Das Glück kennt keinen Plural, wohl aber das Unglück. Und Unglücke gab es in der mehr als 60 Jahre alten Geschichte des Verfassungsschutzes reichlich: John-Affäre, Teflon-Affäre, Lauschangriff auf Klaus Traube, Celler Loch, V-Mann Urbach, Schmücker-Mord - das alles sind Kürzel aus einer dunklen Welt mit finsteren Gestalten.
Hinter den meisten Kürzeln stecken verzweigte Skandalgeschichten, die sich oft als Amoklauf eines außer Rand und Legalität geratenen Nachrichtendienstes herausstellten. Der Dienst wurde dann seinem Namen nicht gerecht, weil er die Verfassung nicht schützte, sondern untergrub. Radikalenerlass, die Beobachtung von Abgeordneten der Links-Partei waren oder sind zudem politische Torheiten.
Angesichts dieser Skandale und Skandälchen wäre eine rechtskonforme Löschung von Daten geradezu ein Ausbund an Rechtsstaatlichkeit. Eine Behörde aber, die den Umgang mit Akten wie Glücksspiel betreibt und dann schreddert, wenn es einem Referatsleiter gefällt, ist gemeingefährlich. Sie müsste, wie ein Gewerbetreibender, ein Schild aushängen: Staatlicher Lotteriebetrieb.
Es war dumm und unsensibel, dass ein Referatsleiter die Akten ausgerechnet an dem Tag schreddern ließ, als die Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) durch Zufall aufgeflogen war. Die interne Vertuschung der Aktion aber war ein Skandal. Für das Verhalten des Beamten gilt der Satz, der Bonapartes Polizeiminister Joseph Fouché zugeschrieben wird: "Es war mehr als ein Verbrechen, es war ein Fehler."
Wenn Fehler allerdings in Serie zu passieren scheinen, darf sich eine Behörde nicht wundern, dass viele Bürger ihre Arbeit nicht schätzen und dem Apparat zutiefst misstrauen: Sind die nicht bei jeder Sauerei irgendwie dabei? Die umlaufenden Gerüchte über den Inlandsnachrichtendienst sind zum Teil Verschwörungs-Kikeriki, zum Teil sind sie nachvollziehbar.
Das handwerkliche Dilettieren so vieler Behörden
Der honorige scheidende Präsident der unheimlichen Behörde, Heinz Fromm, hat im Untersuchungsausschuss den möglichen (weiteren) Verfall des Ansehens der Behörde beklagt. Zukunft: ungewiss. Im Fall der Zwickauer Terrorbande hat die Behörde aber vor allem versagt, weil sie keinen Schimmer davon hatte, dass braune Terroristen mordend durchs Land zogen.
Aber - wer hat nicht versagt? Auswerter in Landesämtern haben nicht ausgewertet; Verbindungsbeamte haben nicht verbunden; Zielfahnder haben Pausen beim Zielfahnden eingelegt; Polizisten jagten ein Jahrzehnt lang ein Phantom aus dem weiten Reich der Organisierten Kriminalität, das mit der Mordserie nichts zu tun hatte. Was bei der Fehleranalyse, die erst begonnen hat, Angst machen muss, ist das handwerkliche Dilettieren so vieler Behörden. So hat man sich das nicht vorstellen können, und irgendwann ist Pech auch Schuld und Scham wird zur Pflicht. Den Verfassungsschutz trifft jetzt die ganze Wut und die Vorverachtung.
Aber alle Sicherheitsleute sollten das Debakel als Chance zum Neubeginn begreifen. Die Anschläge vom 11. September lösten einen Kulturbruch bei den Sicherheitsbehörden aus, die danach ihre Zusammenarbeit verbesserten. Die NSU-Katastrophe muss zur Revision der alten Kommunikationsstränge führen.
Das neue "Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" verbessert zumindest die Zusammenarbeit mit der Polizei. Und das in den vielen Details unfassbare handwerkliche Versagen des Verfassungsschutzes Thüringen wirft die Frage neu auf, ob es sinnvoll ist, kleine Ämter weiter wursteln zu lassen. Da geht der Föderalismus wirklich zu weit.
Der Einsatz von V-Leuten, der über die Grauzone in den Abgrund führen kann, muss erneut überprüft werden. Der Vorschlag, den Einsatz von V-Leuten und anderen nachrichtendienstlichen Mitteln an die Genehmigung eines Richters zu koppeln, darf nicht gleich wegen angeblicher Praxisferne abgelehnt werden. Es gibt bei dem Thema Pros und Kontras.
Die Honorierung von V-Leuten, die Schwätzer, Lügner, aber auch Helfer sein können, darf nicht fünf- oder sechsstellige Höhen erreichen. Nicht selten verwenden sie das Geld zur Finanzierung jener Organisation, die sie beobachten sollen. Es geht nicht ohne Verfassungsschutz und, in einigen Bereichen, auch nicht ohne V-Leute, aber mehr Kontrolle muss her. Die parlamentarische Aufsicht ist lückenhaft geblieben.
Der Verfassungsschutz wird irgendwie bleiben (unbeliebt), und das Geheimnis, das die Vertreter dieses Gewerbes so lieben, bleibt auch. Ein vollständig transparenter Geheimdienst wäre ein Widerspruch in sich. Wenn mit Quellen Vertraulichkeitszusagen getroffen werden, müssen diese auch gelten. Aber es gab und gibt schwankende Kriterien, was als Geheimnis geschützt werden muss. Oft genug wollen sich staatliche Instanzen, also die Bürokratie, gegen Neugier von Politikern und Bürgern abschotten.
Wenn der Präsident einer solchen Behörde von einem seiner Geheimniskrämer mit falschen Angaben im größten Maßstab hinters Licht geführt wird, ist das nicht nur milieuspezifisch: Es ist eine grobe Verletzung des Kerns der Beamtenpflichten. Davor schützen aber auch die besten Regeln nicht. Ein Teil jeder Behörde führt immer ein Eigenleben.