Pandemie:Stichtage

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Nach der neuen Empfehlung für Astra Zeneca heißt es, den Schaden für die Impfkampagne zu begrenzen. Besonders wichtig wird sein, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.

Von Sören Müller-Hansen, Henrike Roßbach und Jana Stegemann, Berlin

Die Entscheidung der Ständigen Impfkommission (Stiko), den Corona-Impfstoff von Astra Zeneca nur noch für über 60-Jährige zu empfehlen, bringt Unruhe in die Impfkampagne. Am Dienstagabend hatten Bund und Länder entschieden, der Stiko zu folgen und alle Impfungen für Jüngere auszusetzen, weil weitere Fälle von Sinusvenenthrombosen nach Impfungen mit dem Vakzin aufgetreten waren - vor allem bei jüngeren Frauen.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach am Dienstag davon, dass die Entwicklung "ohne Frage ein Rückschlag" sei. Sowohl er wie auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versicherten, dass weiterhin alle Impfwilligen bis zum Ende des Sommers geimpft werden sollten. Wie sehr allerdings die abermalige Wende im Umgang mit Astra Zeneca den Impffortschritt belasten wird - dazu gingen die Meinungen am Mittwoch auseinander.

Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), verwies auf 18 Millionen Bürger, die zwischen 60 und 80 Jahren alt seien - und darauf, dass es bis Ende Juni Lieferzusagen von Astra Zeneca über 21 bis 23 Millionen Impfdosen gebe. "Das würde bedeuten, dass man die Hälfte der 60- bis 80-Jährigen mit Astra Zeneca vollständig impfen könnte." Selbst wenn der ein oder andere das Vakzin nicht akzeptiere, ergebe sich daraus noch kein Problem für die Impfkampagne. "Wenn allerdings massenweise Impftermine nicht wahrgenommen würden, käme es natürlich zu Verzögerungen." Stillfried betonte, dass das Risiko-Nutzen-Profil in dieser Altersgruppe eindeutig "pro Impfung" ausfalle - mit steigenden Inzidenzen noch mehr als ohnehin schon.

Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus nannte die Entscheidung dagegen einen schweren Schlag. "Wichtig ist nun, einem möglichen Vertrauensverlust entgegenzuwirken." Bei Menschen über 60 sei der Impfstoff "hocheffizient. Das sollte die Bundesregierung immer wieder betonen". Zudem dürfe kein Impftermin ausfallen, "und für Personengruppen unter 60 muss entsprechender Ersatz gefunden werden".

"Jeder Tag zählt, um die dritte Welle zu brechen."

Janosch Dahmen, Gesundheitspolitiker der Grünen im Bundestag hält eine Neu-Einschätzung der Lage für notwendig. Es sei richtig, Astra Zeneca jetzt zuvorderst für die 60- bis 69-Jährigen zu nutzen. "Die drängende Frage ist aber, wie weit diese Gruppe noch bereit sein wird, sich mit Astra Zeneca impfen zu lassen." Bislang schaffe es die Regierung "mit ihrer widersprüchlichen oder ausbleibenden Krisenkommunikation" nicht, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. "Jeder Tag zählt, um die dritte Welle zu brechen."

Das sehen, ganz unabhängig von den Aufregungen um Astra Zeneca, auch Winfried Kretschmann (Grüne) und Markus Söder (CSU) so. Der baden-württembergische und der bayerische Ministerpräsident haben deshalb einen Brief an ihre 14 Länderkollegen geschrieben, in dem sie eine konsequentere Krisenpolitik verlangen. Corona habe "Deutschland weiterhin fest im Griff", heißt es in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Lage sei "ernster, als viele glauben". Es gelte jetzt, die "Notbremse ohne weiteres Überlegen und Zögern konsequent umzusetzen". Hierzu gehörten auch nächtliche Ausgangsbeschränkungen. Für die Zeit nach den Osterferien regten die Länderchefs eine Testpflicht für Schüler an - Schleswig-Holstein will eine solche Pflicht gleich nach Ostern einführen.

Wie es weitergeht mit Astra Zeneca, muss sich derweil erst noch zeigen. Die Stiko will bis Ende April eine "ergänzende Empfehlung" abgeben, wie mit den Zweitimpfungen für bereits mit Astra Zeneca immunisierte unter 60-Jährige umzugehen ist. Die Europäische Arzneimittelbehörde teilte dagegen am Mittwoch mit, die bisherigen Überprüfungen des Impfstoffs hätten noch keine Risikofaktoren wie Alter oder Geschlecht identifiziert.

Dass die Aussetzung von Astra Zeneca für Jüngere eine Neuorganisation erfordert, zeigen die Zahlen. Alleine am Dienstag waren mehr als 100 000 der insgesamt 287 000 verabreichten Impfungen solche mit Astra Zeneca. Von den knapp 24 Millionen Menschen über 60 Jahre sind Stand jetzt mindestens 4,3 Millionen schon geimpft, es verblieben in dieser Gruppe also 20 Millionen Kandidaten für Astra Zeneca. Die Länder müssen nun entscheiden, wie sie mit der Situation umgehen. Der NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte am Mittwoch, dass alle über 60-Jährigen in Nordrhein-Westfalen von Karsamstag an Termine für Impfungen mit Astra Zeneca buchen könnten. Laumann geht nicht von einer Verzögerung der Impfkampagne aus. Er kündigte an, dass die Impfzentren ihre Öffnungszeiten ausweiten werden: "Wir fangen damit über Ostern an."

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