andere wäre zu gefährlich. Tausende irakische Soldaten sichern die von Ruinen gesäumten Straßen Mossuls.

Die Schrecken der Herrschaft der Extremisten werden noch einmal lebendig, als mehrere Zeitzeugen, Christen und Muslime, über die Verfolgung und ihre Flucht aus der Stadt berichten. Der Papst zeigte sich bestürzt angesichts der "grauenvollen Erfahrungen". Ein "unermesslicher Schaden" sei angerichtet worden.

Franziskus nimmt auf dem Hosh al-Bieaa-Kirchenplatz zwischen von Granaten zerstörten Gebäuden an einem Gebet für die Opfer des Krieges teil. (Foto: Andrew Medichini/dpa)

"Heute bekräftigen wir nichtsdestotrotz erneut unsere Überzeugung, dass die Geschwisterlichkeit stärker ist als der Brudermord", sagte Franziskus vor einem Holzkreuz, das aus den verkohlten Balken einer vom IS verwüsteten Kirche im syrischen Qamischli gebaut worden war. Im Anschluss an die Zeremonie, bei der der Papst ausdrücklich für alle Opfer des Kriegs betete, nahm Franziskus eine weiße Friedenstaube in die Hände und ließ sie inmitten der Ruinen fliegen.

Einer der wenigen christlichen Orte der Ninive-Ebene, in die wieder Leben zurückgekehrt ist, war dann der nächste Stopp des katholischen Kirchenoberhaupts - und ein drastischer Kontrast zu Mossul. Tausende Menschen jubelten Franziskus zu in den Straßen von Karakosch, arabisch Baghdida. Der Papst lässt den Konvoi mehrmals anhalten, um die Gläubigen zu begrüßen.

Der Papst in der überwiegend christlichen Stadt Karakosch. (Foto: Vincenzo Pinto/AFP)

In Karakosch ist die Zahl der Rückkehrer am größten. Die Christen dort seien zudem anders als in anderen einst überwiegend christlichen Orten nicht von Landraub durch Konflikte mit anderen ethnischen oder religiösen Gruppen bedroht, sagen Mitarbeiter des Hilfswerks Capni.

Der Papst benannte weder Täter noch Opfer, sprach von "Schwestern und Brüdern"

"Hört nie auf zu träumen", ermutigte der Papst die Gläubigen in der Kirche der Unbefleckten Empfängnis. Sicher gebe es Momente, in denen der Glaube ins Wanken geraten könne; diese Erfahrung hätten die Menschen in den dunkelsten Tagen des Krieges gemacht. Tief beeindruckt zeigte sich der Papst von der Erzählung einer Christin. Sie hatte bei einem Angriff des IS im August 2014 ihren Sohn verloren und war aus Karakosch vertrieben worden. "Sie sagte, Überlebende der Terrorakte müssten vergeben", hob Franziskus hervor. Das sei auch wichtig, um Christ zu bleiben.

Der Papst benannte weder Täter noch Opfer direkt, sprach von "Schwestern und Brüdern". Seine Reise galt maßgeblich auch dem Dialog zwischen den Religionen. Am Samstag hatte ihn in Nadschaf Großajatollah Ali al-Sistani empfangen, der wichtigste schiitische Geistliche im Irak.

Großajatollah Ali al-Sistani, der wichtigste schiitische Geistliche des Landes, empfing Papst Franziskus in seinem Privathaus in Nadschaf zu einem Gespräch. (Foto: Vatican News/AFP)

Sistani setzt sich für ein friedliches Miteinander der Religionen ein. Wie der Vatikan mitteilte, dankte Franziskus ihm dafür, dass er zusammen mit der schiitischen Gemeinschaft seine Stimme zur Verteidigung der Schwächsten und Verfolgten erhoben und die Einheit des irakischen Volkes bekräftigt habe. In einer Erklärung Sistanis hieß es, die Christen im Irak müssten in Sicherheit und mit allen bürgerlichen Rechten im Land leben können.

Bevor er an diesem Montag nach Rom zurückkehrt, hielt der Papst am Sonntagabend noch eine Messe vor 10 000 Gläubigen in Erbil. Dort und in den kurdischen Autonomiegebieten hatten Zehntausende Christen Schutz vor dem IS gefunden. Viele sind bis heute geblieben, weil sie sich in ihren Heimatorten nicht sicher fühlen. Offen bleibt die Frage, ob der Besuch des Papstes daran etwas ändern kann.

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