Papst im Irak:"Extremismus ist Verrat an der Religion"

Papst Franziskus zu Besuch im Irak - Ausgrabungsstätte von Ur

Papst Franziskus im sumerischen Stadtstaat Ur mit religiösen Klerikern verschiedener Konfessionen.

(Foto: Ameer Al Mohammedaw/dpa)

Papst Franziskus wirbt auf seiner Irak-Reise für die Verständigung der Religionen und ruft die Gläubigen auf, sich gegen Hass und Gewalt einzusetzen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Papst Franziskus hat bei seiner Irak-Reise für den Dialog zwischen Islam und Christentum geworben und an die Verantwortung der Gläubigen appelliert, sich gegen Hass und Extremismus einzusetzen. Das Kirchenoberhaupt sagte bei einem interreligiösen Treffen in Ur im Süden des Landes: "Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt sind Verrat an der Religion."

Die Begegnung mit Vertretern christlicher Konfessionen, der Muslime und der Jesiden fand an dem Ort statt, an dem der biblischen Überlieferung zufolge Abraham, der Stammvater von Juden, Christen und Muslimen, geboren worden war. Angehörige der nur noch aus wenigen Personen bestehenden jüdischen Gemeinde im Irak nahmen anders als zunächst geplant nicht teil.

Mit Blick auf die zeitweilige Herrschaft der Terrormiliz Islamischer Staat über Teile Iraks und des benachbarten Syrien sagte der Papst, die Gläubigen dürften nicht schweigen, wenn "der Terrorismus die Religion missbraucht". Man dürfe nicht zulassen, dass "das Licht des Himmels von den Wolken des Hasses verdeckt wird!" Die IS-Terroristen hätten im Nordirak "auf barbarische Weise einen Teil des wunderbaren religiösen Erbes zerstört, darunter Kirchen, Klöster und Gebetsstätten verschiedener Gemeinschaften".

Papst Franziskus zu Besuch im Irak

Nasiriyah, Irak: Ein Luftbild zeigt die 6 000 Jahre alte archäologische Stätte von Ur während der Vorbereitungen für den Besuch von Papst Franziskus.

(Foto: Nabil Al-Jourani/dpa)

Irak wird seit Beginn der Aufstandsbewegung gegen die US-Invasion im Jahr 2003 von massiver Gewalt gegen Christen und andere religiöse und ethnische Minderheiten erschüttert, auch gab es schweres Blutvergießen zwischen Sunniten und Schiiten, den beiden wichtigsten Glaubensrichtungen des Islam. Die Schiiten stellen zwar die Mehrheit im Land, es wurde aber unter Diktator Saddam Hussein von der sunnitischen Minderheit dominiert.

Den zweiten Tag seiner Reise hatte Franziskus am Morgen mit einem kurzen Flug von der Hauptstadt Bagdad in die heilige Stadt Nadschaf begonnen, wo ihn der einflussreichste schiitische Geistliche des Landes, Großajatollah Ali al-Sistani, in seinem Privathaus empfing. Das Treffen galt als das wichtigste der Reise im interreligiösen Dialog.

Sistani hat sich seit 2003 immer wieder für ein friedliches Miteinander der Religionen eingesetzt. Wie der Vatikan mitteilte, dankte Franziskus Sistani dafür, dass er zusammen mit der schiitischen Gemeinschaft seine Stimme zur Verteidigung der Schwächsten und Verfolgten erhoben und die Einheit des irakischen Volkes bekräftigt habe.

Papst im Irak: Großajatollah Ali al-Sistani, der wichtigste schiitische Geistliche des Landes, empfing Papst Franziskus in seinem Privathaus in Nadschaf zu einem Gespräch.

Großajatollah Ali al-Sistani, der wichtigste schiitische Geistliche des Landes, empfing Papst Franziskus in seinem Privathaus in Nadschaf zu einem Gespräch.

