Papst Benedikt XVI. fünf Jahre im Amt:Nicht von dieser Welt

Der Papst wird zur tragischen Person. Er ist kein Reaktionär oder Fundamentalist, er ist: fremd der Welt. Der Aufbruch, der nötig wäre, scheint mit ihm unmöglich zu sein.

Matthias Drobinski

Fünf Jahre ist Papst Benedikt XVI. im Amt, es ist ein Jubiläum ohne Jubel. Es fällt in jene Tage, da immer neue Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche bekannt werden, in denen Joseph Ratzinger von Buße und Umkehr spricht, von Schuld und Scham. Und doch kann er die Glaubwürdigkeitskrise nicht beenden, in die seine Kirche da geraten ist. Am 19. April 2005 trat ein schüchtern lächelnder Benedikt auf den Balkon des Petersdoms und rührte die Menschen unten auf dem Platz. Heute feiert in Rom ein müder Mann den Ostergottesdienst.

Im 13.Jahrhundert wählten die Kardinäle den zeitweiligen Einsiedler Petrus von Murrone zum Papst. Er nannte sich Coelestin V., und die Leute sprachen von ihm als Papa Angelicus, dem Engelspapst. Weltfremd, wie er war, wollte er die Kirche erneuern, weigerte sich, die Kriegsschiffe des Königs zu segnen, dankte nach nur fünf Monaten Amtszeit wieder ab. Vor fünf Jahren wählten die Kardinäle den Papa Theologicus, den Theologenpapst, weil sie hofften, dass mit ihm die Kirche Antworten finden würde auf die Herausforderungen der Postmoderne, auf die Suche vieler Menschen nach dem knappen Gut Sinn, auf die religiösen Konflikte in der Welt.

Doch wenn heute vom Papst die Rede ist, dann geht es nicht um das Verhältnis von Glauben und Vernunft, den Dialog der Religionen, die Gottesfrage. Es geht darum, was Benedikt von welchem Missbrauchsfall gewusst haben könnte, was er mit den traditionalistischen Piusbrüder vorhat, welches Zitat ihm warum misslungen ist. Es geht nicht ums Grundsätzliche, es geht ums Klein-Klein.

Der Papa Theologicus, der vor fünf Jahren ins Amt kam, ist ein weltfremder Papst, manchmal wie der Engelspapst Coelestin. Das ist eine Stärke von Papst Benedikt XVI. Er ist dem Betrieb der Welt fremd, er steht für das Transzendente, für die andere Seite der Wirklichkeit. Er bringt das Fremde ins allzu Weltbekannte; er steht in der Zeit des Traditionsabbruchs für die zweitausendjährige Geschichte der größten, ältesten Institution der Welt. Des Papstes erste Enzyklika "Deus Caritas est" ist das beste Beispiel für den Wert dieses Weltfremden. Da schreibt der Papst von Gott, der die Liebe ist und so alle Maßstäbe der Welt durchbricht; den Menschen Mut gibt, diese Maßstäbe zu durchbrechen, gegen die Diktatur des Nächstliegenden das unerhört Gute zu tun. Ja, auch dort verkündet der Papst, die sexuelle Liebe habe nur in der katholischen Ehe ihren Platz. Aber Benedikts erstes Lehrschreiben wirbt um die Menschen, lädt ein, stellt die innerweltlichen Heilsoptimismen in Frage.

Doch solche Momente sind zu selten in diesem Pontifikat. Es gab den lächelnden Papst auf seinen Reisen nach Deutschland, die bewegenden Besuche in Moscheen und Synagogen. Zunehmend aber wirkt die negative Seite von Benedikts Weltfremdheit. In ihr begrenzt er sich selber, bleibt in seiner In-sich-Logik gefangen. Er betrachtet die geistige Entwicklung jenseits von Augustinus und Thomas von Aquin mit Misstrauen; aus seiner Sicht haben Martin Luther und die Aufklärer einem bedenklichen Individualismus Vorschub geleistet, ist die Welt beherrscht von der "Diktatur des Relativismus", gegen die sich die Kirche in der Burg des Dogmatischen verrammeln muss. Es ist ein Welt-Pessimismus, der relativiert, was Benedikt in seiner Liebes-Enzyklika sagt.

Ein Papst kann heute kein reiner Papa Theologicus mehr sein, jedenfalls nicht so wie Ratzinger es ist. Seit er mit seiner Regensburger Rede die Muslime empörte, kämpft er mit unglücklichen Zitaten und Entscheidungen, die jenseits der päpstlichen Gedankengänge auf Unverständnis und Zorn stoßen. Der Papst hat die alte tridentinische Messe aufgewertet und die Exkommunikation der traditionalistischen Pius-Bischöfe aufgehoben, weil er diesen Teil der Tradition für die Kirche retten wollte. Doch er, der Weltgelehrte, hat nicht begriffen, was es bedeutet, wenn in der katholischen Kirche wieder für die Bekehrung der Juden gebetet wird, wenn unter den begnadigten Piusbrüdern einer ist, der den Holocaust leugnet. Und weil er es nicht begriffen hat, wundert er sich, wenn Kritik kommt.

Zu anderen Zeiten wäre diese Missverstehensspirale nur ein Zeichen dafür gewesen, wie desaströs schlecht der Vatikan den Papst berät. Nun aber, da die katholische Kirche durch den Missbrauchsskandal Verletzerin und verletzt zugleich ist, wird der weltfremde Papst zur tragischen Person. Er verurteilt die Taten so klar wie nur irgend möglich; doch in der Welt wirkt es wie die nachgeschobene Entschuldigung eines Mannes, der zu lange selbstherrlich über die Sexualität anderer urteilte, dem zu lange die Institution wichtiger war als der Mensch.

Er lächelt, der Theologenpapst - wenn er bei den Audienzen Menschen trifft, die ihn verehren, ihm zujubeln. Joseph Ratzinger hat gesagt, dass ihm eine Kirche der kleinen, aber treuen Schar lieber sei als die große Menge der Halbentschiedenen. Nun könnte diese Vision Wirklichkeit werden, ohne dass Benedikt sie zum Programm erhoben hätte. Er ist kein Reaktionär oder Fundamentalist, er ist - fremd der Welt. Der mutige Aufbruch, der nötig wäre, scheint mit ihm unmöglich zu sein.

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