Grüne:Palmer lässt Mitgliedschaft bei Grünen bis Ende 2023 ruhen

Grüne: Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer.

Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer.

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Tübingens Oberbürgermeister und der grüne Landesvorstand akzeptieren den Vergleichsvorschlag des Schiedsgerichts.

Von Max Ferstl, Stuttgart

Die Angelegenheit hätte in Eintracht und Harmonie enden können. Die Konfliktparteien - Boris Palmer und der grüne Landesvorstand - hätten ihre Einigung im Ausschlussverfahren als Beispiel für die konstruktive Kraft des Kompromisses preisen können: Tübingens Oberbürgermeister darf zwar Mitglied der Grünen bleiben, denen er seit 1996 angehört, muss aber seine Mitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lassen.

Es ist eine Lösung, der eigentlich beide Seiten etwas abgewinnen können: Palmer wird trotz seiner provokante Äußerungen, vor allem zu Migrationsthemen, nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig akzeptiert Palmer, dass er gegen die Grundsätze der Partei verstoßen hat - das war ja ein zentraler Vorwurf des Landesvorstands. Man einigte sich also in der Mitte. Doch die Vollzugsmeldung war noch keine drei Stunden alt, da gab es schon neue Verstimmungen.

Die grüne Landesspitze um die Vorsitzenden Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller interpretierte den Kompromiss in einer schriftlichen Mitteilung dahingehend, dass Palmers Verhalten "aufgrund verschiedener Verstöße gegen Grundsätze und Ordnung der Partei sanktioniert" werde. Eine Deutung, der Palmers Anwalt Rezzo Schlauch auf Palmers Facebook-Seite widersprach: Die Behauptung, der Vergleich sanktioniere Palmers Verhalten, sei "irreführend". Schlauch schreibt, dass bei einem Vergleich beide Seiten aufeinander zugehen müssten. Palmer werde "nicht bestraft, sondern trägt seinen Teil dazu bei, den Konflikt zu befrieden".

Und so endet ein Verfahren, das viele Grünen in Baden-Württemberg über Monate beschäftigte, mit einer symbolischen Pointe: Palmer und die Grünen-Spitze sind sich uneinig, selbst wenn sie sich einig sind.

Knapp ein Jahr ist es her, dass auf dem Landesparteitag eine große Mehrheit für ein Ausschlussverfahren gegen den Tübinger Oberbürgermeister stimmte. 24 Äußerungen wurden Palmer vorgeworfen, vor allem zu Migrationsthemen, mit denen der 49-Jährige aus Sicht der Parteispitze vor allem gegen Flüchtlinge polemisierte. Manche wirkten eher harmlos, wie Palmers Aufruf zur Gelassenheit in einer Debatte über das Gebäck "Tübinger Mohrenköpfle". Andere waren gravierender, etwa jener Post im vergangenen Mai, als Palmer - nach eigener Aussage ironisch - das N-Wort in einem Facebook-Post zitierte.

Ein zermürbender Prozess

An diesem Wochenende trafen sich beide Seiten vor dem Landesschiedsgericht, das einen Vergleich vorschlug: Palmers Mitgliedschaft solle bis Ende 2023 ruhen. Zudem sollen beide Parteien die Frage besprechen, wie Palmer "künftig kontroverse innerparteiliche Meinungen äußern könnte", ohne gegen grüne Grundsätze zu verstoßen. Palmer stimmte dem Vorschlag noch während der Anhörung zu. Der Landesvorstand brauchte bis zum Sonntagmittag.

Damit endet ein für die Partei zermürbender Prozess. Nicht alle Grünen im Südwesten waren überzeugt, dass ein Parteiausschluss der richtige Weg sei. Oder dass die Äußerungen schwer genug wögen, um eine Verbannung zu rechtfertigen. Auch Palmers Anwalt Schlauch argumentierte in diese Richtung. Die bemängelten Aussagen würden sich im grünen Meinungsspektrum bewegen. Den nun gefundenen Vergleich bezeichnete Schlauch als "sehr gute Lösung", weil er beiden Seiten erlaube, ihr Gesicht zu wahren.

Diese Deutung dürfte ihre Unterstützer finden. Zum einen bleibt den Grünen dadurch eine schräge Konstellation erspart: Im Herbst wird in Tübingen ein neuer Oberbürgermeister gewählt, für die Grünen kandidiert Ulrike Baumgärtner, Palmer tritt als parteiloser Kandidat an - und mit ruhender Grünen-Mitgliedschaft. Es gibt also kein Duell Grüner gegen Grüne. Für den Fall seiner Wiederwahl kündigte Palmer auf Facebook an, ab Anfang 2024 die Amtsgeschäfte wieder als grüner OB zu führen.

Zum anderen hat sich in den vergangenen Monaten die Tonlage in der Causa Palmer geändert. Hatten die ehemaligen Landeschefs Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand Palmer noch heftig attackiert, hieß es aus dem Umfeld der neuen Parteispitze zuletzt, man sei vor allem froh, wenn das Verfahren vorbei sei. Und, auch das: Ein Kompromiss könne die Lage befrieden. Zumindest den Kompromiss gibt es schon mal.

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