Paolo Gentiloni:In Italien geht Regieren jetzt auch ohne Tweets

Paolo Gentiloni: Intrigen oder Rivalitäten im Kabinett? Fehlanzeige. Italiens Premier Paolo Gentiloni ist nun seit fast vier Monaten im Amt. Seine Unaufgeregtheit und sein kollegialer Führungsstil kommen im Land gut an.

Intrigen oder Rivalitäten im Kabinett? Fehlanzeige. Italiens Premier Paolo Gentiloni ist nun seit fast vier Monaten im Amt. Seine Unaufgeregtheit und sein kollegialer Führungsstil kommen im Land gut an.

(Foto: Alessandro Di Meo/AP)

Italiens Ministerpräsident Gentiloni ist seit fast vier Monaten im Amt. Seitdem hört man kaum mehr von Intrigen im Kabinett. Nie ist Theater, nie Drama. Das ist eine Sensation.

Von Oliver Meiler, Rom

Sucht man nach einer perfekten Verkörperung für Understatement, kommt man schnell auf Paolo Gentiloni. Wenigstens in Italien. Unlängst besuchte der italienische Premier die Sonntagssendung "Domenica In", die herrlich verstaubte Plauderstube auf dem Staatssender Rai Uno, und war da einfach mal 47 Minuten lang er selbst - Bescheidenheit in Person.

Als der Moderator Gentiloni fragte, welches Adjektiv seine Regierung denn am besten beschreibe, sagte er: "rassicurante", beruhigend also, Vertrauen erweckend. "Ich denke, die Italiener wollen beruhigt werden." Wenn dem tatsächlich so ist, dann gibt es keinen Besseren für die Rolle als diesen 62 Jahre alten, stets treuherzig lächelnden Römer aus aristokratischem Geschlecht. An ihm wirkt selbst das Phlegma nobel.

Seit bald vier Monaten wiegt Paolo Gentiloni Silveri, wie der Graf mit vollem Namen heißt, die Italiener nun schon in seiner Beruhigungswelle. Er regiert so unspektakulär und still, dass man sich bisweilen fragt, ob er überhaupt regiert. Natürlich fällt Gentilonis Phlegma umso stärker auf, als der Stil seines Vorgängers Matteo Renzi das genaue Gegenteil war: Der war laut, dauerpräsent und brüsk. Beruhigend war Renzi jedenfalls nie.

Seit vier Monaten hört man nun kaum mehr von Intrigen und Rivalitäten im Kabinett. Nie ist Theater, nie Drama. Den Palazzo Chigi, den Sitz des Regierungschefs, umweht ein Hauch Langeweile, und das ist eine Sensation.

Als Gentiloni am 12. Dezember vergangenen Jahres von Renzi übernahm, hieß es, der Neue sei ein Spielball des Ex-Premiers. Er werde sich nur so lange halten können, wie Renzi es beliebe, Gentiloni gebe nur den Platzhalter bis zur Revanche. Denn Renzi trachte nach sehr baldigen Neuwahlen, um es allen zu zeigen, die ihn nach dem verlorenen Referendum über die Verfassungsreform abgeschrieben hatten.

Das neue Kabinett festigte dieses Urteil nur noch, weil es wie eine Fotokopie der alten daherkam. Gentilonis politische Linie ist ebenfalls dieselbe wie Renzis: christlichsozial, liberal in Gesellschaftsfragen und Europa-orientiert.

Minister treten aus dem Schatten

Nun ist doch alles etwas anders. Von baldigen Neuwahlen spricht niemand mehr, auch die Protestpartei Cinque Stelle nicht. Wenn die Anzeichen stimmen, dann wird Paolo Gentiloni durchregieren können, bis zum Ende der Legislaturperiode im Februar 2018.

