Pannen in Berlin:"Komplettes, systematisches Versagen"

Pannen in Berlin: Lange Schlangen am 26. September in Berlin-Friedrichshain - und nicht nur da.

Lange Schlangen am 26. September in Berlin-Friedrichshain - und nicht nur da.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Der Bundeswahlleiter verlangt die Wiederholung der Bundestagswahl in sechs Berliner Wahlkreisen. Dies könnte die Zusammensetzung des Parlaments beeinflussen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Eines kann man dem Bundeswahlleiter an diesem Dienstag nicht vorwerfen: Dass er seine Verärgerung über die vielen Wahlpannen in Berlin verstecken würde. Im Saal 3.101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses ist der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags zu einer Versammlung zusammen gekommen, wie es sie in dieser Form noch nie gegeben hat. Der Ausschuss habe es sich zur Aufgabe gemacht, das "gesamte Berliner Wahlgeschehen" aufzuarbeiten, sagt seine Vorsitzende Daniela Ludwig (CSU). In der Mitte des Saales sitzt Bundeswahlleiter Georg Thiel. Und er fasst seine Einschätzung unmissverständlich zusammen: Bei den Berliner Wahlen im vergangenen September habe es nicht nur einzelne Fehler gegeben, sondern offensichtlich ein "komplettes systematisches Versagen der Wahlorganisation". Wegen fehlender oder falscher Stimmzettel sei es zur zeitweisen Schließung von Wahlräumen gekommen, es habe sehr lange Schlangen gegeben - deswegen hätten viele Bürger auf die Abgabe ihrer Stimmen verzichtet. Außerdem seien noch deutlich nach 18 Uhr Stimmen abgegeben worden.

Ein Wahllokal soll erst nach 21 Uhr geschlossen worden sein - zu diesem Zeitpunkt waren die ersten Hochrechnungen schon mehr als zwei Stunden alt. "Wir sind hier in einer Bundeshauptstadt eines zivilisierten Landes, da darf so etwas nicht vorkommen", sagt Thiel.

Probleme in sechs von zwölf Wahlbezirken

Im September haben die Berliner nicht nur ein neues Abgeordnetenhaus und ihre Bezirksverordnetenversammlungen gewählt, sondern auch den Bundestag. Nur um diese Abstimmung geht es an diesem Dienstag. Der Bundeswahlleiter hat wegen der Pannen bereits im November Einspruch gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl in sechs der zwölf Berliner Wahlkreise eingelegt.

Bei so einem Einspruch geht es auch um die Mandatsrelevanz, also um die Frage, ob durch die Pannen das Ergebnis beeinflusst sein könnte. Und diese Mandatsrelevanz gibt es in Berlin nach Ansicht des Bundeswahlleiters gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen ist im Wahlkreis Reinickendorf der Erststimmen-Vorsprung, mit dem Monika Grütters (CDU) das Direktmandat gewonnen hat, so klein, dass er Resultat der Pannen sein könnte. Zum anderen könnte durch Pannen in den Berliner Wahlkreisen Mitte, Pankow, Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost auch das Zweitstimmen-Ergebnis mandatsrelevant verfälscht worden sein. Hätte die SPD im September insgesamt mindestens 802 Zweitstimmen mehr erhalten, hätte sie im Bundestag einen Sitz mehr.

Wäre eine Neuwahl auch verhältnismäßig?

Auf die Frage, ob sein Einspruch bedeute, dass er in den sechs Berliner Bezirken eine erneute Abstimmung verlange, sagt der Bundeswahlleiter in der Ausschusssitzung unmissverständlich: "Wir möchten in betroffenen Wahlbezirken eine Wahlwiederholung erreichen." Es wäre die erste Wiederholungswahl in der Geschichte des Bundestags.

Aber wie geht es jetzt weiter? Der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner ist im Wahlprüfungsausschuss einer der beiden Berichterstatter für den Umgang mit den Berliner Wahlmängeln. "Den Einspruch des Bundeswahlleiters nehmen wir sehr ernst", sagt Fechner der Süddeutschen Zeitung. Denn es gehe "um das Stimmrecht der Berlinerinnen und Berliner und damit um deren zentrale Mitwirkungsmöglichkeit in unserer Demokratie". Die Landeswahlleitung habe schwere Mängel eingeräumt. "Ob wir die Mängel als so umfangreich einschätzen, dass die Berliner Wahl wiederholt werden muss, werden wir in den nächsten Tagen genau prüfen", sagt Fechner. Denn bei "aller berechtigten Kritik über die Fehler bei der Bundestagswahl in Berlin" müsse "eine aufwendige Neuwahl verhältnismäßig sein". Eine Neuwahl würde aber nur "wenig an der Zusammensetzung des Bundestags ändern".

Thomas Heilmann ist Vorsitzender der Berliner Landesgruppe der CDU-Bundestagsabgeordneten. Seine Bilanz fällt ähnlich aus. "Die heutige Verhandlung im Ausschuss hat deutlich gezeigt, wie skandalös die Wahl in Berlin verlaufen ist", sagt Heilmann der SZ. "Es gab eine katastrophale Desorganisation, das ist peinlich für die Demokratie." Heilmann weist aber auf einen weiteren Aspekt hin. Bei einer Wiederholung der Bundestagswahl in den sechs Berliner Wahlbezirken "dürfte die Wahlbeteiligung dort deutlich niedriger ausfallen als im vergangenen September", sagt er. Dadurch würde es "im Verhältnis zu den anderen Bundesländern auch deutlich weniger Berliner Zweitstimmen geben - dadurch könnte dann auch die Zahl der Mandate im Bundestag sinken".

Es gibt aber noch einen anderen möglichen Effekt: Wegen des Systems der Ausgleichsmandate könnte es durch eine Wahlwiederholung in Berlin auch zu Veränderungen der Sitze in anderen Bundesländern kommen.

Über die Wahlwiederholung wird der Bundestag entscheiden - zuvor muss der Wahlprüfungsausschuss eine Empfehlung abgeben. Wie diese aussehen wird, war am Dienstag auch nach der Sitzung noch unklar. Als sicher gilt aber, dass der Fall am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.

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