Nahost-Konflikt:Warum die Argumente gegen Palästina kraftlos sind

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Die israelische Regierung versucht einen eigenen Palästinenserstaat mit allen Mitteln zu verhindern; auch die USA und Deutschland stellen sich quer. Doch Ausreden hören die Palästinenser seit mehr als 40 Jahren. Genug: Sie haben längst die Voraussetzungen für eine UN-Vollmitgliedschaft erfüllt.

Helmut Schäfer, ehemals Staatsminister im Auswärtigen Amt

Auf die bevorstehende Generalversammlung der Vereinten Nationen kommt eine für die weitere Entwicklung im Nahen Osten wichtige Entscheidung zu. Es geht um die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied in die UN, die die PLO beantragen wird. Zwar steht jetzt schon fest, dass die USA gegen einen solchen Antrag im UN-Sicherheitsrat ihr Veto einlegen werden, doch werden sie nicht verhindern können, dass ein darauf folgender Alternativantrag der Arabischen Liga auf Aufnahme Palästinas als "non-member-state" der UN, analog dem Vatikan oder früher der Schweiz, in der Generalversammlung, die dies zu entscheiden hat, eine klare Mehrheit finden wird.

Soll Palästina das 194. Vollmitglied der UN werden? Die USA und auch Deutschland sind skeptisch, doch in der Vollversammlung wird sich wohl eine Mehrheit für einen Palästinenserstaat - und notfalls für eine Mitgliedschaft als permanenter Beobachter, ähnlich dem Status der Schweiz finden. (Foto: dpa)

Damit würde Palästina, das sich 1988 schon zu einem eigenständigen Staat ausgerufen hat, über seinen bisherigen Status als Beobachter hinaus als "permanenter Beobachter" Vollmitglied in den Unterorganisationen der Vereinten Nationen und dort auch Ämter übernehmen und entsprechend Einfluss ausüben können.

Die rechtsgerichtete israelische Regierung von Benjamin Netanjahu und Avigdor Lieberman hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Aufnahme Palästinas in die UN zu verhindern. Ein früher Erfolg war die mit ihren EU-Partnern nicht abgestimmte Erklärung der deutschen Kanzlerin bei Netanjahus jüngstem Besuch in Berlin, Deutschland werde gegen eine Aufnahme stimmen. Auch das war keine Überraschung angesichts Merkels seit jeher einseitig an den Interessen Israels ausgerichteter Politik, für die sie von der einflussreichsten Israel-Lobbyorganisation der USA, der Aipac, vor kurzem erst ausgezeichnet wurde. Vorwand für diese Einstellung ist die Forderung, dass der Aufwertung Palästinas ein mit Israel ausgehandeltes Friedensabkommen vorangehen müsse.

Friedensprozess wird zur Farce

Seit mehr als 40 Jahren werden die Palästinenser mit diesem Argument hingehalten und Israel in die Lage versetzt, in dem von ihm völkerrechtswidrig besetzten palästinensischen Westjordanland systematisch Fakten durch seine Siedlungspolitik zu schaffen und damit die mögliche Lebensfähigkeit eines eigenen palästinensischen Staates zu untergraben. Mit massiver staatlicher Förderung wurden auf den den Palästinensern verbliebenen 22 Prozent ihres ursprünglichen Territoriums einschließlich des arabischen Ostjerusalem fast 500.000 Israelis angesiedelt - trotz aller UN-Entschließungen und internationaler Proteste, selbst der USA und Deutschlands. Der Friedensprozess wird so mehr und mehr zu einer Farce.

So verkündete Präsident Obama vor einem Jahr vor der UN-Generalversammlung, er wolle innerhalb eines Jahres Frieden zwischen Israel und den Palästinensern schaffen. Stattdessen haben sich die regierenden israelischen Rechten über seine Aufforderungen zum Stopp des Siedlungsbaus hinweggesetzt und so neue Verhandlungen torpediert. Denn schließlich wäre es eine unerträgliche Zumutung für die Palästinenser, mit einer israelischen Regierung zu verhandeln, die gleichzeitig ihren Siedlungsbau in den besetzten Gebieten rücksichtslos vorantreibt wie zuletzt erst wieder vor wenigen Wochen mit der Genehmigung des Baus von 1600 neuen Wohneinheiten im arabischen Ostjerusalem.

