Pannen bei der NSU-Ermittlung:Geheimdienst-Kontrolleure begehren auf

Der Präsident ist weg, die NSU-Aktenschredder-Affäre geht weiter: Nach dem Rücktritt von Verfassungsschutz-Chef Fromm fordern Innenpolitiker aus allen Parteien weitere Konsequenzen. Der Grüne Ströbele fordert den Rücktritt von BKA-Chef Ziercke. Die Linken wollen den Verfassungsschutz ganz abschaffen.

Thorsten Denkler, Berlin

Akten vernichtet, Fehlschlüsse am laufenden Band, fehlende Kommunikation. Die Ermittlungen um die Morde der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ist eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Und jetzt scheinen die Behörden auch noch die parlamentarische Aufklärung dieser Geschichte des Unvermögens zu behindern.

Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ist der erste Chef einer Sicherheitsbehörde, der wegen der Morde seinen Hut nimmt. Am Montag hat er seinen Rücktritt eingereicht. In seinem Haus wurden Akten vernichtet. (Eine Übersicht der deutschen Geheimdienste gibt es hier.)

Weitere Rücktritte werden nicht ausgeschlossen. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, SPD-Politiker Sebastian Edathy, sieht den Verfassungsschutz in einer "Vertrauenskrise". Je mehr versucht werde, unter den Teppich zu kehren, "desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann über den Teppich stolpert", sagt er.

"Der Verfassungsschutz gehört ersatzlos abgeschafft"

Christian Ströbele, Obmann der Grünen im NSU-Ausschuss, legt im Gespräch mit SZ.de jetzt dem Chef des Bundeskriminalamtes nahe, es Fromm gleichzutun. "Ich erwarte weitere personelle Konsequenzen", sagt Ströbele im Hinblick auf Jörg Ziercke. Es könne nicht sein, dass da einer sitze und sage, das BKA habe Fehler gemacht, aber nicht konkret, welche. Ziercke war in der vergangenen Woche Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss.

Die Linken würden den Verfassungsschutz am liebsten gleich ganz loswerden. Linken-Justizexpertin Halina Wawzyniak, Mitglied im NSU-Ausschuss, sagt zu SZ.de: "Der Verfassungsschutz gehört ersatzlos abgeschafft." Er schütze die Demokratie nicht, er gefährde sie. Die Verfassung müsse von den Bürgern geschützt werden. "Ein unkontrollierbares Amt ist dazu nicht in der Lage."

So weit will Ströbele nicht gehen. Der Grüne verlangt aber eine umfassende Reform der deutschen Nachrichtendienste. "Den Geheimen muss das Geheime genommen werden." Es sei absurd, dass V-Leute nicht mal von den parlamentarischen Kontrollgremien befragt werden könnten, die ihre Arbeit unter hohen Sicherheitsauflagen verrichteten. So sei eine effektive Kontrolle praktisch unmöglich.

Mehr Macht für den Bund

Besonders das Bundesamt für Verfassungsschutz habe gezeigt, dass es auf dem rechten Auge blind sei, kritisiert Ströbele. Es habe nicht die nötige Sensibilität besessen, um die Gefahr, die von rechts für Leib und Leben ausginge, zu erkennen.

NSU-Untersuchungsausschuss

Auch der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, steht in der Kritik.

(Foto: dapd)

Patrick Kurth von der FDP hält dagegen eine Stärkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz für nötig. Kurth, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, will das Bundesamt "im Bund-Länder-Geflecht koordinierend gegenüber den Ländern einsetzen", sagt er im Gespräch mit SZ.de. Sprich: Mehr Macht für den Bund, um Abstimmungs-Pannen wie im Fall NSU zu vermeiden.

Gleichwohl will Kurth prüfen lassen, ob "Parlamentarier auch juristisch gegen falsche Aussagen und Vertuschung" seitens der Behörde vorgehen könnten.

"Unverständliche Forderung"

Damit bewegt er sich auf einer Linie mit dem Koalitionspartner CDU. Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses, hält es angesichts der "besorgniserregenden Bedrohungslage" für "unverantwortlich", das Bundesamt für Verfassungsschutz auflösen zu wollen. "So unbegreiflich die Aktenvernichtungsaktion ist, so unverständlich ist die Forderung, jetzt den Verfassungsschutz komplett abzuschaffen", sagt der CDU-Politiker.

Ein kurzer Blick in die Verfassungsschutzberichte genüge, um festzustellen, wie intensiv und nachhaltig unsere freiheitliche demokratische Grundordnung angegriffen werde - und zwar aus ganz verschiedenen Richtungen, sagt Bosbach. Das gelte für den Rechts- und Linksextremismus ebenso wie für den gewaltbereiten Islamismus. Es spreche aber nichts gegen eine kritische Struktur- und Schwachstellenanalyse der Sicherheitsbehörden.

Ähnlich sieht das Eva Högl, die für die SPD im NSU-Untersuchungsausschuss sitzt. Die offenkundig gewordenen Fehler im Bundesamt für Verfassungsschutz müssten restlos aufgeklärt werden, sagte sie SZ.de. "Ich halte jedoch die jetzt teilweise angestoßene Diskussion über eine mögliche Abschaffung des Amtes für völlig überzogen." Eine wehrhafte Demokratie brauche einen funktionsfähigen Verfassungsschutz. Es dürfe nicht vergessen werden, dass der Verfassungsschutz "mit dazu beigetragen hat, schwerste Anschläge in Deutschland zu verhindern".

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