Katholische Kirche:"Woelki muss jetzt alle Schränke aufmachen"

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Gläubige zeigen dem Kölner Erzbischof am Donnerstag vor einer Kirche die rote Karte. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Papst Franziskus sieht nicht länger zu, wie das Erzbistum Köln immer tiefer in die Krise gerät: Er schickt Kontrolleure an den Rhein. Im Gespräch mit Kritikern äußert Kardinal Woelki Bedauern. Um Verzeihung bittet er nicht.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf und Annette Zoch, Düsseldorf

Krisengespräche stehen derzeit oft im Kalender des Kölner Erzbischofs. Am Freitagvormittag sitzt Kardinal Rainer Maria Woelki im Maternushaus mit seinen Kreis- und Stadtdechanten zusammen - jenen ranghohen Klerikern, die ihm am Pfingstmontag per Mail ihr Misstrauen übermittelt hatten. Woelki weiß da schon, was um Punkt zwölf Uhr geschehen wird. Dann lässt der Heilige Stuhl in Rom über seinen Berliner Botschafter, den Apostolischen Nuntius, eine Nachricht verkünden: Papst Franziskus ist nicht gewillt, länger zuzusehen, wie das deutsche Bistum mit den meisten Katholiken immer tiefer in die Krise gerät. Der Papst schickt zwei "Apostolische Visitatoren" nach Köln.

Ein Apostolischer Visitator ist dem Papst direkt und nur ihm verantwortlich und wird nur dann ernannt, wenn der Papst schwere Missstände vermutet. Dafür auserkoren sind Kardinal Anders Arborelius, Bischof von Stockholm, und Monsignore Johannes von den Hende, Bischof von Rotterdam. Sie werden sich laut Mitteilung des Nuntius in der ersten Junihälfte in Köln "ein umfassendes Bild von der komplexen pastoralen Situation im Erzbistum verschaffen und gleichzeitig eventuelle Fehler Seiner Eminenz Kardinal Woelkis im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs untersuchen".

"Politisch ist Woelki jetzt erst einmal eine lame duck"

Woelki sagt dazu, er werde die beiden "mit voller Überzeugung in ihrer Arbeit unterstützen". Für die Dauer der Visitation darf der Bischof allerdings keine selbständigen Entscheidungen mehr treffen. "Politisch ist Woelki jetzt erst einmal eine lame duck", sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller.

Einer der beiden von Rom entsandten Kontrolleure ist Kardinal Anders Arborelius, Bischof von Stockholm. (Foto: Claudio Bresciani/AFP)

Wie ernst Rom die Lage einschätzt, zeige sich auch daran, dass die Visitatoren so schnell nach der Ankündigung nach Köln kommen, sagt Schüller. Zwar schwelt die Krise rund um die Missbrauchsaufarbeitung im Bistum schon seit Monaten, und immer mehr Gläubige kehren Woelki den Rücken. Doch erst der Brief der Dechanten gab offenbar im Vatikan den Ausschlag. "Das war am Ende wohl mit entscheidend", sagt Schüller. "Wenn sich der Klerus gegen einen Bischof stellt, dann reagiert Rom."

Von den Hende, Vorsitzender der Niederländischen Bischofskonferenz, und der Schwede Arborius sprechen fließend Deutsch. Und dürfen nun reden, mit wem sie wollen. "Woelki muss jetzt alle Türen und Schränke aufmachen, alles offenlegen", sagt Schüller. Anschließend schreiben die Visitatoren dem Papst einen Bericht - am Ende entscheidet er allein.

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Wie sehr das Drama im Kölner Bistum den Gläubigen zusetzt, hat Woelki noch am Vorabend hautnah erfahren. Da ließ sich der Kardinal nach Düsseldorf fahren, in die Großgemeinde St. Margareta, wo er selbst vor bald vierzig Jahren als Praktikant und Diakon das Priesterhandwerk erlernte. Woelkis damaliger Mentor ist inzwischen als "Pfarrer O." berüchtigt. O. hatte in den Siebzigerjahren einen Jungen im Kindesalter schwer missbraucht - und Woelki sah 2015 mit Verweis auf die Demenz des inzwischen verstorbenen Täters von kirchenrechtlichen Ermittlungen ab. Die Gemeinde wurde sogar ein zweites Mal heimgesucht: In den Neunzigerjahren war dort Kaplan D. für die Jugendarbeit zuständig. D. war wegen sexueller Handlungen mit einem 17-Jährigen gegen Geld bei der Polizei aktenkundig - und Woelki verantwortete 2017 D.s Beförderung zum stellvertretenden Dechanten in Düsseldorf.

