Kurz vor Beginn der Weltsynode in Rom, in der ab der kommenden Woche knapp einen Monat lang über die Zukunft der katholischen Kirche beraten werden soll, erfährt Papst Franziskus noch einmal die Spannbreite der Themen, mit der seine Kirche konfrontiert ist. Gerade erst ist der 87-Jährige von seiner längsten und anstrengendsten Auslandsreise zurückgekehrt, die ihn nach Asien an die Peripherie seines geistlichen Weltreichs geführt hat. Dort hat er begeistertes Interesse von Millionen Menschen erlebt, die die Kirche vor allem mit Trost und Hoffnung verbinden. Aktuell ist er in Luxemburg und Belgien, wo er mit viel Kritik konfrontiert wird. Vor allem der Besuch in Belgien, der noch bis Sonntag dauert, wurde für das Kirchenoberhaupt zu einer inhaltlichen Herausforderung.
In diesem Land ist der Missbrauch von Schutzbefohlenen in der katholischen Kirche seit vielen Jahren ein großes Thema. Der Vatikan weiß das und plante auch ein Treffen des Papstes mit Missbrauchsopfern ein. Überrascht wurde das Kirchenoberhaupt aber offensichtlich von der Vehemenz, mit der Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo bei der Begrüßung des Pontifex im Schloss Laeken in Brüssel das Thema zur Sprache brachte.
Abweichend von den üblichen diplomatischen Gepflogenheiten forderte der Regierungschef mehr Taten als Worte bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Worte genügten nicht, sagte der liberale Politiker nach Medienberichten. „Sie setzen sich für Gerechtigkeit ein. Aber es liegt noch ein langer Weg vor uns“, richtete sich De Croo an den Papst: „Die Menschenwürde muss an erster Stelle stehen, nicht die Interessen der Institution.“
Die Opfer müssten gehört und in den Mittelpunkt gestellt werden, sie hätten ein Recht auf die Wahrheit. „Die Gräueltaten müssen anerkannt werden. Und es muss für Gerechtigkeit gesorgt werden.“ Auch Belgiens König Philippe forderte die Kirche in seiner Rede auf, die Bemühungen entschlossen und unermüdlich fortzusetzen.
Franziskus vergleicht Missbrauch mit dem Massaker durch König Herodes
Der Papst war sichtlich ergriffen. Er wich nach den Berichten von seinem Redetext ab und bezeichnete den Missbrauch in der Kirche als Schande. Nach Worten ringend verglich er die Verfehlungen mit dem Massaker an den unschuldigen Kindern durch König Herodes, das in der Bibel beschrieben wird. „Heute, inmitten der Kirche, gibt es dieses Verbrechen.“ Die Kirche müsse alles in ihrer Macht Stehende tun, damit das nicht mehr geschehe.
Franziskus wandte sich auch gegen jene in der Kirche, die den Missbrauch durch Geistliche relativieren, indem sie darauf hinweisen, dass es noch viel mehr Missbrauch in Familien, im Sport und in Schulen gebe: „Selbst wenn es nur einen einzigen Fall gäbe, wäre das ein Grund, sich zu schämen. Die Kirche muss dafür um Vergebung bitten. Mögen die anderen das bei sich tun, dies hier ist unsere Schande und unsere Erniedrigung.“
In seinem Redemanuskript hatte es noch sehr viel allgemeiner geheißen: „Ich denke an die dramatischen Ereignisse des Kindesmissbrauchs, einer Geißel, gegen die die Kirche mit Entschiedenheit und Entschlossenheit vorgeht, indem sie den Leidtragenden zuhört und sie begleitet und in der ganzen Welt umfassende Präventionsprogramme realisiert.“
Mit drastischen Worten warnt der Papst vor der drohenden Gefahr eines Weltkriegs
Auch bei einem anderen Thema reagierte der Papst spontan. Im Zusammenhang mit den militärischen Brandherden der Welt erinnerte Franziskus daran, dass über die Jahrhunderte auf belgischem Boden viel Krieg geführt wurde. Dann äußerte er sich mit dramatischen Worten zur aktuellen Weltlage: „Wir sind nahe an einem quasi weltweiten Krieg“, sagte der Papst. Er bete dafür, dass die Regierenden „auf Belgien und seine Geschichte blicken und davon lernen, sodass sie ihren Völkern endloses Unheil und zahllose Trauerfälle ersparen. Ich bete, dass die Regierenden die Verantwortung, das Risiko und die Ehre des Friedens auf sich nehmen und die Gefahr, die Schande und die Absurdität des Krieges abwehren können.“
Franziskus und der Vatikan werden namentlich von Verteidigern der Ukraine und Israels dafür kritisiert, dass sie nicht klar Stellung beziehen und unmissverständlich Partei für die Angegriffenen nehmen. Stattdessen weist der Papst immer wieder auf die unschuldigen Opfer auf beiden Seiten hin und fordert eine Bereitschaft auf allen Seiten zu einem Waffenstillstand.