Die Diskussionen über neue, einigermaßen harmonische Wahlgesetze für die Bestellung von Senat und Abgeordnetenkammer sind während der vergangenen vier Monate trotz allenthalben bezeugter Eile keinen Millimeter weitergekommen. Renzi hat in der Zwischenzeit den Vorsitz des sozialdemokratischen Partito Democratico abgegeben und will ihn sich bei den Primärwahlen Ende April wieder zurückholen, um dann frisch legitimiert um die Macht im Land zu kämpfen.

Unterdessen aber regiert Gentiloni, der frühere Außenminister. Je länger er es so tut, wie er es tut, desto beliebter wird er im Volk. Da der Premier nicht alles Scheinwerferlicht für sich beansprucht, wie es bei seinem Vorgänger der Fall war, und dazu einen kollegialen Führungsstil pflegt, treten einige Minister aus dem Schatten. Innenminister Marco Minniti, Finanzminister Pier Carlo Padoan und Wirtschaftsminister Carlo Calenda gehören bereits zu den populärsten Politikern im Land.

Niemand schimpft über Gentiloni

Renzi soll nur mäßig begeistert sein über diese Entwicklung. Zuweilen feuert er auch Giftpfeile ab, um die Herrschaften zu zügeln. Padoan und Calenda nennt er dann Techniker, was nicht nett gemeint ist, und verursacht damit zwischenzeitlich Aufregung.

Vor allem aber möchte Renzi verhindern, dass die Regierung in diesem letzten Jahr der Legislatur einige Prinzipien des "Renzismus" entkernt. Am wichtigsten ist ihm, dass Gentiloni die Steuern nicht erhöht. Das würde die Wahlchancen des Partito Democratico schmälern. Jede Stimme zählt, denn seit der Spaltung liegt die Partei laut Umfragen knapp hinter den Cinque Stelle.

Die Frage ist nur, wie Gentiloni die Defizitvorgaben aus Brüssel mit einem wahlkampftauglichen Haushaltplan für 2018 vereinen kann. Italiens Wirtschaft wächst wieder ein bisschen. Doch von allen europäischen Ländern ist es jenes, das am wenigsten stark wächst. Und nur Griechenland hat einen noch höheren Schuldenberg als Italien, das dafür hohe Zinsen zahlt.

Angefangenes wird komplettiert

Darum setzt Gentiloni alles auf Reformen. In den maßgeblichen Kapitalen Europas soll man den Eindruck gewinnen, dass er den Innovationsschub Renzis fortsetzt - auf seine Art, ohne ständige Selbstglorifizierung. Renzi war zwar ein überzeugter Reformer, in der Hast ging aber vieles schief oder blieb Stückwerk. Gentiloni komplettiert nun Angefangenes mit den nötigen Dekreten, etwa die Reform der öffentlichen Verwaltung.

Italien hat neuerdings auch eine klare Vorstellung davon, wie es den Flüchtlingsstrom übers Mittelmeer verwalten möchte - nämlich mit besserer Integration jener, die Asyl erhalten, und einer schnelleren Rückführung derer, die keine Chance darauf haben.

Auch Renzis missratene Schulreform wird repariert, die Arbeitsmarktreform, der Jobs Act, etwas korrigiert. Die kontroverse, lange Zeit hinausgezögerte Parlamentsdebatte über Sterbehilfe hat nun ebenfalls begonnen. Bald sollen die Unternehmensteuern verringert werden, damit die Firmen wieder mehr Jobs schaffen. Da passiert also etwas, ohne Drama.

Niemand schimpft über Paolo Gentiloni, nicht einmal die üblichen Rufer von der Lega Nord und die Verschwörungstheoretiker der Cinque Stelle. Niemand scheint in dem stillen Verwalter eine Konkurrenz zu sehen. Gentiloni sagt, er gehe jeden Morgen um 7.30 Uhr ins Büro und verlasse es jeweils erst nach 21 Uhr wieder. "Wir arbeiten wirklich viel, auch wenn das manche nicht wahrhaben möchten."

Regieren, wollte er damit wohl auch dem Dauer-Twitterer Renzi sagen, geht auch ohne ständige Tweets, Hashtags und Slides.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: