Vor einem Jahr hat sich "John Doe" gemeldet. "John Doe" heißt nicht wirklich John Doe; es ist ein Name, der in den USA gebräuchlich ist für Menschen, die anderen etwas mitteilen, dabei aber anonym bleiben wollen. Aber John Doe stellte eine Frage, die neugierig machte: "Interessiert an Daten? Ich teile gern." Und damit begann eines der ungewöhnlichsten und aufregendsten Kapitel in der Geschichte der Süddeutschen Zeitung.
Von diesem Montag an wird die SZ einen Einblick geben in eine Halb- und Schattenwelt, die so bislang von außen noch niemand gesehen hat. Eine Welt, in der Menschen im Verborgenen Millionen-Vermögen oder Firmenanteile hin und her schieben, Yachten oder Flugzeuge kaufen. Manches von dem, was in dieser Welt geschieht, ist völlig legal. So kann es Gründe dafür geben, dass ein deutscher Bank-Manager den Besitz einer Villa auf Mallorca geheim halten will und sie deshalb in einer Briefkastenfirma versteckt. Solange das Vermögen hierzulande versteuert wird, ist das in Ordnung.
Es geht bei Weitem nicht nur um Steuerhinterziehung
Doch für viele der Geschäfte, die über sogenannte Offshore-Firmen, also Briefkastenfirmen in einem Übersee-Steuerparadies, abgewickelt werden, trifft das nicht zu. Oft dient die Heimlichtuerei ausschließlich dazu, kriminelles Handeln zu verschleiern und Straftäter zu schützen. Aus den Unterlagen, welche die SZ in den vergangenen zwölf Monaten gemeinsam mit 400 Journalisten aus aller Welt ausgewertet hat, lässt sich erkennen, wie gigantisch das Problem der Offshore-Geschäfte tatsächlich ist - und wie dringlich die Weltgemeinschaft hier handeln muss.
Panama Papers:2,6 Terabyte - das bislang größte Datenleck
11,5 Millionen Dokumente und 214 000 Briefkastenfirmen: In etwa 80 Ländern recherchieren Journalisten in den Panama Papers.
Bekannt war bislang, dass reiche Privatleute und auch Unternehmen Briefkastenfirmen nutzen, um das in ihren Augen lästige Bezahlen von Steuern so weit wie möglich zu umgehen. Schon das ist oft schamlos und unsozial, weil diese Steuern dann in Deutschland oder anderswo fehlen, um Aufgaben für die Allgemeinheit zu finanzieren: den Bau von Schulen, Schienen oder Wohnungen etwa.
Doch das Offshore-Problem geht weit darüber hinaus. Wie die Geschichten zeigen, welche die SZ veröffentlichen wird, nutzen offenbar Terrorgruppen dieses System dazu, sich zu finanzieren. Einem verbrecherischen Regime wie dem syrischen gelingt es mutmaßlich, auf diese Weise die Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft zu umgehen und den Fassbombenkrieg gegen das eigene Volk fortzuführen. Mitglieder von Chinas Staats- und Parteiführung bis hin zum Umfeld des Präsidenten haben offenbar besonders viele Unternehmen in oder über Panama gründen lassen, um Millionenbeträge im Ausland zu verstecken.
Bereits vor der Veröffentlichung haben Betroffene, die wir um Stellungnahme ersucht haben, gedroht. Der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin stimmte die Bevölkerung schon mal auf eine "Informationsattacke" westlicher Medien ein. Das war die Reaktion des Kreml darauf, dass wir Fragen zum konspirativen Verschieben von Millionenbeträgen in des Präsidenten engstem Umfeld und zum sagenhaften Reichtum enger Putin-Freunde eingereicht hatten. Die Kanzlei in Panama, über die viele dieser Geschäfte liefen, kündigte an, sie werde gegen die Veröffentlichungen vorgehen. Die "Verwendung von rechtswidrig erlangten Informationen" stelle eine Straftat dar.
Als Edward Snowden seine Erkenntnisse über die Abhörpraktiken der NSA an Journalisten weitergab, warf ihm die US-Regierung ebenfalls eine Straftat vor: Geheimnisverrat. Auch die Kollegen des Guardian mussten sich rechtfertigen, weil sie das von Snowden illegal erlangte Material publiziert hatten. Die Frage, ob Unterlagen rechtmäßig in den Besitz der vielen John Does gelangt sind, die es mittlerweile vor allem in der Finanzwelt gibt, ist aber nicht allein ausschlaggebend dafür, ob Medien sie veröffentlichen dürfen. Entscheidend sind zwei andere Kriterien: Kann man der Quelle trauen? Und: Gibt es ein berechtigtes allgemeines Interesse?
Die SZ hat mit ihren Partnern Tausende der Dokumente, die John Doe ihr überlassen hat, gegengecheckt und verglichen - mit anderen Veröffentlichungen und Dokumenten oder Akten aus Justiz-Verfahren. In keinem einzigen Fall sind Zweifel aufgetaucht. Und das öffentliche Interesse ist hier klar: Die Geheimnisse der "Panama Papers" müssen ans Licht.
Dieses Interesse ist kein voyeuristisches. Aber wenn ein Staat - wie im Fall USA/Snowden - sich mit fortwährendem Rechtsbruch Informationen über die eigenen Bürger verschafft oder eine Staatengemeinschaft - wie jetzt im Falle Offshore - nichts oder nicht genug dagegen unternimmt, dass verbrecherische Regime durch Verstöße gegen UN-Sanktionen Kriege finanzieren, dann darf dies nicht verborgen bleiben.