Papandreou übersteht Vertrauensfrage:Abstimmung gewonnen, Vertrauen zerronnen

Giorgos Papandreou hat fulminant gekämpft - und ist doch gescheitert. Es bleibt ihm lediglich ein ehrenvoller Abgang, denn der neuen Übergangsregierung wird der griechische Premier vermutlich nicht mehr angehören. Doch die Griechen müssen weiter auf einen Neuanfang warten: Das alte Personal, das sein Versagen, seinen Egoismus und seine Machtgier schon einmal grandios unter Beweis gestellt hat, steht wieder bereit.

Kai Strittmatter, Athen

Der griechische Premier Giorgos Papandreou hat noch einmal fulminant gekämpft, aber Sieg wäre als Wort zu groß für das, was er am Freitagabend errungen hat: Er hat sich das Recht auf einen ehrenvollen Abgang erkämpft. Papandreou hat eine Vertrauensabstimmung gewonnen, aber das Vertrauen großer Teile seiner eigenen Partei hat er längst verloren.

Papandreou übersteht Vertrauensfrage: Der griechische Premier Papandreou nach der gewonnenen Vertrauensabstimmung: Nun beginnt das Tauziehen um eine Übergangsregierung - doch es ist unwahrscheinlich, dass der Premier dieser neuen Regierung noch Papandreou heißen wird.

Der griechische Premier Papandreou nach der gewonnenen Vertrauensabstimmung: Nun beginnt das Tauziehen um eine Übergangsregierung - doch es ist unwahrscheinlich, dass der Premier dieser neuen Regierung noch Papandreou heißen wird.

(Foto: AFP)

Die von Tag zu Tag zahlreicheren Rebellen in der sozialistischen Pasok haben nur aus einem Grund für ihn gestimmt: Weil er ihnen versprochen hat, bald beiseite zu treten, um eine breite Koalition möglich zu machen. Einige der Pasok-Leute fürchten um ihr Land, viele fürchten schlicht um sich selbst und die Zukunft ihrer Partei: Sie wollen die grausamen Sparmaßnahmen nicht länger alleine schultern.

Nun beginnt das Tauziehen um eine Übergangsregierung. Es ist unwahrscheinlich, dass der Premier dieser neuen Regierung noch Papandreou heißen wird: Die konservative Nea Dimokratia ND, die im Moment alle Umfragen anführt, hat das kategorisch ausgeschlossen. Papandreou mag versuchen, die kleineren Parteien auf seine Seite zu ziehen, aber eine solche "Regierung des breiten Konsenses" verdiente ohne die ND ihren Namen nicht.

Reflex der totalen Verweigerung

Wenn er es tatsächlich ohne die ND versuchte - Papandreou würde wohl die nächste Revolte seiner Partei herauf beschwören, die sich spätestens seit gestern Nacht auf eine Zukunft ohne ihn eingestellt hat. Finanzminister Evangelos Venizelo steht längst bereit, ihn zu beerben als Führer der Partei.

Ebenso gefährlich ist die erneute Forderung von Oppositionschef Antonis Samaras nach sofortigen Neuwahlen ohne Übergangsregierung, der sich offenbar noch nicht frei gemacht hat vom Reflex der totalen Verweigerung. Neuwahlen jetzt sofort brächten noch mehr Wochen des Tumults, die sich Griechenland im Moment schlicht nicht leisten kann - es hat nur mehr Geld für wenige Wochen, braucht dringend die nächsten acht Milliarden Euro Hilfskredite.

Das wahrscheinlichste Szenario ist also: Griechenland bekommt in den kommenden Tagen eine Notregierung, die dann in einem nächsten Schritt Neuwahlen vorbereitet. Wird das der Neuanfang, den das Land braucht? Jammer und Schrecken, meinte Aristoteles, wohne eine Macht inne, die Macht, eine Katharsis herbeizuführen. Über einen Mangel an Jammer und Schrecken können die Griechen nicht klagen, ist die Läuterung also in Sicht? Die Griechen hoffen, aber wer möchte ihnen die Skepsis verdenken.

Was Griechenland jetzt braucht

Das alte Personal hat versagt, und es hat sein Versagen, seinen Egoismus und seine Machtgier im Chaos der letzten Tage noch einmal zur Schau gestellt. Es gibt aber kein neues. Die Zukunft des Landes machen fürs erste wieder jene beiden Parteien unter sich aus, die es eben erst in den Ruin geführt haben: Die sozialistische Pasok, die das System der Klientelwirtschaft unter dem Großvater des jetzigen Premiers erfunden hat. Und die Nea Dimokratia ND, die dieses System von 2004 bis 2009 auf die Spitze getrieben hat.

Giorgos Papandreou, der Enkel, ist gescheitert, weil er seine Partei nicht freimachen konnte von den Tentakeln des alten korrupten Kraken. Er ist aber auch gescheitert, weil Oppositionschef Antonis Samaras von der ND ihn und das Land in Zeiten höchster Not im Stich gelassen hat.

Das Monster der Bürokratie zähmen

Was braucht Griechenland? In der Wirtschaft Wachstum und endlich eine Produktion, die der Rede wert ist, klar. Vor allem aber wartet es noch immer auf eine politische und moralische Erneuerung. Ohne die wird das auch mit der Wirtschaft nichts. Es braucht Verantwortung. Vor allem in der Politik. An ihr nämlich läge es, Gerechtigkeit zu schaffen und eine Justiz, die endlich all jene zur Rechenschaft zieht, die seit Jahrzehnten mit Duldung der Politik Land und Volk ausplündern. Erst dann kann man auch vom einfachen Volk erwarten, dass es anfängt, klaglos seine Steuern zu zahlen, und nicht selbst Ausschau zu halten nach den Abkürzungen an Gesetz und Moral vorbei. Es ist erstaunlich, wie viele Dinge Papandreou in den zwei Jahren nicht gelungen sind, aber dass seine Regierung nicht einmal einen einzigen der großen Steuerhinterzieher vor Gericht gebracht hat, auch das hat ihn am Ende die Achtung des Volkes gekostet.

Griechenland ist in vieler Hinsicht ein kaputter Staat. Die Gerichte sind unfähig zu richten, die Schulen unfähig, Kinder zu unterrichten, die Finanzämter unfähig, Steuer einzutreiben. Wiedergeburt heißt hier: den Staat neu aufbauen. Bei seinen Bürgern gespart, ja, das hat Papandreou, brutal, das hat ihm auch oft den Applaus von EU und IWF eingetragen. Bloß: Das war - für ihn und für die EU - der einfache Teil. Der für die Zukunft des Landes viel wichtigere wäre: Die verkrusteten Strukturen zerschlagen, Leistung zu belohnen statt Beziehungen, die Ämter zum Arbeiten bringen, das Monster der Bürokratie zu zähmen, das die Politiker als Versorgeanstalt für ihre Vettern und Wähler geschaffen haben. Da blieben die Taten bislang schmerzlich aus. Im 11 Millionen-Einwohner-Land Griechenland beziehen eine Million Menschen ihren Lohn aus der Staatskasse. Ökonomen sagen, leisten könne der Staat sich gerade einmal die Hälfte. Die ersten 30.000 sollen bis Ende des Jahres entlassen werden. Und was sagt die ND, die wohl die nächste Wahl gewinnen wird? Sie werde die 30.000 sofort wieder einstellen. Der alte Wahnsinn, er nistet noch in den Köpfen.

Das ist gefährlich, weil die griechische Demokratie ins Ungewisse zu driften droht. Vier von fünf Griechen sagen heute, sie hielten die gesamte politische Klasse für diskreditiert. Noch gibt es den Scharlatan nicht, der den Frust und die zunehmende Verachtung für die demokratischen Politiker ausnutzt, aber wer sagt, dass er nicht schon irgendwo lauert? Hier liegt die Botschaft an die neuen alten Köpfe, die Griechenland ins nächste Jahr führen werden: Den ersten Test habt Ihr nicht bestanden, viele Chancen werdet Ihr nicht mehr bekommen. Hier liegt aber auch eine Botschaft an EU und IWF: Hinter allen Zahlen stehen Menschen. Wer als Rezept nur blindes Sparen kennt, wer so die Wirtschaft erstickt und die Menschen in die Verzweiflung treibt, dem drohen am Ende selbst Jammer und Schrecken.

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