Wie schon all seine Vorgänger hat auch US-Vermittler Senator Mitchell inzwischen aufgegeben. Netanjahu dagegen wurde bei seinem Auftritt vor dem US-Kongress im Mai mit Ovationen bedacht für seine Präsident Obama brüskierende Rede, die jeden Kompromiss mit den Palästinensern ausschloss, kein Wunder angesichts des massiven Einflusses israelischer Lobbygruppen sowie der evangelikalen christlichen Rechten und ihres alttestamentarisch gefärbten Weltbildes. Allerdings löste diese Rede weltweit ein vernichtendes Echo aus, umso mehr, als dadurch erneut alle Bemühungen des Nahostquartetts, dem neben der UN, die EU, Russland und auch die USA angehören, zunichte gemacht wurden.

Meinungen, die kaum zur Kenntnis genommen werden

Nur wenige nehmen zur Kenntnis, was jüdische Intellektuelle im Ausland und die israelische Opposition zum Verhalten der gegenwärtig regierenden Rechtsaußenparteien in Jerusalem sagen. So hat der frühere israelische Generalstabschef und Verteidigungsminister Scha'ul Mofaz kürzlich in einem Interview mit dem Spiegel zur Politik Netanjahus erklärt: "Er will keinen Frieden. Ich sage das ganz offen." Auch sieht er eine der vielen neuen Vorbedingungen seines derzeitigen Ministerpräsidenten für die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern, nämlich die Anerkennung Israels "als jüdischer Staat", als ein bewusstes Hindernis, um den Friedensprozess aufzuhalten: "Wir sind ein jüdischer Staat, so oder so."

Es ist sowieso der "Staat Israel" Völkerrechtssubjekt und Mitglied der Vereinten Nationen, nicht ein "Jüdischer Staat Israel" im Gegensatz etwa zur Islamischen Republik Iran. Das gute Fünftel muslimischer und christlicher Palästinenser israelischer Staatsangehörigkeit kann man nicht außer Betracht lassen.

Vor wenigen Monaten haben die UN, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank bestätigt, dass die Palästinenser die Voraussetzungen von Staatlichkeit erfüllen - soweit dies unter fortdauernder Besatzung möglich ist. Der UN-Sonderbeauftragte für den Nahostfrieden, Robert Serry, erklärte Ende Juli vor dem Sicherheitsrat, dass die palästinensische Autorität in der Lage sei, "die Verpflichtungen, die mit Eigenstaatlichkeit einhergehen, zu jedem Zeitpunkt in der nahen Zukunft zu übernehmen."

Diese, unter dem palästinensischen Ministerpräsidenten Fayyad erzielten bedeutenden und international gewürdigten Verbesserungen in Wirtschaft, Verwaltung, Infrastruktur und Sicherheitslage gelten allerdings nur für 40 Prozent der Westbank, angesichts des von Israel zersiedelten größeren anderen Teils des palästinensischen Staatsgebietes.

Das palästinensische Ostjerusalem und Gaza können von einem solchen Aufschwung erst profitieren, wenn das palästinensische Staatsvolk in einem lebensfähigen gemeinsamen Staat leben darf, wenn sein Existenzrecht genauso durchgesetzt wird wie das Existenzrecht Israels, wenn die Sicherheit beider Staaten international garantiert wird. Das wird nur durch einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiss möglich sein. Der Aufnahmeantrag der Palästinenser weist den richtigen Weg, wird die Rechte der Palästinenser stärken und Verhandlungen auf Dauer eher erleichtern.

Initiative aus Europa

Prominente Europäer haben inzwischen Initiative ergriffen. 23 ehemalige europäische Minister, Staats-und Regierungschefs haben in einem Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy an die EU-Beschlüsse von 2009 erinnert. Im Juli haben 32 ehemalige deutsche Botschafter in einem Brief an Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle appelliert, einem Aufnahmeantrag Palästinas in die UN zuzustimmen.

Und eine Studie der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik kommt zu dem Ergebnis, dass "die deutsche Regierung gut daran täte, ihre ablehnende Haltung zu einer Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen als Vollmitglied zu überdenken und im Rahmen der EU-Vermittlung an der Zweistaatenlösung konsequent festzuhalten", die auf der Grundlage aller Beschlüsse und neuester Einschätzungen der UN ausgehandelt werden sollte: "Alles andere wäre ein Debakel für die Glaubwürdigkeit Deutschlands und der EU in der arabischen Welt und weit darüber hinaus."

Der Autor war von 1987 bis 1998 Staatsminister im Auswärtigen Amt.

© SZ vom 14.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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