(Foto: Vatican News/AFP)

In einer Erklärung Sistanis hieß es, religiöse und spirituelle Führer seien gefordert, insbesondere an die Großmächte zu appellieren, allen Völkern der Region ein Leben in Freiheit und Würde zu ermöglichen. Die Christen im Irak müssten in Sicherheit und mit allen bürgerlichen Rechten im Land leben können, sagte er laut seinem Büro. Sistani sprach demnach auch das Schicksal der Palästinenser unter israelischer Besatzung an, ebenso Unterdrückung, Armut und Verfolgung vieler Völker im Nahen Osten.

Sistani hat Millionen Anhänger im Irak und weltweit unter den geschätzt 200 Millionen Zwölfer-Schiiten, dem wichtigsten Zweig der kleineren der beiden Hauptglaubensrichtungen des Islam. Eine gemeinsame Erklärung unterzeichneten der Papst und der Großajatollah nicht. Im Jahr 2019 hatte Franziskus bei seinem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten ein gemeinsames Dokument mit Ahmed al-Tajjib unterschrieben. Tajjib ist Großimam der al-Azhar in Kairo und einer der wichtigsten Vertreter des sunnitischen Islam. Das Dokument trug den Titel "Die Brüderlichkeit aller Menschen - Für ein friedliches Zusammenleben in der Welt".

Iraks Premierminister Mustafa al-Kadhimi kündigte an, das Land werde künftig am 6. März einen nationalen "Tag der Toleranz und Koexistenz" begehen, um an das "historische Treffen" des Papstes mit Sistani sowie der Zusammenkunft in Ur zu gedenken.

Papst Franziskus zu Besuch im Irak

Bagdad am 5. März: Papst Franziskus schüttelt bei seiner Ankunft im Präsidentenpalast die Hand von Sarbagh Salih, der Frau von Präsident Barham Salih.

(Foto: ---/dpa)

Der Papst war am Freitag in Bagdad eingetroffen und hatte bei seiner Rede im Präsidentenpalast die Iraker zu nationaler Einheit und religiöser Toleranz aufgerufen. Die viertägige Reise kann wegen der schlechten Sicherheitslage im Irak und der stark steigenden Zahl der Corona-Infektionen nur unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden kann. Der Vatikan verteidigte die Entscheidung, die symbolträchtige Reise nicht zu verschieben.

Am Freitagabend wandte sich der Papst in der syrisch-katholischen Kathedrale Sayidat al-Nejat an Bischöfe und Priester: Trotz aller Schwierigkeiten sollten sie sich weiterhin für das Gemeinwohl einsetzen, sagte das Kirchenoberhaupt - auch wenn die katholische Gemeinde im Irak "so klein wie ein Senfkorn" sei.

Papst Franziskus zu Besuch im Irak

Bagdad am 5. März: Papst Franziskus hält in der Kathedrale Sayidat al-Nejat (Unsere Frau der Erlösung) eine Rede.

(Foto: Andrew Medichini/dpa)

In dem Land lebten vor 2003 noch etwa 1,5 Millionen Christen, die überwiegend der chaldäisch-katholischen Kirche angehören. Nach der Verfolgung durch die Terrormiliz IS wird die Zahl der Mitglieder der im Irak vom Staat anerkannten 14 christlichen Konfessionen auf nur mehr 200 000 bis 250 000 geschätzt.

Am Sonntag wird der Papst in Mossul erwartet, wo er am Kirchplatz in der weitgehend zerstörten Altstadt für die Opfer des Krieges beten will. Er wird auch Qaraqosh besuchen, einen Ort auf der Ninive-Ebene, der von Christen wiederaufgebaut worden ist. Viele Christen dagegen sind auch nach der Befreiung von der Terrormiliz IS nicht in ihre Heimat zurückgekehrt. Nach Mossul, das einst eine Gemeinde mit mehreren Zehntausend Mitgliedern hatte, haben sich gerade einmal 40 bis 50 Familien getraut. Zum Abschluss der Reise wird der Papst dann noch in Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan, in einem Stadion eine Messe mit 10 000 Gläubigen halten.

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