Ausgerechnet in dieser Gemeinde also beabsichtigte Woelki als Hirte, neue Nähe zu seinen Schafen zu suchen, indem er im Juni 17 Jugendliche firmt - so der Plan. Das empört viele. 141 aktive Kirchenmitglieder halten ihrem Erzbischof in einem offenen Brief vor, er habe zu wenig aufgeklärt: "Sie sind für uns - leider - nicht mehr glaubwürdig." Wo das Vertrauen fehle, da möge der Kardinal bitteschön fernbleiben.

Was Woelki nicht davon abhält, am Donnerstagabend ein klärendes Gespräch zu suchen. Vorm Eingang der grün verschalten, quadratischen Pfarrkirche St. Maria vom Frieden muss er Spalier laufen: Hundert Gläubige halten ihm schweigend rote Karten entgegen, fordern auf Plakaten "Kein Foulspiel mit der Gemeinde" und "Platzverweis". Woelki wirkt geschockt, murmelt wie entrückt "alles wird gut" vor sich hin. Worauf eine Demonstrantin bitter erwidert: "im Himmel vielleicht".

Uneins, aber nicht zerstritten

Zu den Kritikern des Kardinals zählt die Sozialpädagogin Annette Schüller. Die 54-Jährige, mit dem Kirchenrechtler Thomas Schüller nicht verwandt, engagiert sich bei "Maria 2.0" für eine offenere Kirche. "Wir sind keine Quertreiber", sagt sie, "ich trete für etwas ein - und nicht aus." Schüller bemängelt, die Kirche arbeite Missbrauch und Vertuschung nur juristisch auf, nicht aber moralisch. Einen Neuanfang ihrer Kirche traut sie Woelki längst nicht mehr zu.

Nicht alle in der Gemeinde sehen das so. Weiter hinten auf dem Vorplatz trägt Leonhard Crux ein Pappschild mit der Aufschrift "Willkommen" und reckt eine grüne Karte in die Luft. Den 30-jährigen Angestellten plagen die Skandale, er war Messdiener bei Kaplan D. "Ich hatte nie einen Verdacht, damals war ich erst zehn." Aber Woelki bemühe sich doch. "Der hat einen Saustall geerbt. Doch er räumt auf."

Man ist sich uneins in St. Margareta, aber nicht zerstritten, Schüller und Crux begrüßen sich vor der Kirche. Auch die zweistündige Debatte mit dem Kardinal im Innern der Kirche sei "respektvoll" verlaufen, versichern beide. Die Öffentlichkeit musste draußen bleiben.

Dennoch, es gibt Einblicke. Durch das Mosaikfenster ist zu erkennen, wie steif Woelki vor den fast 50 Gläubigen steht, die linke Hand in der Manteltasche vergraben. Stoisch vernimmt er den Vorwurf einer Gläubigen, das Bistum habe die Gemeinde allein gelassen, seit im Dezember der Skandal um Pfarrer O. publik geworden war. "Ich wäre gern gekommen", zitieren Teilnehmer ihn später, "aber die Juristen haben mir vom Gespräch abgeraten." Fast beiläufig habe Woelki etwas Skandalöses eingeräumt: Kaplan D. sei seinerzeit wohl trotz Hinweisen auf seine Neigung in die Gemeinde geschickt worden. Der damalige Gemeindepfarrer hatte den Auftrag, auf den Kaplan "aufzupassen".

Wirklich überzeugen kann Woelki seine Kritiker nicht. Er spüre "keine Empathie, keine Verbindung zu den Menschen", klagt später ein Teilnehmer. Einer traut sich, den Kardinal offen zum Rücktritt aufzufordern. "Es zerreißt mich", ruft der Mann, "ich erwarte von meinem Bischof, dass er Verantwortung übernimmt. Aber das tun Sie nicht!" Woelki lehnt einen Rücktritt ab. Er verstehe das Leid, beteuert er. Und er bedauere angerichtetes Leid. Sich entschuldigen und um Verzeihung bitten, das mag der Gottesmann aber nicht. Stattdessen dies: "Wir alle haben Verantwortung."

Dann fährt er davon. Der Kardinal scheint entschlossen zu sein, seinen Kurs fortzusetzen. Die Firmung am 9. Juni steht immer noch in seinem Kalender.

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