Papst:Die Schröpfung der Schöpfung

In seiner Enzyklika stellt Franziskus den Schöpfungsbericht auf den Kopf: Der Mensch solle sich die Erde nicht untertan machen. Stattdessen mahnt er, sie zu bewahren - zum Ärger einiger Christen.

Von Matthias Drobinski

Der Papst ist kein Experte für den Klimawandel. Er kann nicht die Erderwärmung vorhersagen, er hat keine neue Methode entwickelt, um Ökostrom zu erzeugen. Er kann nicht berechnen, wie viel Weltumweltschutz bei wie viel Weltwohlstand möglich ist. Der Papst ist ein Experte für Existenzfragen, fürs menschliche Leben und die Umkehr der Herzen und Hirne. Aus dieser Expertise heraus hat Franziskus das Lehrschreiben "Laudato Si" verfasst. Eine Ökologie-Enzyklika ist neu und steht doch in einer langen Tradition. Schon Papst Paul VI. beklagte 1971 die rücksichtslose Ausbeutung der Natur; 40 Jahre später redete Papst Benedikt XVI. im Bundestag über die "Ökologie des Menschen".

Es geht ja tatsächlich um eine Existenzfrage. Es geht darum, wie diese Menschheit mit den begrenzten Ressourcen der Erde umgehen und wie sie das globale Zusammenleben gestalten möchte. Man kann darüber streiten, bei welchem CO₂-Ausstoß sich das Erdklima um wie viel Grad erhöht, man muss aber von jeder Wissenschaft verlassen sein, um den Zusammenhang zu leugnen. Die globale Erwärmung wird dramatische soziale und politische Folgen haben, sie wird vor allem die Armen treffen, denen das Geld fehlt, um sich gegen Fluten und Dürren zu schützen. Es wird aber auch das Leben der Reichen ändern, die ihren Reichtum nur dann bewahren können, wenn sie ihre Herzen verhärten, ihre Grenzen befestigen und ohne Gnade die Inseln ihres Wohlstands verteidigen.

Die Kultur des unbegrenzten Wachsens, Verbrauchens und Wegwerfens ist an ihre Grenzen gekommen, sagt Franziskus. In einer durchökonomisierten Welt werden die Menschen und die Natur zu Objekten der Ausbeutung, werden Wert und Würde des Lebens zu einer Frage des Preises. Neue Techniken mögen diese Grenze nach hinten verschieben, lösen aber das Grundproblem nicht. Es braucht eine neue, ganzheitliche Sicht vom Leben, sagt der Papst. Das Wasser darf so wenig zum Objekt der Spekulation werden wie die menschliche Arbeitskraft. Die Erde und der Mensch, sie gehören Gott - und nicht dem Menschen.

Die Enzyklika fordert, dass die Menschen ihren Lebensstil ändern

Manchmal kommt das Bild, das der Papst entwirft, an seine Grenzen, zum Beispiel dort, wo er in jeder vom Aussterben bedrohten Art Gottes gute Schöpfung gespiegelt sieht - es gäbe aber, vereinfacht gesagt, die Menschen nicht, hätten nicht irgendwann die Dinosaurier für ihn Platz gemacht. "Laudato Si" lässt auch offen, ob der Papst nun sich ganz vom Wachstumsgedanken verabschiedet oder er nur ein qualitativ anderes Wirtschaftswachstum wünscht, wie er die Spannung zwischen Armutsbekämpfung und Umweltschutz auflösen möchte. Das Lehrschreiben möchte auch kein Konzeptpapier sein. Die Enzyklika will, dass Menschen ihre Weltsicht ändern und ihren Lebensstil. Die Rettung ist möglich, betont der Papst immer wieder. Franziskus ist kein Weltuntergangsprophet, er ist ein frommer Optimist.

Vor allem aber stellt sich die katholische Kirche nun offiziell gegen eine andere, konkurrierende christliche Sicht der Welt und der Umwelt. "Macht euch die Erde untertan", sagt Gott den Menschen im Schöpfungsbericht der Bibel. Über Jahrhunderte haben die Christen diesen Satz so verstanden: Der Mensch muss die Natur beherrschen, unter sein Joch zwingen, in Besitz nehmen. Mit diesen Argumenten haben konservative Christen vor allem in den USA versucht, diese Enzyklika zu verhindern, abzuschwächen, zu verwässern. Für sie zeigt sich Gottes Gnade darin, dass der Mensch erfolgreich ist, dass er nutzt, was ihm gegeben ist - und ob der Klimawandel kommt, ist erstens nicht gesagt, und wenn er doch kommt, zweitens Gottes Wille.

Auf den Papst und die katholische Kirche jedenfalls kann sich diese Haltung nicht mehr berufen.

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