Pandemie-Politik:Mal ein bisschen locker

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"Das entwickelt, was heute ganz Deutschland macht": Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet sieht sich als Vorreiter in der Pandemiepolitik. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Wie sich Armin Laschet als Corona-Krisenmanager profiliert - und sich damit CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur sichern will.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Nach zwölf Minuten wähnt sich Armin Laschet dort, wo er hinwill: vorne, ganz vorne. Der NRW-Ministerpräsident beugt sich ein wenig übers Rednerpult, sein rechter Zeigefinger wirbelt durch die Luft, als er am Mittwochmorgen im Düsseldorfer Landtag erzählt, woher ein gehöriger Teil der "Anregungen" stamme, die ganz Deutschland vor dem Virus retten sollen: "aus Nordrhein-Westfalen", aus seiner grauen Staatskanzlei am Rhein. Von ihm.

Zum Beispiel die Sache mit den vorgezogenen Weihnachtsferien. Jeder im Saal weiß, dass es der Regierungschef persönlich war, der diese Idee eher spontan am Abend vor Karnevalsanfang in einem Fernsehinterview aus dem Hut zauberte. Und dass seine eigene Schulministerin den Vorschlag zuvor noch als "unnötig und ungeeignet" abgetan hatte. Egal, jetzt ist das ein gemeinsamer Sieg. Yvonne Gebauer, so preist Laschet seine Ministerin, habe "in Ruhe das entwickelt, was heute ganz Deutschland macht". Schüler und Lehrer an Rhein und Ruhr könnten sich - "weil wir die ersten waren" - besser einstellen aufs frühere Schulfrei. Laschet blickt ernst in die Runde und sagt: "Nordrhein-Westfalen war hier Vorreiter."

Laschet fühlt sich wohl in seiner Haut an diesem Mittwoch. Nach seiner Rede lehnt er sich zurück in seinem Stuhl, verschränkt die Arme, grinst. Der CDU-Politiker wirkt, als genieße er diesen Tag, da sich - wie so oft seit neun Monaten - mal wieder alles um Corona dreht: erst Landtag, dann Koordination mit den 15 Amtskollegen, dann die Video-Konferenz aller Länderchefs mit der Bundeskanzlerin, die MPK. Sie ist längst Alltag.

"Andere wollten Ausgangssperren" - ein Seitenhieb gegen Söder

Der Aspirant aus Düsseldorf weiß, dass seine Perfomance als Krisenpolitiker über seine Zukunft entscheidet. Darüber, ob er demnächst nach Berlin wechseln darf. Im Januar wird der CDU-Bundesparteitag über den Vorsitz entscheiden - und damit wohl über die Kanzlerkandidatur. Seit Ende Februar ist das Laschets Corona-Test. Er muss diesen Marathon durchstehen, will er im Kanzleramt ankommen.

Momentan hat Laschet so etwas wie die zweite Luft. Der Rheinländer und seine "Anregungen" finden in der MPK wieder mehr Gehör. In den Verhandlungen war Laschet gegen ein generelles Böllerverbot, für noch strengere Kontaktsperren - und wiederum für deren Lockerung zu Weihnachten. So kommt es nun. "Wir stehen mitten im Konsens", beteuert ein Mitarbeiter. Der NRW-Regierungschef nutzt seinen Auftritt im Landtag, um daran zu erinnern, dass er es gewesen sei, der (zusammen mit Nathanael Liminski, dem Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei) im März das Konzept der "Kontaktbeschränkungen" in der MPK durchdrückte. "Andere wollten Ausgangssperren", erinnert er sich - ein Seitenhieb gegen den Bayern Markus Söder, seinen Möchtegern-Kanzler-Konkurrenten.

Zwischendurch jedoch, im späten Frühjahr und Frühsommer, durchlitt Laschet harte Tage. Er hatte Geschmack gefunden am Duell mit Söder. Während sich der Franke einem harten Anti-Corona-Kurs verschrieb, profilierte sich Laschet als Lockerer. Nur, dabei wirkte er selbst oft zu locker, zu unpräzise, zu fahrig. Und gereizt. In Talkshows wetterte er gegen Virologen oder Verantwortliche in Schulen, in Kurzinterviews entgleisten ihm Sätze über Rumänen und Bulgaren, die als Leiharbeiter das Virus in deutsche Fleischfabriken getragen hätten. Zur Sommerpause sah es aus, als werde das Virus den Aspiranten für Höheres um Atem und Ambition bringen.

Seither hat sich Laschet gefangen. Der Mann, dem selbst Gegner bescheinigen, seine Corona-Politik sei weitaus besser als sein Image als Krisenmanager, bastelte sich seine Corona-Formel. Sein Mantra für gute wie für schlechte Zeiten, seit einem Vierteljahr: "Wenn Infektionszahlen sinken, müssen Grundrechtseingriffe zurückgenommen werden - und wenn Infektionszahlen steigen, müssen Schutzvorkehrungen verstärkt werden." Das mag fade klingen, ist ohne Reim oder Rhythmus und als Slogan zu lang für jedwedes Plakat. Aber der Satz beschreibt recht präzise, was die deutsche Corona-Politik versucht.

Laschet bastelt, schmiedet Kompromisse. Vieles, was dieser Pragmatiker tut, wirkt deshalb ungeordnet, reaktiv, kurzsichtig. Laschet ist kein Konzept-Politiker. Niemals käme er auf die Idee, aus seiner Corona-Formel eine wirkliche Strategie zu entwickeln. Also etwa einen Stufenplan, in dem aus bestimmten Inzidenz-Zahlen automatisch vorab definierte Corona-Maßnahmen folgen wie etwa schärfere Maskenpflicht, Kontaktverbote, Schulschließungen. Genau das, ein "klares Stufenmodell, anhand dessen die Maßnahmen angezogen oder gelockert werden", hat am Mittwoch im NRW-Landtag zum Beispiel Verena Schäffer gefordert, die Fraktionschefin der Grünen.

Laschet war da schon weg, auf dem Weg zu einer Video-Konferenz. Mitbekommen hat er noch die Schelte von SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. Der hielt ihm seinen Halbsatz vor, 2020 drohe "das härteste Weihnachten, das die Nachkriegsgenerationen je erlebt haben". Wieder so eine Eingebung, die nicht zu Ende gedacht war. Laschet weiß es, grinst kurz. Fertig. Und weiter. Bisher ist er so immer vorangekommen. Weiter nach vorn.

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